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Plegaria a un labrador: Zum 50. Geburtstag eines Liedes

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Erhebe dich und schau auf deine Hände,
um zu erstarken, reiche sie deinem Bruder.
Wir werden im Blut vereint sein,
jetzt und in der Stunde unseres Todes.
Amen.

 

Genau genommen handelt es sich ja um ein Auftragswerk, das für einen konkreten Anlass geschrieben wurde – das 1. Festival des Neuen Chilenischen Liedes. Ricardo Lagos, ein bekannter chilenischer Discjockey und Produzent, hatte irgendwann Ende der 1960er Jahre beschlossen, nicht mehr nur die Platten der Beatles aufzulegen, sondern sich auch um die chilenische Musik zu kümmern und ein Festival für und über das Neue Lied in Chile zu veranstalten. Nach eigener Aussage wollte er die „Volksmusik auf nationaler Ebene“ fördern und deshalb sollte auf dem geplanten Festival die gesamte Bandbreite der Volksmusik vertreten sein; die Neofolklore ebenso wie die als „Nueva Canción Chilena“ bekannt gewordene Liedbewegung, die sich vor allem in den Peñas der Universitäten entwickelte.

Dieses Erste Festival des Neuen Chilenischen Liedes fand im Juli 1969 in Santiago de Chile statt, Schirmherrin war das Vizerektorat für Kommunikation der Universidad Católica de Chile. Bereits bei diesem Festival gehörten auch Diskussionen von Künstlern mit Wissenschaftlern und Vertretern der Musikindustrie zum Programm, das Thema im Jahr 1969 lautete: „Das chilenische folkloristische und Volkslied“. Ansonsten war die Industrie ebenso wie die Medien ausgeschlossen, die Veranstaltung sollte nicht kommerzialisiert werden.

Kultur_Jara_Plegaria_Quetzal-Redaktion_gtSo wie er als Discjockey die Platten für seine Programme selbst aussuchte, wählte Ricardo García auch völlig allein 12 bekannte Künstler aus – neben Víctor Jara u.a. Patricio Manns, Rolando Alarcón, Richard Rojas, Sofanor Tobar – und bat sie um einen Beitrag für die Veranstaltung.

Víctor Jaras Beitrag war das Lied „Plegaria a un labrador“, das tatsächlich eigens für diese Veranstaltung geschrieben wurde. Angemerkt sei hier, dass er das Lied nicht ganz allein geschrieben hat, auch wenn das meist nicht vermerkt wird und auch auf seinen Schallplatten nicht so festgehalten ist. Unterstützung erhielt er von Patricio Castillo, einem jungen Musiker, der damals Mitglied der Gruppe Quilapayún war und mit dem er schon seit einiger Zeit eng zusammenarbeitete. Castillo erinnerte sich später für ein Buch über Víctor Jara an diese spezielle Zusammenarbeit: „Eines Morgens kam Víctor, um mir das Lied zu zeigen, das er für das Erste Festival des Neuen Chilenischen Liedes vorbereitete, welches 1969 stattfand. Er hatte Teil A, den gesamten langsamen Teil des Themas, aber es fehlte Teil B, den wir dann schufen. (…) Zu Beginn von Teil B habe ich einige Akkorde eingefügt, die nicht von mir stammen, sondern von einer Platte beeinflusst wurden, die ich von Led Zeppelin hatte. Es ist ein Crescendo, das den wichtigen Teil des Themas ausmacht, denn das Lied, das Víctor mir präsentierte, war einheitlicher. Es begann und endete fast gleich.“

Apropos Quilapayún. Die sehr populäre Musikgruppe sollte nach Ansicht des Organisators nicht am Festival teilnehmen. Ricardo García hatte sie gar nicht erst eingeladen, da ihm die Gruppe zu politisch war. Ganz so breit sollte die Förderung des Volksliedes dann wohl doch nicht sein. Víctor Jara, der einige Jahre der musikalische Leiter der Quilas gewesen war, umging deren faktischen Ausschluss vom Festival: Er nahm sie als seine Begleitmusiker mit. Und da die anderen Künstler ebenfalls meist nicht allein auf der Bühne standen, konnte man ihm das schlecht verwehren. Ich habe irgendwo im Internet gelesen, Jara hätte mit seiner Nichtteilnahme gedroht, falls Quilapayún ihn nicht bei seinem Auftritt begleiten dürfe. Ob das so stimmt, sei dahingestellt, auf jeden Fall erlebte „Plegaria a un labrador“ seine Premiere in der Interpretation von Víctor Jara und Quilapayún. Bereits auf dem Festival wurde das Lied begeistert aufgenommen. Aber wie Joan Jara berichtet, war die Stimmung auf dem Festival generell sehr enthusiastisch und alle Künstler bekamen einen „Beifall, der das Dach zu heben schien“. Die Festivaljury konnte sich schlussendlich nicht auf einen Sieger einigen und vergab den ersten Preis gleich an zwei Lieder: „La Chilenera“ von Richard Rojas und „Plegaria a un labrador“ von Víctor Jara.

„Plegaria a un Labrador“ ist zweifellos emblematisch für das engagierte Lied in ganz Lateinamerika; in Chile gilt es als das wichtigste Lied des Nueva Canción. Nach der Ermordung Víctor Jaras im September 1973 wurde es, wie viele Lieder des Chilenen, international bekannt und von vielen Künstlern gecovert. Allein auf youtube, um den umfangreichsten Rechercheort zu nennen, finden sich mehr als 50 Coverversionen. Und da sind die Chöre, Orchester und Tanzgruppen, die das Lied für sich bearbeitet haben, noch gar nicht mitgezählt. Unter den Künstlern, die „Plegaria“ in ihr Repertoire aufgenommen haben, finden sich Mercedes Sosa (Argentinien), Los Folkloristas (Mexiko), León Gieco (Argentinien), Maria Farantouri (Griechenland), Judy Collins (USA); stilistisch kann ein Bogen von Folklore über Lied, Pop und Punkrock bis hin zum Jazz gezogen werden.

Eine Coverversion in deutscher Sprache habe ich nicht gefunden, was nicht heißen muss, das es keine gibt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass das Lied dem Stil hiesiger politischer Lieder nicht unbedingt entspricht. „Gebet für einen Bauern“ heißt nicht nur Gebet, es ist auch im Stil eines Bittgebets gehalten. Die Verbindung politisch revolutionärer Aussagen mit religiösen Motiven ist in Lateinamerika nicht ungewöhnlich und war auch bei Víctor Jara durchaus üblich. Er sprach damit einfach nur die Sprache seines Publikums. Das ist wohl auch der Grund, weshalb „Plegaria a un Labrador“ bis heute vor allem in Lateinamerika stark rezipiert wird; besonders chilenische Künstler und Künstlerinnen singen das Lied ihres Landsmanns. Denn über seine künstlerische Qualität hinaus muss man dem Lied bescheinigen, dass es 50 Jahre nach seiner Entstehung noch immer nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Leider.

 

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Literatur:

González R., J. P.: Chile y los festivales de la canción comprometida (1955-1981). Boletín Música Casa de las Ámericas 45, 2017. S. 5-23.

Jara, J.: Víctor. Ein unvollendetes Lied. Verlag Volk und Welt. Berlin 1986.

Jurado, O./ Moralea J. M.: Víctor Jara. Te recuerda Chile. Txalaparta/ Ravel. Tafalla 2013. S. 93-97 (Patricio Castillo).

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Bildquelle: Quetzal-Redaktion_gt

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