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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Mexiko: Erzählung von einer Selbstfalle –
Jahr 2011 nach Christi

Nopalmex | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Mexiko, Polizeieinsatz - Foto: Jesús Villaseca PérezEs war ein Freitag gegen 11 Uhr, als Pancho aus seinem Haus ging, er hatte einen Termin im Westen der Stadt. Eigentlich war alles wie jeden Tag, er hatte noch eine torta gegessen und dazu einen Kaffee getrunken, die Schlüssel und einen Schraubenzieher für das Auto gesucht. Alles wie jeden Tag, ein letzter Blick in den Spiegel, die Tür schließen und den Fahrstuhl nehmen, obwohl er nur in der 2. Etage wohnt. Als er draußen war, suchte er sein Auto, holte den Schraubenzieher und die Autoschlüssel aus seiner Tasche. Mit einem Trick öffnete er die Autotür. Die Sonne war warm, es war Winter in der Stadt, aber gegen 11 Uhr ist es schon angenehm. Die Straße ist eine Einbahnstraße Richtung Westen. Er startete das Auto und fuhr los. 300 Meter weiter gab es gleich einen Stau. Ein Autofahrer war in der Gegenrichtung in die Straße eingebogen und blockierte nun den Straßenverkehr. Alle anderen Autofahrer waren genervt. Pancho stieg aus seinem Auto aus, er lief ein paar Meter und suchte das Gespräch mit dem „Geisterfahrer“. Pancho ist ein Typ, der immer eine diplomatische Lösung finden möchte. Er sagte „Würden sie bitte an die Seite fahren, damit wir weiter fahren können.“ Der Falschfahrer lehnte den Vorschlag ab. In diesem Moment drehte Pancho sich um und sah, wie zwei andere Männer drei Autos weiter hinten einem Autofahrer Pistolen auf den Kopf richteten. In diesen Sekunden unternahm Pancho in Gedanken eine Reise durch die Welt und verstand letzten Endes, dass er in einer Sackgasse wohnt, in der der Verkehr nur in eine Richtung führt, und aus der es kein Entkommen gibt, weil die eine Seite blockiert ist und sich auf der anderen Seite eine Brücke befindet. In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er in Mexiko-Stadt wohnt, und obwohl sie im Moment als eine sichere Stadt innerhalb Mexikos gilt, sollte er das Ausmaß der Gewalt innerhalb des Landes ernster nehmen. Das Land hat unter der Regierung von Felipe Calderón 40.000 Tote auf Grund von Kriminalitätsdelikten zu beklagen. Die 40.000 Toten werden nur als Tote in dem „Krieg“ gegen die Drogenhändler gezählt. Die Gewalt hat in einigen Teilen des Landes ein sehr dramatisches Niveau erreicht. Dazu zählen alle Bundesstaaten, die sich an der Grenze zu den USA befinden (eine spezielle Betrachtung benötigt die Stadt Monterrey, weil die Gewalt in Monterrey sehr hoch ist), Michoacán, Guerrero und Morelos. An der südlichen Grenze zu Guatemala und Belize sowie entlang der Strecke des „Zuges der Toten“ befinden sich die Regionen schon lange in einem sehr akuten Zustand. Die Kombination aus Einwanderern aus Mittelamerika – einige aus Südamerika -, Korruption, Maras, die steigende Präsenz der „Zetas“ und dazu die ewige Indifferenz der mexikanischen Regierung hält die Region im Würgegriff einer permanenten Gewaltatmosphäre. Die Zahl der Toten und die extreme Art der Gewalt ruft momentan den Eindruck in der Wahrnehmung außerhalb und innerhalb des Landes hervor, dass die Regierung die Lage nicht mehr unter Kontrolle hat. Manche Regionen werden von der organisierten Kriminalität regiert. Die Kriminalität in Mexiko ist heute wie ein Wesen mit tausenden von Köpfen, eine Mischung aus giftiger Schlange und Axolotl. Die Köpfe repräsentieren die verschiedenen Bereiche, einer von ihnen ist der Staat selbst, und das Besondere ist, dass wenn ein Kopf abgetrennt wird, er von alleine wieder nachwächst.

Um den heutigen Zustand verstehen zu können, muss man verschiedene Faktoren analysieren. Zu ihnen gehören die Geschichte des Landes, die historische und die aktuelle Haltung der Regierung, die kulturelle Betrachtung der Gewalt, die wirtschaftliche Funktion der „illegalen“ (nach der Rechtsordnung gehören die Aktivitäten zur Illegalität) Tätigkeiten und die Armut als Basis der Gewalt.

Peyote, Huichol Kunst - Foto: Jesús Villaseca PérezDie meisten Bundesstaaten, die von der Gewalt betroffen sind, befinden sich im Norden Mexikos, und dabei darf nicht vergessen werden, dass der Süden der USA und der Norden Mexikos eine gemeinsame Geschichte haben. Die heutige Grenze wurde 1846-1848 geschaffen. Auf beiden Seiten konnte man die Sprache des Anderen sprechen. Diese Vergangenheit erleichtert eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Organisationen auf beiden Seiten. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Im Jahr 2000 wurden allein von Laredo, Texas, aus mexikanische Waren im Wert von circa 44.800 Millionen US-Dollar in die USA geliefert. Die Experten gehen davon aus, dass 70 % der Drogen aus Kolumbien über die mexikanisch-amerikanische Grenze in die USA eingeführt wurden. Dieser hohe Prozentsatz ist nicht nur deshalb möglich, weil der Drogenkonsum in den USA so hoch ist, sondern auch, weil die Vernetzung der Drogenhändler gut funktioniert. Die Geschichte spricht dafür, dass nach dem ersten Weltkrieg der Konsum von Opium in den USA deutlich gestiegen ist. Schon zu dieser Zeit war bekannt, dass das Klima Nordmexikos für den Anbau von Opium gut geeignet ist. Das Opium wurde von chinesischen Migranten in den 1920er Jahren nach Nordmexiko gebracht. Auf dem illegalen Markt wurden meist Drogen von Mexiko in die USA exportiert und elektrische Geräte und Waffen aus den USA nach Mexiko geliefert. Weil  die Qualität der mexikanischen Drogen anfangs nicht sehr hochwertig war, wurde sie von Jahr zu Jahr verbessert, und die Lieferwege wurden weiter ausgebaut. Aber eine deutliche Steigerung des illegalen Geschäfts steht  in direktem Zusammenhang mit der Zunahme der Gewalt in Mexiko und weist eine direkte Verbindung mit der Schwächung der Drogenkartelle in Kolumbien auf. Dazu kommt nun noch eine falsche Strategie der aktuellen mexikanischen Regierung zur Bekämpfung des Drogenhandels.

Das Thema an sich ist sehr komplex, aber der Ursprung befindet sich in der Kultur, weil dort die Grundlage für das Menschsein gelegt wird. In diesem Zusammenhang kann man sagen, dass der Mensch ein Mensch ist, weil der Mensch sein Leben nach bestimmten kulturellen Verhaltenskodizes einrichtet. Die Drogen bzw. der Drogenkonsum waren bzw. sind schon immer in vielen verschiedenen Kulturen präsent. Die „Drogen“ wurden meistens von der Elite oder von den Schamanen genutzt, damit sie mit den Göttern reden konnten. Ein Beispiel dafür kann man heute noch bei dem indigenen Volk der „Huicholes“ in Mexiko finden. Die Huicholes leben im Zentrum von Mexiko, und der Peyote (Lophophora williamsii) gehört zu ihrer Kultur. Durch den Gebrauch des Peyote eröffnet sich den Huicholes eine andere Tür ihrer Welt, in der sie nach ihrem Glauben sehen können, was gut oder schlecht ist. Aber nach westlichen Vorstellungen betäuben sich die Huicholes einfach, und die Wirkung des Peyote ist eine Halluzination, weil an die magischen Kräfte dieses Geschehens in der westlichen Welt nicht geglaubt wird. Die Nutzung und die Betrachtung von Drogen variiert jedoch entsprechend der Kultur. In der westlichen Kultur wurden zwar immer Drogen gebraucht, aber die Nutzung war immer auf die „Elite“ und ihre Sichtweise beschränkt. Mit der Entwicklung der westlichen Kultur verbreitete sich der Drogenkonsum auf legale und illegale Art. Man kann feststellen, dass eine Kultur den Konsum von speziellen Produkten für bestimmte Gesellschaftsschichten erlaubt. In unserer Kultur definiert der Staat die Grenzen. So erlaubt er den Verkauf bzw. legalen Konsum von Alkohol, Tabak, Marihuana (Marihuana ist in den Niederlanden und in 14 Bundesstaaten der USA legal).

Mexiko, Waffen - Foto: Jesús Villaseca PérezIn diesem Zusammenhang kann man feststellen, dass der Staat die Bereiche erlaubt, in denen man legal arbeiten kann. Alle andere Bereiche schiebt er in die Illegalität. Dafür gibt es eine Rechtsordnung, wo alles geregelt ist, aber es gibt auch Bereiche, die nicht klar definiert sind. Mit dieser Ambivalenz hat der Staat eine gewisse Flexibilität, um feststellen zu können, was doch legal ist. Wenn z. B. ein Rechtsstaat eine CD mit gestohlenen Daten kauft, ist der Kauf legal,  weil er die Ambivalenz dafür ausnutzt. Das Drogengeschäft (in einigen Ländern auch der Besitz und der Konsum) fällt in den Bereich der Illegalität und aus dem Grund sollte der Staat den Drogenhandel  „bekämpfen“. Aber die Tätigkeit selbst fällt in einen staatlich geduldeten Bereich. Der Drogenhandel schafft einen sehr „aktiven und produktiven Finanzmarkt“ und die entsprechenden Arbeitsplätze, die der Staat nicht generieren kann. Unter dieser Betrachtung deckt die Tätigkeit verschiedene Bereiche ab, die der Staat nicht erfüllen kann.

Bildquelle: Jesús Villaseca Pérez.

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