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La Isla – Archive einer Tragödie

Florian Quitzsch | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten
Gelesen - La Isla – Archive einer Tragödie (5382 Downloads )

„Wir morden nicht, aber wir töten“*

La isla. Poster: IskacineIch weiß nicht warum, aber mir schoss Kambodscha in den Kopf, als ich die zigfachen Bilder von menschlichen Gesichtern sah, die zu Personen gehören, die getötet und gefoltert worden oder verschwunden waren. Alle waren der Reihe nach in einem Buch aufgelistet, dessen Seiten in einer Einstellung vor- und zurückgeblättert wurden. Nach Chile hatte ich das zuletzt in Tuol Sleng, dem berüchtigten Foltergefängnis der Roten Khmer in Phnom Penh gesehen. Jetzt also Guatemala.

Diesmal aber in einem Leipziger Kino zur lokalen Premiere des Filmes La Isla im Beisein des Regisseurs, der anschließend Rede und Antwort stand.

Der Hintergrund des Filmes ist recht schnell erzählt: Auf einem Polizeigelände in Guatemala-Stadt ereignet sich 2005 eine gewaltige Explosion. Da auf diesem Gelände Munition lagert, fürchten die Anwohner, dass es zu weiteren Explosionen kommen könnte und rufen die Menschenrechtsbehörde herbei. Mitarbeiter der Behörde finden in mehreren Räumen tausende von Dokumenten vor, deren Existenz die Regierung immer bestritten hatte, und die von einer einzigen Polizistin bewacht und verwaltet werden. Ein hinzugezogener Historiker bestätigt, dass es sich um ein Archiv der Nationalpolizei handelt, in dem Personenakten lagern, welche die Gräueltaten von Armee, Polizei und Paramilitärs seit den 1920er Jahren in Guatemala dokumentieren. Und sie enthalten Namen – Namen der Verantwortlichen, die jetzt an die Öffentlichkeit gelangen und die nun nicht mehr den Schutz der Anonymität genießen. Und von denen manche vielleicht eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden. Das Archiv kam als eigene Abteilung zur Menschenrechtsbehörde, wo angefangen wurde, es systematisch aufzuarbeiten. Später wurde es ins Kulturministerium eingegliedert.

Uli Stelzner, der vor La Isla schon etliche andere Filmprojekte in Guatemala realisiert und gute Kontakte vor Ort hat, bekam den „Zuschlag“, eine Dokumentation zu machen, die es in sich hat. Als Film und auch im politischen Kontext des Landes. Viele der damaligen Verantwortlichen sind immer noch einflussreiche Leute, die beste Verbindungen in die Politik oder zum Militär haben. Es war deshalb nicht völlig überraschend, dass die Premiere in Guatemala-Stadt von einer Bombendrohung und einer vorübergehenden Stromkappung des Kinos begleitet wurde. Und dass die nationalen Medien so gut wie nicht über den Film berichteten, ihn sogar totschwiegen. Der aber trotzdem ein Erfolg geworden und wie der politische Filmemacher Stelzner ein wenig stolz in Leipzig sagt, an jeder Ecke der guatemaltekischen Hauptstadt als Raubkopie zu bekommen ist.

Der Film selbst lässt einerseits die Mitarbeiter des Archivs und andererseits zwei Hinterbliebene der Opfer zu Wort kommen, denen Stelzner Gesicht und Stimme verleiht. Dazwischen sind historische TV- und Videoaufnahmen ausländischer Sender montiert, welche unter anderem Verantwortliche, wie z.B. Efraín Ríos Montt, zeigen. Als Kontrast erscheinen immer wieder aktuelle Aufnahmen von jungen Rekruten der Nationalpolizei bei ihrer Ausbildung und die eines Cellisten. Letztere verleihen diesen kurzen Passagen einen melancholischen Charakter, sind für den Film aber eigentlich ohne Bedeutung, wogegen der Kontrast mit den Rekruten durchaus mit Bedacht gewählt wurde.

La Isla ist ein sehenswerter Dokumentarfilm, der zweifellos einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der traumatischen Geschichte Guatemalas leistet und ohne Abstriche empfohlen werden kann. An einigen Stellen ist er ein bedrückendes Zeugnis der von Militär und Polizei sowie Todesschwadronen verübten Taten, die beim Zuschauer ein ungutes Gefühl entstehen lassen, ihn aber an keiner Stelle überfordern.

* O-Ton einer alten, in La Isla verwendeten Aufnahme von Efraín Ríos Montt, der 1982 durch einen Putsch an die Macht kam und in dessen relativ kurzer Herrschaft (bis 1983) tausende Guatemalteken – darunter zahlreiche Maya – ermordet wurden.

Bildquelle: Iskacine

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Titel: La Isla – Archive einer Tragödie
Originaltitel: La Isla: Archives of a Tragedy
Produktionsland: Deutschland, Guatemala
Produktionsjahr: 2009
Länge: 85 Min.
Verleih: ohne gepäck filmproduktion / ISKA

1 Kommentar

  1. Waegele sagt:

    Nachdem ich durch viele Besuche und meine ehrenamtliche Tätigkeit einen relative guten Einblick in die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in Zentralamerika habe, bin ich doch durch die immer wieder in allen zentralamerikanischen Staaten auftauchenden Brutalitäten und Gräueltaten jedesmal erschüttert….. selbst heute wird durch die Maras, das Militär und im Untergrund operierenden Schwadronen auf vielfältige, aber immer brutale Art freiheitliches Leben und demokratische Entwicklung behindert. Aber wir hier im sicheren Europa nehmen das gar nicht mehr wirklich zur Kenntnis. Schade. Und darum sind solche Filme immer wiede Augenöffner.

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