Das Land des Quetzal“, so die metaphorische Bezeichnung für Guatemala, ist der Titel einer beeindruckenden Ausstellung im Museum für Völkerkunde Wien, die einen Überblick über das künstlerische Erbe Guatemalas von den Maya bis zur spanischen Welt bietet. Einige der hochwertigen Exponate werden in Wien zum ersten Mal außerhalb der guatemaltekischen Museen gezeigt. Weitere Leihgaben stammen aus Mexiko und Spanien.Bereits 1993 fand im Wiener Künstlerhaus die vom Kunsthistorischen Museum veranstaltete Sonderausstellung „Die Welt der Maya“ statt, die zuvor mit großem Erfolg in Hildesheim gezeigt wurde. Dieser Einblick in eine den meisten Europäern noch immer fremde Welt findet nun seine Fortsetzung, zählt doch die Maya-Kultur zu den wichtigsten der Menschheit und ist mit anderen bedeutenden Hochkulturen, wie der ägyptischen, vergleichbar.
Die Faszination dieser Schau liegt nicht nur in der Kostbarkeit ihrer Exponate, sondern in der Konfrontation zweier gegensätzlicher und doch untrennbar miteinander verbundener Kulturen: der sich ab ca. 1500 v. Chr. über dreieinhalb Jahrtausende erstreckenden präkolumbischen Epoche der Maya und der spanischen Kolonialherrschaft, die von der Conquista (ab 1524) bis zur Unabhängigkeit des Landes 1821 dauerte.
Der erste Teil der Ausstellung ist dem Übergang von der Maya-Gesellschaft zur Kolonialherrschaft gewidmet. Die Exponate, ob Keramik, Altäre, Stelen, Schmuck oder Skulpturen, vermitteln einen Einblick in das Weltbild, die Glaubensvorstellungen und den Alltag der Maya. In ihrer Kunst finden die unterschiedlichsten Materialien Verwendung, wie etwa Stein, Basalt, Gold, Schalen von maritimen Weichtieren, Jade, Jadeit oder Obsidian. Die populärste und für den Ausstellungsbesucher sicher auch beeindruckendste Kunstform ist jedoch die unter anderem im Zusammenhang mit den Bestattungsritualen stehende polychrome Keramik. Sowohl die Gefäße für Grabbeigaben als auch die beinahe monumental anmutenden Totenurnen tragen die Symbolik des Todes, des Sonnengottes und der Unterwelt. Alle dargestellten Figuren sind mit reichen ikonographischen und epigraphischen Verweisen ausgestattet. Einen wichtigen Platz nehmen auch die Schrift und die Mayasprachen als Medien der kulturellen Identität in der Ausstellung ein.
Mit der Conquista überlagern sich die Traditionen. Schriften und Sprachen werden zu Schnittstellen zwischen zwei Welten, zu Medien der Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem Fremden. Es treffen zwei Antagonismen aufeinander, die beide die historischen und kulturellen Wurzeln des heutigen Guatemala bilden. Der Übergang in den zweiten Ausstellungsteil markiert auch für den Besucher einen kulturell gewaltsamen Bruch. Er betritt nicht nur eine andere Ebene, sondern eine völlig andere Welt. Während die Kunst der Maya eine beinahe geheimnisvolle Exotik und Mystik ausstrahlt, sind uns die unter dem Einfluß der spanischen Eroberer entstandenen religiösen Skulpturen und Gemälde sehr wohl aus unserer eigenen, christlich geprägten (Kunst-)Geschichte vertraut und erscheinen uns in diesem Kontext fremd. Aus künstlerischen Mischformen tiefer Religiosität geht eine barocke, später klassizistische Kultur hervor. Die Kunst der Kolonialzeit wird von Silberschmiedearbeiten und sakralen Gegenständen beherrscht. Auch der barocke Glanz der durch ein Erbeben zerstörten Stadt Santiago de los Caballeros (des heutigen Antigua) wird durch Skulpturen, Gemälde und Reliefs in der Ausstellung noch einmal zum Leben erweckt.
Der umfangreiche Begleitkatalog bietet weit mehr als nur die übliche Dokumentation der ausgestellten Exponate. In zwölf anschaulichen Beiträgen gelingt eine fundierte Einführung in Geschichte und Geographie Guatemalas, die einen Bogen von der Erforschung der Maya-Kultur bis zur politischen Struktur und der urbanen Siedlungskultur des Maya-Reiches spannt und ihre Äquivalente in der Darstellung der Kolonialherrschaft, der Beschreibung von Stadt und Architektur vom 16. bis zum 19. Jahrhundert und der Frage nach dem Verhältnis zwischen Kunst und Identität findet. Schließlich wird mit einem eigenen Beitrag das Nationalmuseum für Archäologie und Ethnologie von Guatemala gewürdigt.
Im Umfeld der Ausstellung beklagte die Guatemala-Solidarität Österreich eine Beschönigung der Vergangenheit Guatemalas, die die gewalttätige jüngere Geschichte und Gegenwart des Landes ausblende. Der gegenwärtigen Regierung und der politischen Elite Guatemalas sei ein Podium geboten worden, das kulturelle Erbe der Maya für sich zu beanspruchen, während die fundamentalen Rechte der Maya-Völker systematisch mißachtet werden. Dafür stand jedoch der 35. Lateinamerika-Tag Anfang November 2002 ganz im Zeichen Guatemalas, beleuchtete vor dem Hintergrund der Ausstellung die aktuelle politische und sozioökonomische Lage in Guatemala, die Menschenrechtssituation, beschäftigte sich mit Bildungsfragen, Ressourcenschutz und Entwicklungszusammenarbeit. Es stellt sich in diesem Zusammenhang trotzdem die Frage, was eine derartige Ausstellung überhaupt aus sich heraus leisten kann und soll, welchen Anspruch sie verfolgt. Die Darstellung künstlerischer Ästhetik und kunsthandwerklicher Techniken erfolgt in dieser Ausstellung nicht losgelöst vom historischen Kontext. Es wird lediglich auf eine direkte Referenz zum aktuellen politischen und gesellschaftlichen Zeitgeschehen verzichtet. Wäre diese jedoch zwingend notwendig gewesen? Der Ausstellung gelingt es, auf zwei Ebenen die Blüte, den Untergang und die Hybridisierung einer Kultur zu visualisieren. Sie liefert einen Rahmen für das Verstehen von historischen Zusammenhängen. Im Zentrum steht jedoch eine Kunst, deren einzigartige Schönheit den Betrachter fasziniert, auch jenseits vom Opferstatus des Unterworfenen. Lassen wir uns auf diese Macht des reinen „Augenblicks“ (im wahrsten Sinne des Wortes) ein, so oberflächlich er in einer aufgeklärten Gesellschaften erscheinen mag. Auch der Quetzal symbolisiert eine Vielzahl von Bedeutungen, zuerst ist er aber immer noch der „Vogel mit dem schönsten Gefieder“.
Guatemala – Land des Quetzal
Von den Maya zur spanischen Welt. Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien im Museum für Völkerkunde Wien
9. Oktober 2002 bis 13. Januar 2003