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Eduardo Galeano: Von der Notwendigkeit, Augen am Hinterkopf zu haben

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Nichts ernst nehmen, was nicht gleichzeitig zum Lachen bringt…

„Ich bin ein Schriftsteller, der sich herausgefordert fühlt von den Rätseln und den Lügen, der endlich will, daß die Gegenwart aufhört, eine schmerzhafte Verbüßung der Vergangenheit zu sein, und der sich die Zukunft vorstellen möchte, anstatt sie einfach zu akzeptieren.“ Damit ist eigentlich alles gesagt. Dieser Satz könnte als Credo für die Bücher des Uruguayers Eduardo Galeano dienen. Diese, ob nun Roman oder Sachbuch, sind stets auch ein Versuch, hinter den Schleier vorzudringen, der im allgemeinen um unsere Wirklichkeit gesponnen wird, die Dinge beim Namen zu nennen, zu ihren Ursprüngen vorzustoßen. Der Peter Hammer Verlag legte jetzt ein neues Buch des engagierten Journalisten und Schriftstellers vor. „Von der Notwendigkeit, Augen am Hinterkopf zu haben“ ist eine Auswahl von Essays, Aufsätzen, Reden aus der Zeit von 1979-1982, der größte Teil davon entstand in den letzten fünf Jahren. Man merkt den Stücken an, daß sie nicht geschrieben worden sind, um einmal gesammelt veröffentlicht zu werden. Die unterschiedlichen Entstehungsanlässe und die kurze publizistische Form bedingen Wiederholungen. Einigen Gedanken, Metaphern, ja Formulierungen, begegnet man in verschiedenen Aufsätzen. Neben dem Aha-Effekt stellt sich bei der Lektüre immer mal wieder das Gefühl ein, das alles schon einmal gelesen zu haben, Wer Galeanos Bücher kennt, hat dafür schnell eine Erklärung; die meisten der hier behandelten Themen finden sich auch in seinen Büchern, ob nun in „Die offenen Adern Lateinamerikas“ oder in der Trilogie „Erinnerung an das Feuer“ (um nur die bedeutendsten zu nennen): Galeano bleibt sich treu – es ist vornehmlich der lateinamerikanische Kontinent, wo er den Verschleierungen der Wirklichkeit nachspührt. Dieses Thema ist für ihn keine Modeerscheinung, weil halt mal eine „Entdeckung“ zu feiern wäre, und er pflegt auch nicht die Europa nach wie vor anzutreffende Gewohnheit, den Kontinent mehr oder weniger eindimensional zu betrachten, sozusagen als zwar interessante, aber doch homogene Masse. Des Autors Themen sind vielfältig: Kultur, Literatur, Umwelt, Sexualität. Hinzu kommen Themen, die scheinbar nichts mit Lateinamerika zu tun haben, wie der Golfkrieg oder der Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften in Osteuropa. Ebenso vielfältig sind auch die Sichtweisen, die Bezugnahmen, Zusammenhänge. Eduardo Galeano nimmt seine Erkundungen ernst, auch wenn dem Leser dabei das Lachen im Halse steckenbleibt. Er hat die Angewohnheit, die Ungeheuerlichkeiten in der Normalität aufzuzeigen und sie als das zu bezeichnen, was sie sind – Ungeheuerlichkeiten eben. Das, so meine Erfahrung, verblüfft immer wieder. Man hat sich an zu vieles gewöhnt, daß man, wird es beim Namen genannt, erst einmal mit Unglauben und Staunen reagiert. Hier nur eins von Galeanos Bespielen: Was würde passieren, wenn AIDS bis heute ausschließlich in Afrika grassierte oder wenn Salman Rush -die in Indien lebte? Wissen Sie eigentlich, wieviele Schriftsteller in den letzten Jahren in der Dritte Welt ermordet worden sind? Nein? Tja, wen interessiert das auch schon!

Genau genommen hat Galeano ein einziges Thema: das Verhältnis der „Welten“ zueinander und ihre Zukunft auf diesem Planeten; und im besonderen und immer wieder Lateinamerika, dessen Beziehung zur sogenannten Ersten Welt. Tomas Borge hat einmal gesagt, Kolumbus habe Amerika nur erraten und Europa habe es bis heute nicht entdeckt. Galeano fügt dem hinzu, daß sich auch Lateinamerika noch nicht entdeckt habe. Und das ist das eigentliche Thema des Uruguayers in den vorliegenden Essays – die Entdeckung Lateinamerikas.

Ausgangspunkt ist ihm dabei seine wenig schmeichelhafte Feststellung: „Wir sind verblödet, mit unserer eigenen Verleugnung beschäftigt und arbeiten für unsere eigene Verderbnis.“.

Was also ist Lateinamerika? Was war es? Was könnte es sein? Welche Bedeutung haben denn nun die 500 Jahre, seitdem die Alte und die Neue Welt einander entdeckten? Amerika hat unendlich viele Gesichter und Galeano versucht, in seinen Schriften einige davon festzuhalten. Er tut dabei gar nicht erst so, als könnte er Vollständigkeit erreichen. Er sucht Antworten auf seine Fragen und er schlägt sie dem Leser vor. Für den Uruguayer Eduardo Galeano, Nachkomme von Einwanderern aus vier Nationen, ist die Beschäftigung mit Geschichte und Gegenwart seines Kontinents auch immer eine Suche nach dem eigenen Ich. Indem „ich Amerika sagte, sagte ich Ich. Und indem ich es suchte, fand ich mich“. Und auch nach seiner in diesen Schriften festgehaltenen Erkenntnis wird eines deutlich – der Autor ist nach wie vor auf der Suche. Und endgültigen Antworten mißtrauend, wird er es wohl weiterhin sein. Ihn dabei zu begleiten, ist für seine Leser höchst spannend und macht Wiederholungen allemal wett.

Von welchen Wiederholungen rede ich eigentlich…

Eduardo Galeano: VON DER NOTWENDIGKEIT, ÄUGEN AM HINTERKOPF ZU HABEN. Peter Hammer Verlag Wuppertal 1992.
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Auswahl der deutschsprachig erschienenen Bücher von Eduardo Galeano

  • Das Buch der Umarmungen. 271 S. Hammer Verlag Wuppertal, 1991
  • Erinnerungen an das Feuer. Hammer Verlag Wuppertal, 1983 – 1988
    • Bd. l: Geburten. 367 S.
    • Bd. 2: Gesichter und Masken. 352 S.
    • Bd. 3: Das Jahrhundert des Sturms. 398 S.
  • Die offenen Adern Lateinamerikas. 310 S. Hammer Verlag Wuppertal, 1973
  • Tage und Nächte von Liebe und Krieg. 229 S. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1980
  • Wenn die Erde aufsteigt. 231 S. Verlag Volk und Welt Berlin, 1979
  • Von der Notwendigkeit, Augen am Hinterkopf zu haben. 196 S. Hammer Verlag Wuppertal, 1992
  • Schöne neue Weltordnung, Rotpunkt Verlag, (angekündigt)

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