Ein Vertrag regelt die Rechte der indigenen Bevölkerung Guatemalas
Gaspar Ilom, der Held des Romans „Hombres de maíz“ des guatemaltekischen Literaturnobelpreisträgers Miguel Angel Asturias, Anführer des Widerstandes gegen die ladinischen Maispflanzer, wird nach der Legende der Mayas nie sterben, auch wenn er im Kampf den Tod findet. Ebenso wie der letzte Mayaherrscher Tecum Uman wird er zu gegebener Zeit immer wieder auferstehen und letztlich triumphieren.
In Guatemala ist jetzt ein Abkommen unterzeichnet worden, dessen Inhalt an diese Legende denken läßt. „Die Regierung der Republik verpflichtet sich, eine Reform der Politischen Verfassung der Republik voranzutreiben, welche die guatemaltekische Nation als nationale, multiethnische, multikulturelle und multilinguistische Einheit definiert und charakterisiert. (…) Die Anerkennung der Identität der indigenen Völker ist grundlegend für den Aufbau der nationalen Einheit, die auf der Achtung und der Verwirklichung der politischen, kulturellen, ökonomischen und religiösen Rechte aller Guatemalteken beruht.“
Diese Sätze aus dem Vertrag zwischen der guatemaltekischen Regierung und der Guerilla-Organisation URNG schlagen völlig neue Töne in der Geschichte Guatemalas an, in welcher die Ureinwohner bisher im besten Fall Manövriermasse bei der Verwirklichung der wirtschaftliche Interessen anderer, meist jedoch einfach im Wege waren. Das Abkommen markiert einen wichtigen Schritt im Friedensprozeß in dem mittelamerikanischen Land, aber den Frieden bringt es noch lange nicht.
Noch wenige Tage vor der Unterzeichnung sah es so aus, als würden die Verhandlungen zu keinem Ziel führen. Die Regierung lavierte und machte die URNG für die Verzögerungen verantwortlich. Diese wiederum bezeichnete dies als gezielte Desinformationskampagne der Regierenden und warf auch der UNO vor, daran beteiligt gewesen zu sein. Die Vertreter der Guerilleros hatten immer wieder betont, wie wichtig das Tempo der Verhandlungen für die URNG sei, daß aber „der Inhalt der zu treffenden Vereinbarungen noch wichtiger ist“. Sieht man sich das Verhandlungsergebnis an, dann scheint sich der Optimismus der Generalkommandatur der URNG im Hinblick auf ein gehaltvolles Abkommen erfüllt zu haben. Der am 31. März 1995 offiziell unterzeichnete Vertrag über die „Identität und die Rechte der indigenen Völker“ enthält Passagen, die man in dem von regierungsoffiziellem Rassismus geprägten Guatemala fast für unmöglich gehalten hätte. Erstmals sind in einem offiziellen Dokument die Rechte der Mehrheit der Bevölkerung – ca. 60% der Guatemalteken sind Indigenas – anerkannt, und die Regierung wird verpflichtet, alles in ihren Kräften stehende für die Durchsetzung dieser Rechte zu tun. Bisher standen Guatemalas indigene Völker am Ende der sozialen Stufenleiter. Sie galten zumeist nicht einmal als „richtige“ Guatemalteken, da ihre Kultur und Lebensweise für den Fortschritt angeblich nicht taugten und sie sich obendrein weigern würden, ihre Rückständigkeit zu überwinden. Im Gegenteil – das Volk der Quiche hielt hartnäckig an seinen Traditionen fest und vermochte es, diese von Generation zu Generation weiterzugeben, trotz jahrhundertelanger Unterdrückung und Verfolgung. Die Schimäre Fortschritt, selbstverständlich nur anerkannt in Gestalt der westlichen Zivilisation, mußte einmal mehr dazu herhalten, ein ganzes Volk zu unterdrücken. Im Falle Guatemalas bedeutete das auch systematischen Völkermord: 150.000 Mayas sind in den letzten dreißig Jahren in Guatemala ermordet worden, eine Million Indigenas wurden, von ihrem Grund und Boden vertrieben, zu Flüchtlingen im eigenen Land bzw. waren gezwungen, Guatemala zu verlassen.
Angesichts einer solchen Geschichte scheint es wie ein Zeichen aus einer anderen Welt, wenn heute festgestellt wird, daß die Anerkennung der Identität der indigenen Völker grundlegend für die Schaffung der nationalen Einheit Guatemalas sei. Der Weg bis dahin war weit und noch steht die Achtung der drei großen Ethnien Guatemalas (Maya, Garífuna, Xinca) nur auf dem Papier. Ob das Abkommen eine Chance zur Umsetzung hat, ist nach wie vor höchst unsicher. Bis heute sind nicht alle vertriebenen Indigenas in ihre Heimatregionen zurückgekehrt; das betrifft sowohl die ca. 40.000, die ins benachbarte Mexiko geflohen waren, als auch diejenigen, die innerhalb des eigenen Landes auf der Flucht waren. Ihre Rückkehr ist noch immer schwierig und nicht ungefährlich. Menschenrechtsorganisationen machen immer wieder darauf aufmerksam, daß das Morden im Lande nicht aufgehört hat. Rückkehrer werden Opfer der Minen, die das Militär einst zur „Sicherung“ des Landes gelegt hatte. Überhaupt ist fraglich, ob es Regierung und Parlament gelingen wird – so sie überhaupt wirklich daran interessiert sind – den Einfluß der Militärs wirkungsvoll zurückzudrängen und die angestrebte Demilitarisierung des Landes in die Tat umzusetzen. Das ist umso schwieriger, als das Militär weite Bereiche von Staat und Gesellschaft kontrolliert. Freiwillig werden die Generäle diese Positionen zweifellos nicht aufgeben. Parlamenstpräsident ist der ehemalige Diktator Rios Montt, dersich seinerzeit an die Macht geputscht hatte und natürlich keinerlei Interesse an einer Schwächung der Streitkräfte hat.
Gelingt es aber nicht, die Zivilgesellschaft in Guatemala entscheidend zu stärken, dann hat der Friedensprozeß im Lande letztlich keine wirkliche Chance. Der Frieden im Land kann nur Bestand haben, wenn sich die politisch Verantwortlichen entschließen die Lösung der sozialen Probleme wirkungsvoll anzugehen. Und dazu gehört nicht zuletzt auch die Anerkennung der politischen, ökonomischen und kulturellen Rechte der indigenen Bevölkerung. Zur Umsetzung des bemerkenswerten Vertragswerkes sind also noch zahlreiche Hürden zu überwinden. Es steht zu befürchten, daß der Vertrag schon die erste Hürde nicht nehmen kann – die Ratifizierung im Parlament. Und genau das befürchten nicht wenige oppositionelle Organisationen im Lande, schließlich sind auch die anderen im Rahmen des Friedensabkommens geschlossenen Verträge zwischen Regierung und Guerilla bis heute wirkungslos geblieben.
Auch wenn sich einer der Guerilla-Führer (übrigens ein Sohn Asturias‘) nach dieser Figur nannte, kann heute noch nicht gesagt werden, ob Gaspar Ilom mit diesem Abkommen seinem Triumph näher gerückt ist …