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Das andere 1989: Vor 25 Jahren führten die USA Krieg gegen Panama

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 15 Minuten

Panama: de-facto Machthaber Manuel Noriega (03.01.1990) - Foto: US Marshals ServiceWährend die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit Ende 1989 von den Ereignissen in Osteuropa und der DDR gefesselt war, vollzogen sich in der westlichen Hemisphäre ähnlich dramatische Ereignisse, die heute vergessen scheinen. Am 20. Dezember fielen 26.000 Mann US-Elitetruppen kurz nach Mitternacht in Panama ein und lieferten sich heftige Gefechte mit den Verteidigungskräften (FFDD) des kleinen zentralamerikanischen Landes. Die Invasionstruppen griffen mit koordinierten Land-Luft-Operationen an 27 Orten gleichzeitig an und waren den 16.000 Angehörigen der FFDD zahlenmäßig, logistisch und technisch weit überlegen. Die offizielle Bilanz der Invasion belief sich auf 539 getötete Menschen: 314 Angehöriger der FFDD, 202 Zivilisten und 23 US-Soldaten. Die inoffizielle Zahl der Toten geht in die Tausende, zumeist Zivilisten. Weder Panama noch die USA haben bisher den Versuch unternommen, die genauen Opferzahlen zu ermitteln.

Präsident Bush (sr.) hatte die militärische Aggression seines Landes offiziell vierfach begründet: Erstens sollte das Leben von 35.000 US-Bürgern (darunter 13.000 Angehörige der in der Kanalzone stationierten US-Streitkräfte) geschützt werden; zweitens galt es, die Neutralität des Panamakanals zu gewährleisten; drittens wollte man die Demokratiebewegung in Panama unterstützen; viertens hatten die US-Truppen den Auftrag, General Manuel Noriega festzusetzen, um ihn in Miami aufgrund seiner Verwicklung in Drogengeschäfte anklagen zu können. Das Problem bestand allerdings darin, dass Noriega nicht nur Oberbefehlshaber der Armee Panamas (FFDD), sondern inzwischen auch der Präsident seines Landes war. Außerdem hatte er von 1971 bis 1987 (mit kurzen Unterbrechungen) auf den Gehaltslisten der CIA gestanden und seit 1976 enge Kontakte mit George Bush (sr.) gepflegt. Wie hatte es diese berüchtigte und schillernde Gestalt fertig gebracht, zum „Lieblingsfeind“ der US-Adminstration zu avanzieren?

Doppeltes Spiel und Verschiebung der Prioritäten

Zum einen hatte Noriega gegenüber den USA den Bogen überspannt. Nachdem 1987 bekannt geworden war, dass er auch an Kuba Geheiminformationen geliefert hatte und die US-Justiz seit Anfang 1988 wegen seiner Drogengeschäfte ermittelte, war in Washington ein heftiger Streit um die Person Noriegas entbrannt. Während das State Department ihn um jeden Preis entfernen wollte, standen das Pentagon und die Vereinigten Stabschefs dem ablehnend gegenüber. Dort war man der Meinung, dass die Risiken eines militärischen Eingreifens zu groß seien (Kempe 1990:311). Zum anderen fiel in Washington 1988 eine Grundsatzentscheidung, die die Causa Noriega in neuem Licht erschienen ließ: Der „war on drugs“ erhielt nun oberste politische Priorität.

Im Rückblick lassen sich fünf Krisen benennen, die gleichsam als Stationen der Entfremdung zwischen Noriega und seinen vormaligen Freunden in Washington gelten können (Gilboa 1995-96). Den Auftakt bildete 1985 die Ermordung des beliebten Oppositionspolitikers Hugo Spadafora durch Angehörige der FFDD. 1987 kam es im Juni zu Massenprotesten gegen Noriega, der von seinem Rivalen Oberst Díaz Herrera öffentlich der Verwicklung in Drogengeschäfte und anderer Verbrechen bezichtigt worden war. Dies wiederum gab den Anstoß für eine Resolution des US-Senats, in der von Noriega öffentliche Rechenschaft verlangt und sein Rücktritt gefordert wurde. Die dritte Krise wird durch den Putsch des panamaischen Polizeichefs, Oberst Leonidas Macias, vom 18. März 1988 markiert. Da auch diese Attacke gegen Noriega kläglich scheiterte, fühlte sich dieser politisch soweit gestärkt, dass er die Wahlen vom Mai 1989 annullieren ließ, worauf US-Präsident Bush (sj.) mit einem Sieben-Punkte-Plan reagierte, der mit einer Kombination von Druck und Diplomatie eine „ehrenvolle Lösung“ durchsetzen sollte. Nach einem erneuten Putschversuch gegen Noriega am 3. Oktober 1989, der ebenfalls scheiterte, war man in Washington zunächst ratlos.

Im Dezember eskalierte dann die angespannte Situation: Am 15. lässt sich Noriega von der Nationalversammlung zum Regierungschef und „obersten Führer der nationalen Befreiung“ ernennen, und einen Tag später wird ein Leutnant des Marine-Corps von Angehörigen der FFDD erschossen. Am 17. Dezember 1989 entschied sich Bush (sj.) schließlich für eine umfassende Militärintervention gegen Panama, der er den Namen „Just Cause“ (dt.: Gerechte Sache) gab. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, diesen gravierenden Entschluss allein aus den wachsenden Spannungen zwischen Panama und den USA erklären zu wollen.

Historische Einordnung

Panama: Kanalverwaltung_Hauptgebäude - Foto: Quetzal-Redaktion, tp.Immerhin fällt der Krieg gegen das kleine zentralamerikanische Land in eine Zeit globaler Umbrüche: Die USA und die Sowjetunion erklären einvernehmlich das Ende des Kalten Krieges, am 9. November fällt die Berliner Mauer, und überall in Osteuropa ist ein Systemwechsel im Gange. Vor diesem Hintergrund sehen sich die USA doppelt gefordert, Stärke zu zeigen: Einmal, um ihren Status als siegreiche Supermacht zu demonstrieren, zum zweiten, um angesichts der neuen Herausforderungen auf globaler Ebene endgültig ihren Abschied vom „Vietnam-Syndrom“ deutlich zu machen. Die am 20. Dezember 1989 gestartete Invasion ist nicht nur die größte Militäroperation der USA seit dem Ende des Vietnamkrieges, sondern zugleich das Modell für zukünftige Aktionen der US-Streitkräfte. Panama markiert damit eine zentrale Schnittstelle im Übergang von der Epoche der Bipolarität und des Kalten Krieges zu einer Ära, von der die USA glauben, die Welt nunmehr unipolar dominieren zu können. Was sich 1989 in Panama angedeutet hatte, fand zwei Jahre später auf der arabischen Halbinsel mit „Dessert Storm“ seine Bestätigung (Abonadi 2006:49/50): „Just Cause“ signalisierte einen grundlagenden Wechsel in der Selbstwahrmehmung der USA – von der angeschlagenen und sich im Niedergang befindenden Nation zur einzigen und damit siegreichen globalen Supermacht.

Nach dem erfolgreichen Test von 1989 und dem Golfkrieg gegen Saddam Husein (1991) folgten dann Militäroperationen, die nach dem gleichen Muster wie in Panama abliefen: das weniger erfolgreiche Eingreifen in Somalia (1993), die Invasion in Haiti (1994), die Kampfeinsätze in Bosnien (1996) und im Kosovo (1999), mit denen die Zerschlagung Jugoslawiens endgültig besiegelt wurde. Diese Weltordnungskriege der USA (Kurz 2003) fanden ihre Fortsetzung in Afghanistan (2001) und Irak (2003). Damit bewährte sich das erstmals in Panama erprobte Konzept auch außerhalb der westlichen Hemisphäre.

Eine dritte Ebene der historischen Einordnung führt in die Region Zentralamerika zurück. Zeitlich liegt „Just Cause“ zwischen dem als Endoffensive der FMLN konzipierten Angriff auf der salvadorianischen Guerilleros im November 1989 und der Abwahl der Sandinisten in Nicaragua im Februar 1990. Während des gesamten Zentralamerika-Konflikts, der auf den Sieg der FSLN über die Somoza-Diktatur am 19. Juli 1979 folgte, hatte es die USA stets vermieden, militärisch direkt zu intervenieren. Statt dessen päppelten sie die nicaraguanischen Contras auf, rüsteten die Armee El Salvadors hoch und bauten Honduras zum „unsinkbaren Flugzeugträger“ aus. Dass sich die USA im Fall Noriega 1989 dennoch zu einer Invasion mit eigenen Truppen entschlossen, hatte zweifellos eine Signalwirkung für die gesamte Region. Der FMLN wurde noch einmal deutlich gemacht, dass sie sich einen militärischen Sieg aus dem Sinn schlagen konnte, während den Nicaraguanern die Folterinstrumente gezeigt wurden. Zwar wird man nie genau ermitteln können, wie groß der Einfluss war, den der schnelle Sieg der US-Elitetruppen über die panamaische Armee auf die Bevölkerung und den Wahlausgang vom 25. Februar 1990 hatte. Es dürfte jedoch klar sein, dass er wesentlich zur Abwahl und zum Machtverzicht der Sandinisten beigetragen hat. Noriega, der seine Schaukelpolitik auch gegenüber der FSLN praktiziert hatte und dabei vor allem auf seinen eigenen Vorteil bedacht war, stellte dennoch einen wichtigen Verbündeten im Kampf gegen die Dominanz der USA dar. Als Imitiator und Mitglied der Contadora-Gruppe spielte Panama eine wichtige Rolle bei den Bemühungen, der Einmischung der USA in Zentralamerika Grenzen zu setzen.

Wertung und Vergleich

Panama: Ciudad Viejo - Foto: Quetzal-Redaktion, tpleipzig.tpSieht man sich die offizielle Begründung Washingtons für seine Invasion in Panama an, so kommen einem die vorgebrachten Argumente sehr vertraut vor. Förderung der Demokratie, Schutz von Menschenleben, Darstellung des Feindes als Verkörperung des Bösen, Sorgen um die bedrohte Freiheit des Handels, Vertuschung der eigenen Kriegsverbrechen und einseitige Medienberichte dienen damals wie heute zur Legitimierung sog. humanistischer Interventionen. Fünf Jahre nach der Invasion veröffentlichten prominente panamaische Intellektuelle – Sozialwissenschaftler, Historiker, Juristen, Ökonomen, Künstler, Schriftsteller – im bekannten Kulturjournal „Loteria“ auf fast 500 Seiten ihre Studien, Berichte, Gedichte, Untersuchungen und Meinungen über die Ereignisse um den 20. Dezember 1989 (Beluche et al. 1995). Der Grundtenor ist eindeutig: Die USA haben Völkerrecht gebrochen und Kriegsverbrechen begangen. Die Invasion diente der Durchsetzung imperialer Interessen und zielte auf die Zerschlagung jener Hindernisse, die der vollen Durchsetzung des neoliberalen „Washingtoner Konsensus“ entgegen standen. Dabei konnten die USA mit der tatkräftigen Unterstützung großer Teile der panamaischen Elite rechnen. Als lokale Nutznießer der historisch über Jahrhunderte gewachsenen „Transitmission“ Panamas ergriffen sie ohne Zögern die neuen Möglichkeiten des von den USA militärisch erzwungenen „Übergangs“. Die Armee, die unter Omar Torrijos 1968 die Macht übernommen und neben Sozialreformen die Nationalisierung des Panamakanal durchgesetzt hatte, wurde zerschlagen. Zwar konnten die 1977 zwischen Torrijos und Jimmy Carter geschlossenen Verträge mit der Militäraktion nicht rückgängig gemacht werden, diese brachte den USA dennoch wichtige Vorteile bei deren künftiger Umsetzung.

Das militärische Vorgehen der USA gegen Panama 1989 weist interessante Parallelen zur Krim-Krise von 2014 auf (Strutynski 2014). In beiden Fällen dienten die Militärbasen der USA in der Kanalzone bzw. die Marinebasis der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol als Ausgangspunkte der Infiltration des Territoriums fremder Staaten (Panama bzw. Ukraine).

Zudem konnte dieses Vorgehen damit begründet werden, dass die Regierungen dieser Staaten zum gegebenen Zeitpunkt demokratische Legitimationsdefizite hatten: Weder Manuel Noriega im Dezember 1989 noch Olexandr Turchynow im Februar 2014 waren auf verfassungsmäßige Weise ins Präsidentenamt gelangt.

Auf eine dritte Parallele verweist das Argument, mit der Invasion Menschenleben schützen zu wollen. In beiden Fällen ging es um „Landsleute“: Bush (sj.) war um das Schicksal der 35.000 US-Bürger, zu einem Drittel Militärs, in der Panamakanal-Zone besorgt, Putin wollte die über zwei Millionen Bewohner der Krim, die zu 60 Prozent Russen sind, vor möglichen Exzessen nationalistisch gesinnter Ukrainer schützen.

Viertens spielen wirtschaftliche Sanktionen eine wichtige Rolle. Am 24. Juli 1987 suspendieren die USA ihre gesamte wirtschaftliche und militärische Hilfe für Panama. Im Zuge ihres Vorgehens gegen Noriega ergreifen sie außerdem Massnahmen, die die Position Panamas als internationales Finanzzentrum ernsthaft untergraben. Während sich die Bankguthaben anfangs noch auf knapp 33 Milliarden US-Dollar beliefen, waren diese 1988 auf etwa 14 Milliarden zusammen geschmolzen (Cueva Perus 1990: 148). Das Produktionsniveau der panamaischen Wirtschaft fiel auf 40 Prozent, die des öffentlichen Sektors sogar auf über 20 Prozent. Die Steuereinnahmen beliefen sich auf die Hälfte des Vorjahres. 1989 befand sich das Land in einer Wirtschaftskrise, die durch die Folgen der Invasion noch verschärft wurde (Brown Arrauz 2004:164, 167).

Im Falle der Krimkrise werden Wirtschaftsanktionen von beiden Seiten verhängt, wobei der Westen (USA, EU) die Eskalationsspirale gegenüber Russland initiiert und vorantreibt – auch um den Preis eigener Nachteile. Angesichts des klaren Abhängigkeitsverhältnisses Panamas von den USA ist die Wirkung der Sanktionen in diesem Fall wesentlich gravierender als gegenüber Russland.

Fünftens war die rechtliche Begründung der Invasion in beiden Fälle von Anfang an strittig bis zweifelhaft. Bush kam allerdings zugute, dass die Augen der Weltöffentlichkeit 1989 gebannt auf die Ereignisse in Europa gerichtet waren und sich deshalb die Entrüstung über seine Intervention in Zentralamerika in Grenzen hielt.

Dies verweist auf gewichtige Unterschiede zwischen Panama und der Krim. 1989 führte die US-Intervention gegen Panama zu blutigen Kämpfen und hohen Opfern unter der Zivilbevölkerung, während die Krim ohne Opfer und mit offensichtlicher Unterstützung der Bevölkerung von den „Männern in Grün“ infiltriert werden konnte.

Zudem bestand das Ziel der USA nicht in der Annektion Panamas. Ihnen genügte 1989 ein „Regime Change“, was wiederum Parallelen zum prowestlichen Umsturz in der Ukraine im Februar 2014 aufweist.

Außerdem kann der russische Präsident im Unterschied zu seinem US-amerikanischen Kollegen immerhin geltend machen, dass die Halbinsel bis 1954 Teil Russlands gewesen war, während es sich bei der Kanalzone um ein von den USA kolonial besetztes Territorium handelt, das 1999 an Panama zurück gegeben wurde.

Nicht zuletzt spielen – wie oben bereits angedeutet – die Medien eine völlig unterschiedliche Rolle: Während die Panama-Invasion im Schatten der osteuropäischen „Wende“ stattfand und schon bald dem Vergessen anheim fiel, bleiben Russland und besonders Putin im Fokus hitziger Debatten.

So verzeichnen beide Fälle eine entgegengesetzte Eskalationsdynamik. Trotz der hohen Opfer und der zweifelhaften Legitimation der US-Intervention gegen Panama flaut der Konflikt nach Beendigung der Kämpfe und der Zerschlagung der FFDD rasch ab. Offener Widerstand scheint angesichts der Übermacht der USA sinnlos. Außerdem hatte sich Bush (sj.) vor seinem Einfall in Panama wohlweislich mit dem sowjetischen Präsidenten Michael Gorbatschow abgesprochen.

Im Falle der Krim passiert das genaue Gegenteil: Zwar gerät die Halbinsel nach ihrer Sezession von der Ukraine und dem Anschluss an Russland, die auf der Basis eines Referendums erfolgen, aus der direkten Schusslinie, dafür kommt es aber in der Ostukraine zu einem Bürgerkrieg, für den der Westen Putin verantwortlich macht. Inzwischen ist der Ukraine-Konflikt zum offenen geopolitischen Kräftemessen zwischen Russland und dem Westen (USA, NATO, EU) eskaliert, dessen Aus- bzw. Fortgang offen bleibt. Dennoch kann bereits jetzt festgestellt werden, dass dieser Konflikt eine globale Zäsur markiert, womit sich der Kreis zu 1989 schließt.

Bilanz

Es bleibt die Frage nach den Ergebnissen und Folgen der US-Invasion gegen Panama. Legt man die offiziellen Kriegsziele von Bush zugrunde, dann fällt die Bilanz sehr widersprüchlich aus. Trotz ihres schnellen militärischen Erfolges gelang es den US-Einheiten nicht, Noriega festzunehmen. Dieser konnte für vier Tage untertauchen und suchte am 24. Dezember in der Nuntiatur des Vatikans um Asyl nach. Angesichts des US-amerikanischen Drucks wurde ihm jedoch lediglich der Status als „Gast“ zuerkannt. Sichtlich zermürbt ergab sich Noriega am 3. Januar 1990 schließlich den US-Truppen. Er wurde in Miami vor Gericht gestellt und am 10. Juli 1992 zu 40 Jahren Haft verurteilt. Am 17. Juli 2007 entschied ein US-Gericht, ihn nach Frankreich auszuliefern, wo er 2010 wegen Geldwäsche zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Am 11. Dezember 2011 wurde Noriega nach Panama überstellt, wo er 1993 wegen Mordes an Hugo Spadafora in Abwesenheit zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Seitdem verbüßt er dort seine Strafe in der Haftanstalt „El Renacer“.

Die Drogenkriminalität, wegen der Noriega zu büßen hatte, hat seit 1989 deutlich zugenommen und inzwischen Dimensionen erreicht, die die Stabilität der gesamten Region (einschließlich Mexikos) gefährden. Die Neutralität und die Sicherheit des Panamakanals sowie das Leben der US-Bürger, die dort ihr Domizil hatten, waren hingegen niemals gefährdet. Seit 2000 befindet sich der Kanal wieder unter der Kontrolle Panamas und ist weitgehend entmilitarisiert. Vor sieben Jahren wurde mit seiner Erweiterung begonnen, die 2015 abgeschlossen sein soll. Finanzielle Schwierigkeiten und das anvisierte Projekt eines zweiten interozeanischen Kanals in Nicaragua, hinter dem chinesisches Kapital steht, machen Aussagen über seine Zukunft schwierig. Bleibt von den vier offiziellen Gründen der US-Invasion noch die Frage der Demokratisierung, auf die abschließend etwas näher eingegangen werden soll.

Der Übergang vom Militärregime Noriegas zu einer Polyarchie (hier im Sinne Dahls als „Minimaldemokratie“ verstanden) war das entscheidende Ergebnis der militärischen Intervention der USA. Washington erreichte damit vier wichtige Ziele: Erstens konnte im Vorfeld der Übergabe der Kanalzone an Panama die volle Kontrolle über ein Land zurück erlangt werden, das sich seit seiner Abspaltung von Kolumbien 1903 in hoher Abhängigkeit von den USA befindet und das wegen des interozeanischen Kanals von zentraler geostrategischer Bedeutung ist (Nasi 1990). Zweitens wurde mit der Zerschlagung der FFDD, die unter Omar Torrijos (1968-1981) mit einem national-reformistischen Projekt versucht hatten, diese Abhängigkeit zu lockern, der entscheidende Machtfaktor beseitigt, der einer Rückgewinnung der US-Kontrolle über Panama entgegenstand. Drittens schuf der Regimewechsel die politischen und institutionellen Bedingungen, um die neoliberale Agenda des „Konsensus von Washington“ in Panama vollständig durchsetzen zu können. Viertens waren diejenigen Sektoren der Bevölkerung, die diesem Kurswechsel hätten Widerstand leisten können, von den US-Truppen durch brutales Vorgehen in den traditionellen Arbeiterhochburgen El Chorillo und San Miguelito präventiv „diszipliniert“ worden (Beluche et al. 1995:133ff, 211ff, 263ff; Brown Arrauz 2004:162-164, 166). Zugleich offenbart die Tatsache, dass die USA selbst militärisch intervenieren mußten, dass sie die Widerstände gegen den von ihnen angestrebten Regimewechsel deutlich unterschätzt hatten.

Alles in allem bleibt der 20. Dezember 1989 ein hochaktuelles Lehrstück, dessen vielfältigen Facetten und Anregungen gerade heutzutage größere Aufmerksamkeit verdienen. Im Rückblick enthüllen sich die verheerenden Dimensionen der Fehleinschätzungen und der machtpolitischen Arroganz, die den Weg der USA von Panama 1989 bis zur Ukraine-Krise 2014 kennzeichnen. Bleibt zu hoffen, dass die Erinnerung an den 20. Dezember hilft, endlich einen anderen, besseren Weg einzuschlagen.

Literatur

Abonadi, Earl: Weinberger-Powell and Transformation: Perceptions of American Power from the Fall of Saigon to the Fall of Baghdad. Naval Postgraduate School, Monterey (Cal.) 2006

Beluche, Olmedo et al.: Invasión a Panamá. Revista Cultural Lotería, No. 399, Oct.-nov. 1995, VII época

Brown Arauz, Harry: Alfa y omega de quince años de democracia en Panamá: de la invasión a las elecciones de 2004, in: Revista Española del Pacifico, año XIV (II semestre 2004) No. 17, S. 159-176

Bundeszentrale für politische Bildung: Ukraine, Russland, Europa. Aus Politik und Zeitgeschichte, 64 (17. November 2014) 47-48

Cueva Perus, Marcos: Geoplítica e economía de la crisis panameña, in: Problemas del desarrollo, vol. 21 (1990) 83, S. 143-167

Gilboa, Eytan: The Panama Invasion revisited: Lessons for the Use of force in the Post Cold War Era, in: Political Science Quarterly, vol. 110 (1995-96) no. 4, S. 539-562

Gómez, Víctor Atencio: La Invasión a Panama y el Delito de Agresión, in: Revista Panameña de Política, No. 2, Juli-Dez. 2006, S. 71-105

Johnson Olaosebikan, Aremu: United States‘ Invasion of Panama in 1989: A Paradox, in: The Social Sciences, 2 (2007) 3, S. 270-274

Kempe, Frederick: Aufstieg und Fall Noriegas. Panama-Poker – gefährliches Spiel mit den USA. Wien 1990

Kurz, Robert: Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung. Bad Honnef 2003

Nasi, Carlo: Panamá: Crisis, Invasión y la Nueva Era de Hegemonía Norteamericana, in: Colombia Internacional, No. 9, (Jan.-März 1990), S. 13-24

Strutynski, Peter (Hrsg.): Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Russland und der Westen. Köln 2014

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Bildquellen: [1] US Marshals Service, [2], [3] Quetzal-Redaktion, tp

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