Seitdem Santo Domingo, der spanische Teil der Insel Española, am 27. Februar 1844 seine Unabhängigkeit erlangte, begehen die Einwohner der Dominikanische Republik diesen Tag als ihren Nationalfeiertag. Wenn hier von Bicentenario die Rede ist, dann deshalb, weil sich das karibische Land bereits mehr als 20 Jahre zuvor, am 1. Dezember 1821, von Spanien losgesagt hatte. Allerdings währte diese erste Unabhängigkeit, die independencia efímera, nur drei Monate. Es folgten zunächst der Anschluss an Haiti, das 1804 seine Unabhängigkeit von Frankreich unter schweren Opfern erkämpft hatte, und später, 1844, die endgültige Trennung der beiden Nachbarn. Jedoch blieb die Existenz der Dominikanischen Republik auch weiterhin von inneren Fraktionskämpfen, Aufständen und Interventionen fremder Mächte überschattet. Unter Präsident Pedro Santana kehrte sie am 18. März 1861 für vier Jahre wieder in den Schoß der spanischen Monarchie zurück. Aber auch nach der dritten Unabhängigkeit am 3. März 1865 fand das Land keine Ruhe. 1869 verhandelte Buenaventura Báez, dessen vierte Amtszeit als Präsident 1868 begonnen hatte, sogar über einen Anschluss an die USA. Der US-Senat lehnte die Annexion nach langem Hin und Her am 19. Juni 1871 schließlich mit 28 zu 28 Stimmen ab. Wenn man will, kann man dieses Datum als die vierte Unabhängigkeit Santo Domingos ansehen.
Diese kurze Aufzählung macht deutlich, welche Schwierigkeiten das Land, dessen Territorium nur wenig größer als das der Schweiz ist, auf seinem Weg zur Unabhängigkeit zu bewältigen hatte. Dies lässt sich im wesentlichen auf zwei Faktoren zurückführen. Zum einen war der östliche Teil Españolas weitaus schwächer entwickelt als die reiche französische Kolonie Saint Domingue, die im Westen der Insel lag und lange als „Perle der Karibik“ galt. Zum anderen wurde diese Schwäche immer wieder von fremden Mächten ausgenutzt, um militärisch zu intervenieren. Neben den beiden Kolonialmächten Spanien und Frankreich sowie dem Nachbarland Haiti zählen Großbritannien und die USA dazu. Ausgehend von 1821, dem Jahr der ersten, kurzen (span. efímera) Unabhängigkeit werden dieses Faktoren und ihr Zusammenwirken im folgenden näher beleuchtet. Damit werfen wir zugleich einen Blick auf ein wenig bekanntes Kapitel der dominikanischen Geschichte – vielleicht ein Anlass, sich ausführlicher mit dem Schicksal des kleinen Landes zu befassen, das für die meisten der Inbegriff eines sorglosen Karibikurlaubes ist.
Kolonie im Abseits
Christoph Kolumbus erreichte die Insel, die er Española taufte, im Dezember 1492. Für die ursprüngliche Bevölkerung von ca. 400.000 Menschen, in der Mehrheit Tainos, begann eine Schreckensherrschaft, die sie nicht überleben sollte. Knapp 20 Jahre später hatte sich ihre Zahl auf 33.523 reduziert. 1519 leistete eine kleine Gruppe von 500 unter dem Kaziken Enriquillo den letzten verzweifelten Widerstand. Die Spanier begannen daraufhin, afrikanische Sklaven als Arbeitskräfte in den Bergwerken und in den Zuckermühlen (span. ingenios) einzusetzen. Bis zur Eroberung Mexikos und Perus bildete Santo Domingo, 1498 von Kolumbus gegründet, den Hauptsitz der Kolonialverwaltung. Hier wurden die erste erzbischöfliche Kathedrale (Grundsteinlegung 1521) und die älteste Universität (1538) der „Neuen Welt“ errichtet. Als Havanna, der wichtigste Hafen der Nachbarinsel Kuba, 1543 zum Knotenpunkt des transatlantischen Handels aufzusteigen begann, geriet Santo Domingo zunehmend ins Abseits. Die Insel versank immer mehr in Armut und ihre Bevölkerung ging drastisch zurück.
Die mit Spanien rivalisierenden europäischen Mächte (England, Frankreich, Holland) drangen ab 1620 in die Karibik vor und eroberten bis 1635 zahlreiche Inseln (Barbados, Curacao, Guadeloupe, Martinique). Auf der nordwestlich von Española gelegenen Insel Tortuga ließen sich Freibeuter nieder, die neben der Piraterie von der Jagd auf verwilderte Rinder und vom Schmuggel lebten. Trotz mehrfacher Versuche der Spanier, Tortuga unter ihre Kontrolle zu bekommen, entwickelte sich die Insel zum Einfallstor für die schrittweise Expansion vor allem französischer Siedler, die sich im Nordwesten Españolas niederließen. 1677 lebten dort in elf Siedlungen (Tortuga eingeschlossen) mehr als 4.000 Menschen. Nach einem neuerlichen Krieg zwischen Frankreich und Spanien kam es im Frieden von Rijswijk 1697 zur Teilung der Insel mit Saint Domingue im Westen und Santo Domingo im Osten.
Während sich die französische Kolonie zum produktivsten Glied der globalen Zuckerproduktion entwickelte, stagnierte die Wirtschaft im Osten. Hier lebte die Bevölkerung hauptsächlich von der Subsistenzwirtschaft und dem Schmuggel, besonders mit Vieh. Die wachsende Bevölkerung und die Expansion der Zuckerproduktion auf der französischen Seite sicherten den spanischen Viehhändlern gute Gewinne. 1743 wurde der Viehhandel von der Kolonialverwaltung in Santo Domingo schließlich legalisiert. Damit wurde die Arbeitteilung zwischen der reichen französischen Kolonie im Westen (Saint Domingue) und dem armen spanischen Kolonie im Osten (Santo Domingo) endgültig festgeschrieben. Immerhin gelang es dem Osten auf dieser Grundlage, seine Stagnation zu überwinden. So vervierfachte sich die Bevölkerung innerhalb von 50 Jahren von 18.410 Einwohnern (1718) auf 73.319 (1769). 1783 überstieg sie schließlich die Zahl von 80.000, davon etwa 25.000 in der Haupstadt Santo Domingo. In dieser Zeit entstanden auch Kakaopflanzungen und etwa 30 ingenios.
Im Strudel der haitianischen Revolution
Die französische Revolution von 1789 erfasste auch Saint Domingue. Die verschiedenen Gruppen der Kolonialgesellschaft, in der die 40.000 Weißen und eine ebenso große Anzahl von freien Farbigen gegenüber den 500.000 Sklaven eine kleine Minderheit bildeten, verbanden mit dem Ausbruch der Revolution im Mutterland unterschiedlcihe Hoffnungen und Interessen. Am radikalsten und für die beiden anderen Gruppen am gefährlichsten waren die Forderungen der schwarzen Sklaven nach Freiheit. Als am 14. August 1791 im Norden von Saint Domingue ein großer Aufstand der Schwarzen ausbrach, stellten die Weißen und Mulatten ihre Differenzen zurück und verbündeten sich mit der französichen Kolonialverwaltung gegen die Aufständischen. Diese gingen daraufhin eine Allianz mit den Spaniern ein, die ihreseits den Sklaven die Freiheit versprachen, um so die Herrschaft über die gesamte Insel zurück zu erlangen.
Als die französischen Revolutionskommissare 1793 die Sklaverei in der Kolonie abschafften, wechselte Toussaint Louverture, einer der bedeutendsten Führer der Aufständischen, mit 4.000 Mann von der spanischen auf die französische Seite. Dank seiner politischen und militärischen Fähigkeiten stieg der General rasch zum Revolutionsführer auf. Nach dem Sieg über die britischen Truppen im April 1798 befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Macht, die sich nunmehr auf die gesamte Insel erstreckte. Zuvor hatte Spanien im Frieden von Basel 1795 seine Kolonie Santo Domingo an Frankreich abtreten müssen. Damit war das Schicksal des östlichen Teils Españolas für die nächsten 50 Jahre aufs engste mit jenen tiefgreifenden Umwälzungen verbunden, die 1804 in der Gründung des neuen Staates Haiti gipfelten. Diese Verknüpfung schloss dramatische Ereignisse auf der Insel ebenso ein wie die wechselnden Allianzen in Europa. Erst 1844, als der Osten Españolas seine eigene Unabhängigkeit erklärte, kam es dann zur endgültigen Trennung.
Zunächst hing das Schicksal Santo Domingos davon ab, ob es Toussaint Louverture gelang, sich gegen seine Kontrahenten durchzusetzen. Zuerst hinderten ihn die Vertreter der französichen, Republik, dann die Landung der Briten auf Española und schließlich der Bürgerkrieg zwischen Schwarzen und Mulatten im Westen daran, den Osten vollständig in seinen Machtbereich einzugliedern. 1801 war es dann schließlich soweit: Im Februar nahm er die Kapitulation des spanischen Governeurs Joaquín García y Moreno, der bis dahin die Abwicklung der spanischen Kolonie Santo Domingo beaufsichtigt hatte, entgegen. Im Namen der französischen Republik verkündete Toussaint das Verbot der Sklaverei und übernahm die Kontrolle über die gesamte Insel. Damit schien die Umsetzung seines Projekts von einer autonomen schwarzen Modellrepublik auf der Basis einer Plantagenwirtschaft mit freier Lohnarbeit zum Greifen nahe.
Ein Jahr später hatte sich das Blatt jedoch auf dramatische Weise gewendet. Napoleon Bonaparte, der Frankreich inzwischen als Erster Konsul regierte, hatte seinen Schwager Charles Leclerc beauftragt, mit 80.000 Mann in Española zu landen und dort die Sklaverei wieder einzuführen. Daraufhin kehrte Toussaint Louverture mit seinen Truppen in den Westteil zurück, um sich Leclercs Expeditionskorps entgegenzustellen. Dort geriet er am 7. Juni 1802 in französische Gefangenschaft und starb am 7. April 1803 in Frankreich in der Haft. Sein Nachfolger Jean-Jacques Dessalines setzte den Kampf fort und zwang die Franzosen am 28. November 1803 zur Kapitulation. Am 1. Januar 1804 verkündete er die Unabhängigkeit der weltweit ersten schwarzen Republik, die von nun an den Namen Haiti trug, eine Bezeichnung, die auf die Taino zurückging.
Auf der spanischen Seite war es während des Krieges relativ ruhig geblieben. Der französische General Antoine Nicolas Kerverseau hatte am 25. Februar 1802 in Santo Domingo das Amt des Gouverneurs übernommen und die Sklaverei wieder eingeführt, was vom der spanischen Bevölkerung größtenteils begrüßt wurde. Am 1. Januar 1804, dem Tag der Unabhängikeit Haitis, putschte Jean-Louis Ferrand, ein Offizier, die die Annahme der Kapitulation verweigert hatte, gegen Kerverseau und rief zum allgmeinen Widerstand gegen Haiti auf. Neben französischen Truppen leisteten auch 500 spanische Soldaten dem Aufruf folge, so dass Ferrand insgesamt über 1.800 Mann verfügen konnte. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Im Februar 1805 fiel Desallines mit seinen Truppen in den Ostteil ein und löste dort eine neue Welle der Emigration nach Kuba und Puerto Rico aus. Am 8. März begannen 21.000 haitianische Soldaten mit der Belagerung Santo Domingos, die Desallines aber nach drei Wochen wieder abbrechen musste. Als am 26. März französische Schiffe in Sicht kamen, zogen sich die Belagerungstruppen zurück. Auf ihrem Weg nach Westen verwüsteten und brandschatzten sie den spanischen Teil der Insel.
La España Boba
Die französische Herrschaft über gesamte Insel zeitigte zwei sich widersprechgende Folgen. Zunächst genoß Santo Domingo nach dem Abzug von Desallines eine kurze Phase relativer Ruhe, während sich die Ereignisse in Haiti überstürzten. Desallines, der sich im Oktober 1804 zum Kaiser hatte krönen lassen, fiel zwei Jahre später einem Mordanschlag zum Opfer und 1807 spaltete sich Haiti in einen nördlichen Staat unter Henri Christophe und einen südlichen Staat unter Alexandre Pétion. Als Napoleon 1808 Spanien besetzte und die Bourbonen entmachtete, war ein erneuter Wendepunkt erreicht. In Santo Domingo organisierte sich unter der Führung von Juan Sánchez Ramírez der patriotische Widerstand gegen die Franzosen. In der Schlacht von Palo Hincado am 7. November brachten die Spanier den Franzosen eine vernichtende Niederlage bei, woraufhin Ferrand Selbstmord beging. Noch im gleichen Monat begann Sánchez Ramírez mit der Belagerung der Hauptstadt Santo Domingo. Nach acht Monaten, am 11. Juli 1809, mussten die Franzosen schließlich kapitulieren. Damit war die Guerra de Reconquista, die spanische Rückeroberung des Ostens der Insel Española, mit britischer Unterstützung erfolgreich beendet.
Damit begann die Ära der España Boba, die Zeit des “Kleinen Spaniens”, wie dieser Abschnitt der Geschichte der Dominikanischen Geschichte auch genannt wird. Auch wenn der Ostteil der Insel nun wieder spanisch war, so gestalteten sich die Bedingungen für einen Neustart nach 20 Jahren in einem Klima der Unsicherheit, der Gewalt und des wirtschaftlichen Niedergangs denkbar schlecht. Die Bevölkerung war von 125.000 (1789) auf 70.000 (1809) geschrumpft, während sie im kleineren Haiti immerhin bei etwa 400.000 lag. Die Wirtschaft war ruiniert und eine gebildete Elite gab es kaum noch.
Das Verhältnis zu Spanien gestalte sich in der Folgezeit ähnlich widersprüchlich, wie die dortige Entwicklung. Einerseits bot die liberale Verfassung von Cadiz, die 1812 in Kraft trat, auch den Spaniern in Santo Domingo neue politische Rechte und Freiheiten, andererseits hatte sich die Kolonie mehr wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung vom Mutterland erhofft. Nach dem Tod von Sánchez Ramírez (1811) übernahm Carlos Urrutia für fünf Jahre (1813-1818) das Governeursamt, ohne dass die ökonomische Krise überwunden werden konnte. 1820 überstürzten sich die Ereignisse erneut. In Spanien erzwang der Aufstand von Oberstleutnant Rafael del Riego die Rückkehr zur Verfassung von Cadiz, die 1814 von König Ferdinand VII. Außer Kraft gesetzt worden war. Wie in anderen amerikanischen Kolonien, die sich – noch bzw. wieder – unter spanischer Kontrolle befanden, verstärkte sich während des liberalen trienio (1820-1823) auch in Santo Domingo die Krise des Kolonialregimes. Hinzu kam, dass die Insel neuerlich von einer Invasion der Franzosen bedroht war, die bereits 1814 und 1816 versucht hatten, Haiti zurückzuerobern.
Jean-Pierre Boyer, den der sterbende Pétion am 29. März 1818 zu seinem Nachfolger als Präsident Haitis bestimmt hatte, war sich nicht sicher, ob Santo Domingo im Ernstfall neural bleiben würde. Deshalb reagierte er angesichts der wachsenden französischen Gefahr in zwei Richtungen. Während er in Haiti alle Vorkehrungen traf, um die drohende Invasion militärisch abzuwehren, versuchte er die Bewohner im Ostteil der Insel davon zu überzeugen, sich gegen Spanien zu erheben und sich unter seinen Schutz zu stellen. In dieser unübersichtlichen, von Unsicherheit, Gerüchten und Spannungen erfüllten Situation vollzog sich Ende 1821 die erste Unabhängigkeit Santo Domingos.
La Independencia efímera
Die weitere Entwicklung hing jedoch nicht nur von der Situation auf der Insel selbst ab. Neben den Veränderungen in Spanien und den Absichten Frankreichs spielte die zunehmende Dynamik des Unabhängigkeitskampfes auf dem amerikanischen Kontinent eine entscheidende Rolle. Es sei daran erinnert, dass im Verlauf des Jahres 1821 Peru (am 28. Juli), Mexiko (endgültig am 27. September), Zentralamerika (am 15. September) und Panama (am 28. November) ihre Unabhängigkeit von Spanien erklärt hatten.
Aus der geopolitischen Konstellation der Jahres 1821 ergaben sich für die Unabhängigkeit Santo Domingos nur zwei realistische Möglichkeiten: Der Anschluss an Haiti oder die Union mit der Republik Großkolumbien, die von Simón Bolívar am 7. September 1821 gegründet worden war. Neben Venezuela, dessen Unabhängigkeit er mit seinem Sieg in der Schlacht von Carabobo am 24. Juni gesichert hatten, umfasste der neue Staat im Norden Südamerikas die bereits befreiten Territorien Neu-Granadas und Ecuadors. Für beide Optionen gab es in Santo Domingo Befürworter. Die Anhänger der prohaitianischen Fraktion erklärten am 15. November 1821 in den Grenzorten Dajabón und Montecristi die Unabhängigkeit von Spanien. Sie sandten ein Schreiben nach Cap Haitien, in dem sie um Schutz und Waffen baten. Die andere, prokolumbianische Fraktion, wurde von José Nuñez de Cáceres angeführt, der bereits im Frühjahr versucht hatte, die Unterstützung Simón Bolívars zu gewinnen, mit seiner Verschwörung aber gescheitert war. Durch das Vorpreschen der rivalisierenden Fraktion unter Zugzwang gesetzt, ergriff er nun seinerseits die Initiative, besetzte am 30. November mit ihm ergebenen Truppen die Festung von Santo Domingo und ließ den spanischen Governeur Pascual Real verhaften. Am Folgetag, dem 1. Dezember, proklamierte Nuñez de Cáceres den Estado Independiente del Haití Español.
Die Acta Constitutiva des neuen Staates umfasste 39 Artikel, von denen drei von besonderer Bedeutung waren. Artikel 4 legte fest, dass der spanische Teil der Insel so schnell wie möglich eine Allianz mit Großkolumbien bilden sollte, mit dem Ziel, Teilstaat der Union zu werden. Artikel 5 unterstrich noch einmal die Dringlichkeit dieses Vorhabens, indem ein Abgeordneter nach Bogotá entsandt werden sollte, um den Beitritt zur kolumbianischen Verfassung zu vollziehen. Artikel 6 beinhalteten die Beziehungen zu Haiti, die durch einen Freundschafts-, Handels- und Bündnisvertrag geregelt werden sollten. Zwar hatte die Union mit Bolívars Großkolumbien für Nuñez de Cáceres die klare Priorität, ihm war aber sehr wohl bewusst, dass dieses Vorhaben ohne Absprache mit Haiti kaum umsetzbar war. Nachdem er zwei Schreiben an Jean-Pierre Boyer, den Präsidenten des Nachbarlandes, geschickt, kündigte dieser in seiner Antwort vom 11. Januar 1822 an, den Ostteil an der Spitze einer Armee besuchen zu wollen, wobei er auf die Unteilbarkeit der Republik verwies. Damit waren die Würfel gefallen. Am 9. Februar übergab Nuñez de Cáceres die Schlüssel der Stadt Santo Domigo an Boyer und akzeptierte damit das Ende der kurzen Unabhängigkeit des „spanischen Haitis”. Da Núñez aber weiterhin im Geheimen versuchte, die Unterstützung Großkolumbiens zu gewinnen, sah sich Boyer veranlasst, ihn im August 1822 ins Exil zu schicken.
Angesichts dieses Ausgangs stellt sich die Frage, welche Chance die „kurze Unabhängigkeit“ Santo Domingos überhaupt hatte. Wie die Beispiele Mexikos, Zentralamerikas und Panamas zeigen, gab es 1821 ein „Zeitfenster der Unabhängigkeit“, das auch Nuñez de Cáceres und seine Anhänger nutzen wollten. Ihnen war klar, dass die Unabhängigkeit des kleinen, dünn besiedelten Santo Domingo nur dann eine Chance hatte, wenn es den Anschluss an einen mächtigeren Bündnispartner suchte. Neben der geographischen Lage sprachen vor allem das Prestige Bolivars und das geopolitische Gewicht Großkolumbiens dafür, sich in dieser Richtung zu orientieren. Es gab jedoch noch einen weiteren Grund: die Stellung zur Sklaverei. Unter der kreolischen Elite im Ostteil der Insel bestand weitgehend der Konsens, diese fortzuführen. In dieser Hinsicht bot die Allianz mit Großkolumbien günstige Aussichten. Abgesehen von den kulturell-historischen Gemeinsamkeiten mit der Elite der südamerikanischen Republik (Sprache, Religion, Klassenzugehörigkeit) zählte dazu der Umstand, dass es Bolívar nicht gelungen war, das Verbot der Sklaverei in der neuen Verfassung zu verankern. Ganz anders die Lage in Haiti. Dort war die Beseitigung der Sklaverei das Hauptanliegen der Revolution gewesen und das Verbot der Sklaverei war demzufolge ein zentraler Bestandteil der Verfassung. Die großen Landbesitzer Santo Domingos hatten jedoch keinerlei Interesse an der Sklavenbefreiung. Für sie stellte Haiti ein Menetekel dar, das sich auf keinen Fall wiederholen sollte.
Dass die Allianz mit Groß-Kolumbien nicht zustande kam, hatte seinen Grund nicht nur in der schnellen Intervention Boyers. Ebenso wichtig waren die Absichten und Interessen Bolívars. Dieser hatte in einem Brief an seinen Vizepräsidenten Francisco Paula de Santander zwar seiner Freude über die Unabhängigkeit Santo Domingos Ausdruck verliehen, ohne damit aber konkrete Aktionen anzukündigen oder Zusagen zu machen. Die Vollendung der Unabhängikeit Groß-Kolumbiens, das heißt die Befreiung Ecuadors, hatte zu Beginn des Jahres 1822 die Priortät in seinen Plänen. Am 2. Januar beauftragte er Antonio José de Sucre mit der Eroberung der Hafenstadt ecuadorianischen Guayaquil und im März eröffnete er von Popayán aus die Offensive gegen die Spanier, die in der Schlacht von Pichincha (Ecuador) am 24. Mai 1822 mit einem Sieg gekrönt wurde. Auf dieser Basis fand am 26. und 27. Juli 1822 in Guayaquil das legendäre Treffen zwischen Simón Bolívar und José de San Martín statt. Damit war klar, dass die endgültige Entscheidung über die Unabhängigkeit Spanisch-Amerikas in den zentralen Anden (Peru und Bolivien) fallen musste. Für karibische Experimente waren weder der Zeitpunkt geeignet noch die militärischen Ressourcen vorhanden.
Der Anschluss an Haiti und die zweite Unabhängigkeit Santo Domingos
Jean-Pierre Boyer, der Haiti von 1818 bis 1843 regierte, hatte mit dem Einmarsch in Santo Domingo den lange ersehnten Zusammenschluss der Insel erreicht. Dies erleichterte nicht nur die Verteidigung der Unabhängigkeit, sondern sollte auch der Konsolidierung seiner Präsidentschaft dienen. Als erste offizielle Maßnahme ordnete Boyer das Verbot der Sklaverei an, das er mit dem Versprechen verband, den Freigelassenen Land zu übergeben. Bei seinen Bemühungen, Santo Domingo zu integrieren, nahm die Landfrage einen zentralen Platz ein. Ziel war die Umwandlung der Landbevölkerung in Bauern, die ihr eigenes Land besaßen, das sie bewirtschafteten. In Haiti hatte dies allerdings zu einem Arbeitskräftemangel auf den Plantagen geführt, die für den Agrarexport produzierten. Der Staat regierte darauf mit zwei Maßnahmen, die nun auch in Santo Domingo zur Anwendung kamen. Die Bauern wurden erstens zum Arbeitsdienst und zweitens zur Zahlung von Steuern verpflichtet.
Diese widersprüchliche Agrarpolitik führte zu wachsender Unzufriedenheit sowohl unter der neu entstandenen Bauernschaft als auch bei den Plantagenbesitzern, die ungeachtet der eingeführten Maßnahmen über Arbeitskräftemangel in der Erntezeit klagten. In Santo Doningo kamen Probleme bei der Angleichung der Agrargesetzgebung hinzu, die aus den Unterschieden zwischen den französischen und spanischen Rechtstraditionen resultierten. Als sich dann noch die wirtschaftliche Lage verschlechterte, waren die Tage Boyers im Präsidentenamt gezählt. Am 13. März 1843 musste er auf einem englischen Schiff nach Jamaika flüchten. Ein knappes Jahr später, am 27. Februar 1844 wurde in Santo Domingo die Unabhängigkeit der Dominikanischen Republik von Haiti verkündet.
Mit der Erklärung der zweiten Unabhängigkeit hatten sich die Anhänger von Juan Pablo Duarte durchgesetzt, die in der Geheimgesellschaft La Trinitaria organisiert waren. Neben einer prospanischen Fraktion gab es zwei weitere Bewegungen, die die Unterstützung Großbritanniens bzw. Frankreichs (los afrancesados) suchten. Im Vorfeld der Unabhängigkeit hatte die profranzösische Fraktion unter Führung von Báez Verhandlungen mit dem französischen Konsul aufgenommen und für den 25. April 1844 einen Staatsstreich geplant. Als die afrancesados am 1. Januar 1844 ein Manifest veröffentlichten, in dem sie die Gründe für die Trennung von Haiti und die Notwendigkeit eines Protektorats durch Frankreich darlegten, antworteten die Trinitarios am 16. Januar mit einem eigenen Aufruf. Als es dann am 27. Februar in Santo Domingo zum erfolgreichen Putsch kam, der in der Bevölkerung breite Unterstützung fand, vermittelte der französische Konsul eine friedlich Übergabe an die Aufständischen. In den folgenden Tagen alle Städte im Ostteil der Insel ihre Trennung von Haiti. Damit war die Dominikanische Republik geboren.
Die vergebliche Suche nach einer neuen Schutzmacht
Charles Revière-Hérard, der nach der Flucht Boyers zum Präsidenten Haitis gewählt worden war, reagierte auf die Unabhängigkeitserklärung des Ostteils mit einer militärischen Invasion, die er jedoch abbrechen musste, da seine Konkurrenten in Haiti nach der Macht griffen. Am 3. Mai 1844 trat General Philippe Guerrier seine Nachfolge an. In den Folgejahren verhinderte die politische Instabilität in Haiti die Rückeroberung des Ostteils der Insel. Selbst Faustin Soulouque, der Haiti von 1847 bis 1859 regierte, davon ab dem 26. August 1849 als Kaiser, scheiterte dreimal bei dem Versuch, die Dominikanische Republik zu unterwerfen.
Dort wurde das politische Leben bis zum Anschluss an Spanien (1861-1865) von zwei Caudillos bestimmt: Pedro Santana und Buenaventura Báez. Santana, ein Konservativer aus dem Osten des Landes und wichtigster militärischer Führer der Unabhängigkeitsbewegung, übte das Amt des Präsidenten der Dominikanischen Republik insgesamt vier Mal aus. Noch im Juni 1844 schaltete er die liberalen Trinitarios aus und zwang deren Führer Juan Pablo Duarte, Matías Ramón Mella und Francisco del Rosario Sánchez ins Exil. Báez war fünf Mal Präsident. Bevor er dieses Amt von 1849 bis 1853 zum erste Mal ausübte, hatte er bei einem Besuch in Frankreich 1846 dafür geworben, dass Paris das Protektorat über die junge Republik übernehmen solle. Da diese Offerte keine Zustimmung fand, plädierte er ebenso wie sein Gegenspieler Santana in den 1850er Jahren für den Beitritt zu den USA, was wiederum Spanien auf den Plan rief. Santana ebnete dann während seiner vierten Präsidentschaft (1858-1861) den Weg für den Anschluss an die spanische Monarchie. Aber auch dieser Versuch der Anbindung an die ehemalige Kolonialmacht scheiterte bereits nach vier Jahren. Unter der Führung der Liberalen erkämpfte sich Santo Domingo 1865 dann seine dritte Unabhängigkeit.
—————————————————
Literatur:
Escolano Jiménez, Luis Alfonso: Las tres independencias dominicanas: un difícil proceso de transición hacia la soberanía nacional, in: Straka, Tomás/ Sánchez Andrés, Agustín/ Zeuske, Michael (comp.): Las independencias de Iberoamérica, 2011, S. 799-826
Moya Pons, Frank: The Dominican Republic. A National History. Princeton 1998
Reza, Germán de la: El intento de integración de Santo Domingo a la Gran Colombia (1821-1822), in: Secuencia (sep.-dic. 2015), 93, S. 65-82
Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion_gc; [2, 3] wiki_cc