Nachdem die USA am 28. Juli 1915 bereits Haiti besetzt hatten, war im Jahr darauf das Nachbarland, die Dominikanische Republik, an der Reihe. Im Mai 1916 landeten Marines in Santo Domingo und hielten den Ostteil der Insel Hispaniola bis 1924 unter der Besatzung Washingtons. In beiden karibischen Ländern verfolgten die USA die gleichen Interessen und gingen in ähnlicher Weise vor. Auch wenn die Besatzungszeit in Haiti fast 20 Jahre (1915-1934) währte und der Traum Washingtons von einem „zweiten Kuba“ (hier im Sinne einer modernen Agrarexportwirtschaft) letztlich scheiterte, zeichnen sich beide Nachbarländer auch dadurch aus, dass auf die US-Okkupation blutige Diktaturen folgten. Aber betrachten wir uns den dominikanischen Fall zunächst etwas näher, bevor wir vergleichende Schlüsse ziehen.
Fragile Unabhängigkeit
Der östliche Teil der Insel Hispaniola stand nach der Unabhängigkeit Haitis 1804 noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein im Schatten des westlichen Nachbarn. Erst 1844 erfolgte die staatliche Trennung, gefolgt von mehrfachen Rückeroberungsversuchen haitischer Truppen. Der militärische Druck wurde so groß, dass die dominikanische Elite 1861 schließlich sogar zurück in die Arme der ehemaligen Kolonialmacht Spanien flüchtete. 1863 begann ein „Restaurationskrieg“, der zwei Jahre später zur Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit der Dominikanischen Republik führte, die sich allerdings als äußerst fragil erweisen sollte. Bürgerkriege zwischen regionalen Caudillos lösten sich mit diktatorischen Regierungen ab, die nur kurz für scheinbare Stabilität sorgten. 1871 sollte der Anschluss an die USA die Rettung bringen, was jedoch vom US-Kongress mit knapper Mehrheit abgelehnt wurde.
Von 1882 bis zu seiner Ermordung 1899 beherrschte Ulises Heureaux das Land. Seine Diktatur stellte den ersten Versuch dar, ein starkes nationales Machtzentrum aufzubauen. Im Bündnis mit einer Elite aus großen Zuckerplantagenbesitzern und Händlern setzte er die wachsende Macht des Staates für die Förderung der Agrarexportwirtschaft ein. Um dieses Modernisierungsprojekt zu finanzieren, trieb er die Verschuldung des Landes exzessiv voran. Von 1888 bis 1899 wuchs die Auslandsschuld der Dominikanischen Republik von 4.122.750 auf 23.957.078 Gold-Dollar an. Die dadurch ausgelöste finanzielle und politische Krise führte schließlich zu seinem Sturz. Die Jahre bis 1906 waren von Instabilität und Chaos geprägt. Unter der Präsidentschaft von Ramón Cáceres (1906-1911) erfolgte der zweite Anlauf zur Schaffung einer stabilen Staatsmacht, die in der Lage sein sollte, die Integration des Landes in den kapitalistischen Weltmarkt so voranzutreiben, dass damit sowohl die ökonomischen als auch die geopolitischen Interessen der USA gesichert waren. Aber auch dieser Versuch scheiterte trotz anfänglicher Erfolge und endete mit der Ermordung von Cáceres.
In dieser von Instabilität, Finanzkrise und den Begehrlichkeiten europäischer Konkurrenten geprägten Situation übernahm Washington 1905 als selbsternannter Schuldeneintreiber die Kontrolle über den dominikanischen Zoll. Dessen Einnahmen standen fortan nur zu 45 Prozent der Regierung zur Verfügung, der Rest ging in den Schuldendienst. In einem speziellen Abkommen zwischen dem karibischen Inselstaat und Washington wurden 1907 die Befugnisse der „Schutzmacht“ derart erweitert, dass die Dominikanische Republik faktisch zum US-Protektorat herabsank. Angesichts fortdauernder Machtkämpfe sahen sich die USA 1912 erneut veranlasst, eine Spezialkommission, die von 750 Marines begleitet wurde, nach Santo Domingo zu schicken. Auf deren Druck wurde im Dezember 1914 Juan Isidro Jiménez zum Präsidenten gewählt. Als dieser die von Washington geforderten Reformen, darunter auch die Auflösung der Armee, durchsetzen wollte, regte sich Widerstand. General Desiderio Arias, ein Caudillo aus dem Norden und Anführer einer Militärrevolte gegen Jiménez, drohte die Macht zu übernehmen. In dieser Situation entschloss sich US-Präsident Woodrow Wilson, erneut Truppen nach Santo Domingo zu entsenden – gegen den Willen von Jiménez. Am 5. Mai 1916 landeten die ersten Marines.
Invasion und Militärregierung
Am 7. Mai sah sich Präsident Jiménez gezwungen zurückzutreten. Am 13. Mai folgte ein US-Ultimatum an Arias, sich binnen zweier Tage zu ergeben. Als sich dieser daraufhin aus Santo Domingo in den Norden zurückzog, besetzten 600 Marines unter dem Kommando von Admiral Caperton am 15. Mai ganz Santo Domingo. Am 1. Juni landeten Marines in den beiden Hafenstädten Puerto Plata und Monte Cristi. Im Norden des Landes organisierte eine Junta de Defensa Nacional den Widerstand gegen die Besatzer. Nach anhaltenden Kämpfen, in denen sich Maximo Cabral und Wenceslao Báez in besonderer Weise auszeichneten, besetzten die US-Truppen am 6. Juli schließlich Santiago de los Caballeros, die letzte Hochburg von General Arias. Dieser kapitulierte und verließ das Land. In den folgenden Monaten übernahmen die Marines weitgehend die Kontrolle über das Landesterritorium. Lediglich der Gouverneur von San Francisco de Macorís, Manuel de Jesús Pérez Sosa, leistete noch bis März 1917 bewaffneten Widerstand.
In der Hauptstadt Santo Domingo gestalteten sich die Verhältnisse trotz der erfolgreich verlaufenden Landung problematischer. Zwar gelang es bis Ende Juli, Francisco Henríquez y Carvajal durch das Parlament zum neuen Staatsoberhaupt wählen zu lassen. Die Durchsetzung der Pressezensur und die Versuche, eine allgemeine Entwaffnung durchzusetzen, entwickelten sich jedoch in zunehmendem Maße zu Stolpersteinen für Washington. Hinzu kam, dass die Besatzungsmacht am 18. August 1916 durch einen Decreto de Hambre genannten Erlass die Regierung von allen Einnahmen abschnitt, um von ihr die Annahme der gewünschten “Reformen” zu erpressen. Zahlreiche Zwischenfälle, die von Marines verursacht wurden und zum Tod von unbewaffneten Zivilisten führten, ließen in der einfachen Bevölkerung die Wut gegen die Besatzer steigen. Washington trat deshalb die Flucht nach vorn an und bildete am 29. November 1916 eine Militärregierung. Erster Militärgouverneur wurde Captain Harry Knapp, der die Dominikanische Republik bis zum 18. November 1918 regierte. Ihm folgten Ben Hebard Fuller (bis 25. Februar 1918), Konteradmiral Thomas Snowden (bis 3. Juni 1921), Konteradmiral Samuel Robinson (bis 20. Oktober 1922) und Brigadegeneral Harry Lee (bis Juli 1924) im Amt.
Der Kongress in Santo Domingo wurde aufgelöst und die dominikanische Verfassung für illegal erklärt. Francisco Henríquez, der erst ein halbes Jahr zuvor zum Präsidenten gewählt worden war, verließ am 8. Dezember 1916 die Dominikanische Republik in Richtung Puerto Rico, um anschließend in den USA – vergeblich – seine Wiedereinsetzung zu verhandeln. Von Kuba aus startete er dann eine nationale Kampagne gegen die US-Besatzung seines Landes.
Bewaffneter Widerstand …
Gegen die Okkupation des Landes wehrten sich die Dominikaner in doppelter Weise: Zum einen leisteten Guerilleros (auch als „Gavilleros“ bezeichnet) im Osten des Landes von Anfang 1917 bis Mai 1922 bewaffneten Widerstand; zum anderen entwickelte sich eine Nationalbewegung, die das Ende der US-Okkupation forderte und besonders in den Städten sowie im Ausland aktiv war. Zu den bekanntesten Guerillaführern zählten Vicente Evangelista (Vicentico), Pedro Celestino del Rosario (Tolete), Eustacio Reyes (Bullito) und Ramón Natera. Nach Schätzungen der Marines kämpften im September 1918 etwa 600 Guerilleros gegen die Besatzungstruppen.
Dass sich der bewaffnete Widerstand auf den Osten des Landes beschränkte, hat mehrere Gründe. Politisch entscheidend war die Caudillo-Tradition. Obwohl diese mehr oder weniger im ganzen Land verbreitet war und deren Beseitigung zu den Hauptzielen der Militärregierung zählte, verband sie sich in den Operationsgebieten der Guerilla mit einer sozialen Besonderheit. Hier lebten Kleinbauern, die zumeist Subsistenzwirtschaft betrieben und im Zuge der Ausbreitung der großen Zuckerplantagen bereits ihr Land verloren hatten bzw. befürchten mussten, bald von diesem Schicksal betroffen zu sein. Eine weitere Rekrutierungsquelle der Guerilla waren die zahlreichen Landarbeiter, die außerhalb der Erntezeit ohne Arbeit und Verdienst waren. Hinzu kommt, dass das schwer zugängliche Hinterland ideale Rückzugsräume bot. Die ansässige Landbevölkerung, die von den Marines immer wieder drangsaliert wurde, unterstützte die „Gavilleros“. Diese genossen auch deshalb die Sympathie der einfachen Landarbeiter und Bauern, weil sie die großen, zumeist ausländischen Landeigentümer zur Kasse baten. Nach einem Rückgang der Guerilla-Aktivitäten ab Mitte 1917 konnten die Guerilleros bis 1921 gegen den überlegenen Gegner ein militärisches Patt erkämpfen. Neue politische Möglichkeiten einerseits und die veränderte Taktik der Marines andererseits, die ein Amnestieangebot einschloss, führten zu Verhandlungen beider Seiten, in deren Ergebnis die Guerilla ihren Kampf einstellte. Zwischen dem 6. April und dem 31. Mai 1922 legten 140 Guerilleros ihre Waffen nieder. Bei ihnen handelte es sich um den harten Kern des bewaffneten Widerstandes. Diejenigen, die die „Gavilleros“ unterstützt oder sich gelegentlich an deren Aktionen beteiligt hatten, konnten unerkannt in ihr ziviles Leben zurückkehren.
Tabelle 1: Mannschaftsstärke der US-Marines in der Dominikanischen Republik
Monat/ Jahr |
Mai 1916 |
Nov. 1916 |
Mai 1917 |
Feb. 1919 |
Okt. 1921 |
März 1924 |
Juli 1924 |
Stärke |
632 |
2219 |
1683 |
3007 |
2323 |
2076 |
890 |
Quelle: Veggeberg, S. 35
… und Nationalbewegung
Angesichts der militärischen Übermacht der Besatzer und der Uneinigkeit der Dominikaner gegenüber dem Okkupationsregime hatten sich die Nationalisten zunächst auf die Agitation für ihre Forderungen in Lateinamerika und in den USA sowie den Aufbau von Juntas Nacionalistas in der Dominikanischen Republik konzentriert. Für die Auslandsarbeit war die Comisión Nacionalista Dominicana zuständig. Als der Weltkrieg 1918 zu Ende gegangen war, schöpfte die Nationalbewegung neue Hoffnungen, da nun das Argument Washingtons, die Karibik vor den Angriffen der Deutschen schützen zu müssen, als Begründung für die Okkupation hinfällig geworden war. Präsident Henríquez y Carvajal reiste Anfang 1919 sogar zur Friedenskonferenz in Versailles, um die Möglichkeiten eines Abzugs der US-Marines auszuloten. Aber weder dort noch in Washington fand er mit seinem Anliegen Gehör.
Erst das Jahr 1920 brachte eine Wende für die dominikanische Nationalbewegung. Im Februar gründeten Fabio Fiallo und Américo Lugo die Unión Nacional Dominicana (UND), die ihre Aktivitäten auf zwei Prinzipien gründete: Sofortige Wiederherstellung der Souveränität der Dominikanischen Republik und Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit der Militärregierung. Die erste große Protestaktion gegen die US-Intervention bildete die Semana Patriótica (Patriotische Woche), die vom 12. bis 19. Mai 1920 stattfand. Unter dem wachsenden Druck der Nationalbewegung, die parallel dazu ihre Auslandsarbeit intensiviert hatte, erlangte das “dominikanische Thema” auch im US-Wahlkampf zunehmende Bedeutung. Der amtierende Präsident reagierte darauf am 23. Dezember 1920 mit dem nach ihm benannten Wilson-Plan, der jedoch von der dominikanischen Bevölkerung vehement abgelehnt wurde. Der neue Präsident, Warren G. Harding (1921-1923), legte am 14. Juni 1921 einen weiteren Plan zum Abzug der US-Truppen vor. Diesem erging es aber nicht anders als seinem Vorgänger: Auch er stieß auf massive Ablehnung. Die breite Protestwelle, die die Besatzungsmacht völlig überraschte, führte zur Gründung weiterer nationalistischer Organisationen wie der Junta de Abstención Electoral, die gegen die Abhaltung von Wahlen unter US-Kontrolle kämpfte. In Santiago entstand die Asociación de Jóvenes Dominicanos, und in Santo Domingo formierte sich die Asociación de Jóvenes Independientes. Beide lehnten den neuen US-Vorschlag ebenfalls ab. Die Fronten verhärteten sich bis Ende 1921 weiter. Die Nationalbewegung einigte sich am 7. Dezember im Pakt von Puerto Plata auf die geschlossene Ablehnung des Harding-Plans. Damit scheiterte Washington mit seinen Plänen, sich das Besatzungsregime durch die Zustimmung der Dominikaner legitimieren zu lassen. Auf der Gegenseite machte die US-Senatskommission, die die Okkupation von Haiti und der Dominikanischen Republik untersuchen sollte und zu diesem Zweck im Dezember 1921 auch Anhörungen in Santo Domingo durchführte, keinerlei Anstalten, den Erwartungen der Dominikaner nach einer fairen Untersuchung des Besatzungsregimes entgegen zu kommen.
Vom Patt zum Abzug
In dieser Pattsituation unternahm Francisco Peynado, ein prominenter dominikanischer Rechtsanwalt, im März 1922 in Washington erste Sondierungsversuche, um doch noch zu einem Kompromiss auf der Grundlage des Harding-Plans zu kommen. In der Zwischenzeit hatte die Einheit der Nationalbewegung, die im Pakt von Puerto Plata noch demonstrativ besiegelt worden war, zu bröckeln begonnen. Die Finanzen waren weitgehend erschöpft, und bei Präsident Henríquez y Carvajal zeigten sich Erschöpfung und Resignation. Besonders die Führer der politischen Parteien, die sich bei künftigen Wahlen Chancen auf einen Sieg ausrechneten, setzten zu diesem Zweck auf geheime Verhandlungen mit Washington. Am 30. Juni 1922 unterzeichneten Federico Velásquez, Horacio Vásquez und Elías Brache ein entsprechendes Memorandum, dem am 23. September ein offizielles Abkommen mit dem US-Außenminister Charles Evans Hughes folgte. Außerdem unterschrieben Francisco Peynado und der Erzbischof von Santo Domingo, Adolfo Nouel, sowie der US-Diplomat Sumner Welles.
Dieses Dokument, das als Hughes-Peynado-Abkommen bekannt geworden ist, enthielt folgende Punkte: Anerkennung der meisten Erlasse der Militärregierung sowie der Kredite, die zu deren Umsetzung von der Besatzungsmacht in Anspruch genommen worden waren, die Einsetzung einer provisorischen Regierung sowie die Abhaltung von Wahlen unter Aufsicht der US-Truppen. Auch wenn die Nationalbewegung mehrheitlich gegen das Abkommen Sturm lief und zum Boykott der vorgesehenen Wahlen aufrief, konnte sie dessen Umsetzung nicht mehr verhindern. Je näher der Wahltermin rückte, desto mehr verloren ihre radikalen Führer an Einfluss. Am 22. Oktober 1922 trat Juan Bautista Vicini Burgos sein Amt als Provisorischer Präsident an. Am 15. März 1924 fanden die Wahlen statt, und am 12. Juli desselben Jahres übernahm Horacio Vásquez die Präsidentschaft mit Federico Velásquez als Vizepräsident. Beide hatten sich zur Alianza Nacional-Progresista zusammengeschlossen und so die Wahlen gewonnen. Mit dem Hughes-Peynado-Abkommen hatten die USA ihr wichtigstes Anliegen, die Anerkennung und Konsolidierung der Ergebnisse der Okkupation, durchgesetzt. Am 18. September 1924 konnte dann der letzte Marine die Dominikanische Republik verlassen. Aus der Sicht Washingtons hatte die Besatzung nach acht Jahren als Erfolgsgeschichte ihren Abschluss gefunden.
Ergebnisse und Wirkungen der Okkupation
Was aber machte diesen Erfolg aus? Und was hatte die Bevölkerung der Dominikanischen Republik davon? Die Arbeit der Militärregierung konzentrierte sich auf die Umsetzung von vier Programmen. Neben dem Aufbau eines modernen Bildungssystems galt die Aufmerksamkeit der Besatzungsbehörden der Verbesserung des Gesundheits- und Sanitärwesens. Einen dritten Pfeiler der Besatzungspolitik bildeten die öffentlichen Arbeiten, die vor allem den Bau von Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien, Telegrafenverbindungen und öffentlichen Gebäuden umfassten. Mit dem Aufbau einer Guardia Civil Dominicana und der allgemeinen Entwaffnung der Bevölkerung sollte das Gewaltmonopol des künftigen Staates durchgesetzt und gesichert werden. Außerdem schuf die Militärregierung eine neue Steuergesetzgebung und veränderte das Zollregime im Sinne des Freihandels. Große Bedeutung besaß die Landfrage, die mit Hilfe der vollständigen Erfassung der Ländereien (Kataster) und der juristischen Legalisierung von Eigentumstiteln im Sinne der großen Agrargesellschaften und Landbesitzer „gelöst“ werden sollte.
Bei der Umsetzung dieses Modernisierungsprojekts stießen die USA jedoch auf zahlreiche Probleme und Widerstände. Neben der Ablehnung durch die dominikanische Bevölkerung schlugen vor allem die Unerfahrenheit und die rassistisch motivierte Arroganz der Besatzungsbehörden, die Schwierigkeiten bei der Finanzierung sowie die Wirtschaftskrise von 1921 bis 1924 negativ zu Buche. Auch die Auswirkungen des 1. Weltkrieges, der nicht nur große Ressourcen der USA band, sondern auch viele negative Auswirkungen auf die Exportwirtschaft des Karibikstaates hatte, schufen zahlreiche Probleme.
Ungeachtet aller Schwierigkeiten und der damit verbundenen Zeitverzögerungen war die Besatzungsmacht vor allem mit zwei Programmen erfolgreich, die in ihrer Synergiewirkung drei wichtige Veränderungen im Sinne der US-Pläne bewirkten. Durch den Ausbau des Verkehrs- und Kommunikationswesens sowie die Schaffung der Guardia Nacional wurde erstmals in der dominikanischen Geschichte das Gewaltmonopol des Staates durchgesetzt. Als neue Institution übernahm die Nationalgarde die militärische Kontrolle über alle Teile des Landes und damit all jene Aufgaben, die zuvor die Armee, die Marine und die Republikanische Garde wahrgenommen hatten, darunter auch den Zoll und den Grenzschutz.
Zweitens konnte die Verbindung zwischen den verschiedenen Landesteilen deutlich verbessert werden. Das betraf in erster Linie die Nord-Süd-Verbindung, aber auch die Anbindung des Ostens. In Richtung Westen wurde der Zugang zur Region an der Grenze zu Haiti erleichtert.
Drittens fanden die exportorientierte Landwirtschaft (vor allem der Zuckersektor) und der Handel nunmehr bessere Möglichkeiten für ihre Expansion vor. Die Waren konnten schneller zu den Häfen transportiert werden und ganze Landstriche, die vorher isoliert gewesen waren und wo die Subsistenzwirtschaft dominiert hatte, wurden für den kapitalistischen Weltmarkt „in Wert“ gesetzt.
Von diesen Erfolgen profitierten neben den USA vor allem die in der Dominikanischen Republik ansässigen Großgrundbesitzer und Großhändler, während dies für die Masse der Landbevölkerung Vertreibung, Armut und Ausbeutung brachte.
Trujillo, Duvalier & Co. – Betriebsunfall oder Betriebsversicherung?
Nach dem Abzug der US-Truppen regierte Horacio Vásquez das Land bis 1930. Die kurze Episode “demokratischer Stabilität” fand jedoch mit der Machtergreifung von Rafael Leonidas Trujillo ihr Ende. Trujillo hatte sich in der Nationalgarde, in die er 1919 eingetreten war, bis zum Brigadegeneral hochgedient. 1928 übernahm er dann deren Kommando und nutzte 1930 seine Machtposition, um den amtierenden Präsidenten zum Rücktritt zu zwingen und sich selbst ins höchste Staatsamt “wählen” zu lassen. Es folgten mehr als 30 Jahre Diktatur, deren Machtbasis die uneingeschränkte Kontrolle des Trujillo-Clans über die Nationalgarde bildete. Ähnliches vollzog sich auch in anderen karibischen Ländern sowie auf den Philipinen, die zuvor von den USA jahrelang okkupiert worden waren (siehe Tabelle 2).
Tabelle 2: Diktaturen in Ländern, die zuvor von den USA okkupiert worden waren
Land |
US-Okkupation |
Diktatur |
Wichtige Ereignisse |
Dominikanische Republik |
1916-1924; 1965-1966 |
Rafael Leonidas Trujillo 1930-1961 |
gescheiterte Demokratisierung (1962-1965); neo-trujillistisches Regime unter Joaquín Balaguer (1966-1978) |
Haiti |
1915-1934; 1994-1996 |
Francois Duvalier 1957-1971 Jean-Claude Duvalier 1971-1986 |
historische Kräfteverschiebung von den Mulatten zu den Schwarzen (1930-1946) |
Kuba |
1898-1902; 1906-1909 |
Gerardo Machado 1925-1933 Fulgencio Batista 1940-1944 (gewählt) 1952-1959 (Dikatur) |
Revolution 1933-1934 Revolution unter Fidel Castro 1959; Bruch mit den USA und Bündnis mit der Sowjetunion |
Nicaragua |
1912-1925; 1927-1933 |
Anastasio Somoza García 1937-1947; 1950-1956 Luis Somoza Debayle 1956-1963 Anastasio Somoza Debayle 1967-1972; 1974-1979 |
Rebellion unter A. C. Sandino 1927-1934 Sandinistische Revolution 1979-1990 |
Philippinen |
1898-1946 1941-1945 von Japan besetzt |
Ferdinand Marcos 1965-1969 (gewählt) 1972-1986 (Diktatur) |
1942-1945 bewaffneter Wider-stand gegen die Japaner 1949-1952 Erhebung der Hukbalahap |
In der Dominikanische Republik und in Nicaragua waren es sogar die Chefs der von den USA aufgebauten und trainierten Nationalgarde, die sich schon wenige Jahre nach Abzug der Marines an die Macht geputscht hatten und über 30 (Trujillo-Clan) bzw. über 40 Jahre (Somoza-Clan) ihre blutigen Diktaturen aufrechterhalten konnten.
Der historische Tatbestand, dass dem Besatzungsregime der USA über kurz oder lang Diktatoren folgten, wirft eine Reihe von Fragen auf. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen diesen beiden historischen Phänomenen? Warum akzeptierten die USA die Diktaturen in ihrem unmittelbaren Herrschaftsbereich? Und wie lässt sich dies mit den „demokratischen Werten“ der westlichen Führungsmacht vereinbaren? Die ursprüngliche Begründung für den Aufbau sog. Constabulary Forces durch die US-Besatzungsmacht war die Herstellung politischer Stabilität in Ländern, die für Washington geopolitisch und ökonomisch von strategischer Bedeutung waren (Millett 2010). Dies sollte im Rahmen eines forcierten Nation-building erreicht werden und weitere militärische Interventionen seitens der USA überflüssig machen. Dass diese ehrgeizigen Projekte in blutigen Diktaturen und später sogar in antiimperialistischen Revolutionen (Kuba, Nicaragua) bzw. Anläufen dazu (Dominikanische Republik, Philippinen) endeten, hat sowohl strukturelle als auch projektbedingte Gründe. Die Entscheidungsträger in Washington, die mit der Okkupation Nation-building in ihrem Sinne und Verständnis betreiben wollten, waren nicht in der Lage, die entscheidenden strukturellen Defizite und Hindernisse zu erkennen, die ihren Absichten zuwiderliefen.
Wie sah ihre Strategie aus? Im Grunde handelte es sich um ein reformistisches Modernisierungsprojekt, das durch den Aufbau effektiver Institutionen (Armee, zentralisierte Bürokratie, Justiz, Steuergesetzgebung, Kataster etc.) das Gewaltmonopol des Staates sowie den Aufschwung der Wirtschaft durch Marktöffnung und Rechtssicherheit für Investoren sicherstellen sollte. Dies geschah in enger Zusammenarbeit mit jenen Teilen der Elite, die sich von einer solchen Modernisierung Vorteile versprachen und damit zugleich ihre Machtstellung stärken wollten. Für die Mehrheit der Bevölkerung bedeutete dieser Kurs zweierlei: Erstens wurden die Existenzgrundlagen der Landbevölkerung (Subsistenzwirtschaft) zerstört, die nun gezwungen war, ihre Arbeitskraft um jeden Preis im Agrarexportsektor, der tragenden Säule des angestrebten Wirtschaftsmodells, zu verkaufen – das heißt: schlechte Löhne, Arbeitslosigkeit außerhalb der Erntezeit, miserable Arbeitsbedingungen, keine Rechte. Zweitens konnten die Großgrundbesitzer und Agrargesellschaften bei Protesten und Widerstand der Ausgebeuteten nunmehr auf einen Staat zurückgreifen, dessen Repressivapparat (Nationalgarde) auf dem neusten Stand war. In dieser Konstellation (Elite – Staatsapparat – ausgebeutete Massen) kam der Nationalgarde eine Schlüsselstellung zu. Da es keine effektiven Gegengewichte (Rechtsstaat, Zivilgesellschaft, demokratische Traditionen, starke Arbeiterbewegung) gab, war die Versuchung groß, sich das Gewaltmonopol des Staates „anzueignen“ und eine personalistische Diktatur zu errichten. Für die USA hatten politische Stabilität, Marktöffnung und Unterordnung unter die Interessen Washingtons Priorität, weshalb sie die Diktatoren solange unterstützten, wie sie all dies sicherstellen konnten. In diesem Sinne handelte es sich bei Trujillo, Duvalier und Co. eher um eine Betriebsversicherung, die – wenn auch nicht unbedingt von vornherein so geplant – dennoch gern in Anspruch genommen wurde. Die Gewaltherrscher waren zwar „Hurensöhne“, aber eben doch „unsere“ – wie dies Franklin D. Roosevelt, bezogen auf Anastasio Somoza García, trefflich auf den Punkt brachte.
Literatur:
Betances, Emilio: The Formation of the Dominican Capitalist State and the United States Military Occupation of 1916-1924. MACLAS Latin American Essays, Vol. IV, April 1990, S. 231-253
Calder, Bruce: The Impact of Intervention. The Dominican Republic during U.S. Occupation of 1916-1924. Austin 1984
Castor, Suzy /Garafola, Lynn: The American Occupation of Haiti (1915-34) and the Dominican Republic (1916-24), in: The Massachusetts Review, Vol. 15, No. 1/2, Caliban (Winter – Spring 1974), S. 253-275
Davies Tillmann, Ellen: Imperialism revised: Military, Society, and U.S. Occupation in the Dominican Republic, 1880-1924. Diss., Urbana/ Illinois 2010
Millett, Richard: Searching for Stability: The U.S. Development of Constabulary Forces in Latin America and the Philippines. Occasional Paper/ Combat Studies Institute, 2010
Veggeberg, Vernon: A Comprehensive Approach to Counterinsurgency: The U.S. Military Occupation of the Dominican Republic, 1916-1924. Master Thesis, Quantico (Va.) 2008
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Bildquellen: [1], [2], [3] Public Domain