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Víctor Jara: Mein Vers ist eine Taube

Redaktion | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Vor 20 Jahren, im September 1973, starb Victor Jara – nur wenige Tage nach dem faschistischen Militärputsch in Chile wurde er im Stadion Chile in Santiago ermordet. Jara war ein kreativer und anerkannter Theaterregisseur und galt nach Violetta Parra als der bedeutendste Vertreter der Bewegung des Neuen Chilenischen Liedes. Die Popularität V. Jaras und die Umstände seiner Ermordung, der Todestag des Künstlers wird wohl immer ungeklärt bleiben, ließen ihn schnell zur Legende und zu einem Symbol des chilenischen Widerstandes werden. QUETZAL will hier dieses Künstlers gedenken; mit seinen eigenen Erinnerungen und einem Gedicht. Für manchen mag diese Seite eine Wiederbegegnung mit Victor Jara sein, für andere ein erstes Kennenlernen. Allen, die mehr von und über V. Jara wissen wollen, empfehlen wir das Buch „Victor Jara. Chile, mein Land, offen und wild“ von Joan Jara (1985 bei Rowohlt, 1986 bei Volk und Welt unter dem Titel „Victor. Ein unvollendetes Lied“ erschienen) und natürlich seine Lieder. PLÄNE brachte übrigens kürzlich eine CD-Box heraus, die das musikalische Werk von V. Jara fast vollständig dokumentiert.

In unserem Haus gab es immer eine Gitarre und ich erinnere mich, daß die Musik seit meiner frühesten Kindheit ein großes Erlebnis für mich war. Meine Mutter spielte, sie war eine „cantora“, wie wir Chilenen sagen. Immer, wenn es galt, ein Fest oder einen „velorio“ zu unterhalten, ging sie mit dem jüngsten der sechs Kinder hin. Und das war ich …

Ich war sehr mystisch und fürchtete die Sünde und all dieses Zeug. Ich bin zwei Jahre im Seminar von San Bernardo gewesen. Ja, ich wollte Priester werden. Ich war ziemlich ernst. Heute, wenn ich zurückblicke, glaube ich, daß es die Einsamkeit war, die Uneinigkeit mit einer Welt, die mir mit einem Male leer erschien. Praktisch flüchtete ich dorthin, auf der Suche nach anderen Werten, nach neuer Zuneigung, die vielleicht diese Leere ausfüllen könnten. Ich verlebte zwei Jahre des intensiven Studiums und der konzentrierten Arbeit. Dort hatte ich eine musikalische Ausbildung; es gab einen Chor und selbstverständlich sang ich dort. So kam es, daß ich im Seminar mit dem Singen begann….

Viele Leute kennen mich als Sänger, aber sie wissen nicht, daß ich Regie im Theater führe. Es ist so, daß ich 1958 als Folklorist in der Gruppe Cuncumén begann, und von dort, in die Theaterschule der Universität Chile aufgenommen wurde. Meine Tätigkeit begann parallel, geschuldet verschiedenen Bedürfnissen, die ich gleichzeitig befriedigen wollte. …

Ich will eine Arbeit vollbringen, die für das Volk wirklich bedeutsam ist. Wir müssen Werke schaffen, die wir mit unserer Realität verbinden, wir müssen unsere eigene Methode des Wirkens und der theatralischen Interpretation entwickeln. Unter den Stücken, die ich gern auf die Bühne bringen würde, sind die von Shakespeare, Brecht und Tschechow …

Ich verlasse das Theater für einige Zeit. Das ist notwendig, um mich intensiv dem Wahlkampf und der musikalischen Arbeit zu widmen. In der heutigen Zeit ist die Arbeit für den Sieg der Volksregierung das wesentlichste, und ich glaube, daß man in der politischen und künstlerischen Arbeit mit der Gitarre und dem Lied bedeutend direkter wirken kann.

aus: habla y canta VICTOR JARA. Havanna 1978.

Anrufung

 

Wir knien vor dir nieder, Vater, am heutigen 3. Tag
Wir bitten dich, daß du uns verzeihst,
daß unsere Kinder nicht sterben,
daß sie etwas leisten.
Wir bitten dich, daß es regnet, damit die Saat aufgeht, damit die Tiere gedeihen.
Daß es regnet! Sagen Sie es, großer Mann, Kopf aus Gold,
Und Sie, große Mutter, wir bitten die beiden großen und uralten Personen.
Helft uns in allen Dingen.
Verteidigt uns, daß man uns nichts Böses antut.
Wir blicken nach oben,
knien zweimal nieder.
Daß die Kinder nicht krank werden!
Sagen Sie es, Messer aus Gold. Sie sind am weiten Himmel.
Alle Dinge schufen Sie. Durch Sie gehen wir alle aufrecht.

 

unveröff. Manuskript, übertragen von Gerda Schattenberg,
aus: CHILE Gesang und Bericht. Mitteldeutscher Verlag Halle/Saale 1975

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