Obwohl die Stadt als kolumbianische Metropole der Salsa bekannt ist, bedroht die Situation einiger Tanzschulen diesen ehrenhaften Ruf. Jedoch kann die Krise eine Chance bedeuten. Für die tausenden von Jugendlichen aus Cali mit dem Traum vom professionellen Salsatänzer, ist der Salsawettstreit (salsódromo) der Cali-Messe der erste große Schritt. Sechs Monate lang täglich bereiten die Schulen intern Choreographien vor, um hoffentlich die Jury in Erstaunen zu versetzen, die jedes Jahr über die Teilnehmenden des Events entscheidet. Nicht viele können sich einen Platz in der Parade sichern, die immer am 25. Dezember alle Einwohner Calis zusammenführt, ganz so wie beim besten Karneval in Río de Janeiro.
Aber die jüngste Aufführung hinterließ einen bittersüßen Nachgeschmack. Viele Stimmen klagten wegen einiger Logistikprobleme (wie z.B. Schlaglöcher mitten auf der Strecke), doch vor allem wegen der offensichtlichen Erschöpfung mehrerer TänzerInnen auf den letzten Metern, da es sich erstmals um zwei Kilometer handelte (normalerweise war es nur einer).
Das Thema wurde viel beredet, aber es schien nicht so ernst, bis die Ministerin für Kultur, Mariana Garcés, in der örtlichen Tageszeitung El País, darauf zu sprechen kam: „Ich bin besorgt angesichts des Salsa-Sektors in Cali, weil einige Leute mir mitteilten, wegen der Schließung verschiedener Tanzschulen beunruhigt zu sein. Auf der Tanz-Biennale 2015 ergab eine Zählung sechsundfünfzig Salsaschulen in Cali. Aber mir wurde berichtet, dass zwanzig geschlossen wurden […] Das muss sich auch in der Qualität dieser großen Veranstaltung niederschlagen“.
Ihre öffentlichen Äußerungen boten Stoff für Auseinandersetzungen, denn Salsa gehört zum Alltag der Einwohner Calis und treibt die Tourismus-, Entertainment- und Kulturbranche an. Das Sekretariat für Kultur in Cali ließ verlauten, dass es den Berechnungen des Rathauses und des größten Tanzvereins der Stadt, Asobasa, zufolge 130 Schulen gibt, aber sie bestritten nicht, dass einige doch eine schwierige Phase durchlaufen.
Die Schulen, die als städtisches Kulturerbe gelten, sind von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Salsa. Nicht nur, dass sie Tänzer und Tänzerinnen hervorbringen, die vor Publikum glänzen und die Welt als Botschafter ihres Landes bereisen, sondern auch in vielen Fällen durch ihr Wirken in der Gesellschaft. Während die Erfahrensten sich der Ausbildung professioneller TänzerInnen für Events wie den salsódromo oder die Salsa-WM widmen, werben die anderen (die Mehrheit) Kinder aus den Randvierteln der Stadt an. „Das sind die Menschen, die Tanzen unterrichten. Diejenigen, die Drogen und Gewalt fernhalten. Diejenigen, die ihnen einen anderen Weg zeigen und ihre Freizeit füllen“, erklärt Diceidi Ballesteros, Direktorin der Fedesalsa, einer weiteren Tanzorganisation.
Das Problem liegt darin, dass viele dieser kleinen Schulen nur mit Müh und Not über die Runden kommen. Auf dem Papier verlangen alle Monatsbeiträge von den Schülern (die von 12.000 bis 100.000 Pesos reichen können), aber da die meisten gar nicht in der Lage sind, das Geld aufzubringen, werden sie kostenfrei aufgenommen. Die Kosten der Lehrkräfte, der Räumlichkeiten, Dienstleistungen und des Zubehörs machen den Leitern oft schwer zu schaffen. Sie müssen Kredite aufnehmen, um sich über Wasser zu halten.
Die größeren Schulen sehen sich mit einem anderen Problem konfrontiert, das paradoxerweise mit ihrer Arbeitsqualität zu tun hat. Seit 2012 wurden viele TänzerInnen für sechsmonatige (oder sogar ganzjährige) Touren durch Länder wie China, die Türkei oder Russland angeworben. Und obgleich das für die Betreffenden gut ist, da sie in der Welt unterwegs sein und ein höheres Einkommen erzielen können als in Cali, haben die Schulen eine Gehaltseinbuße zu verzeichnen.
Edwin Chica, Leiter der Akademie „Salsa Viva y Tango Vivo“, meint, dass die Auswirkungen bereits auf dem Niveau von beispielsweise dem salsódromo bemerkt wurde: „Wir versuchen, die Basisgruppen an TänzerInnen nicht zu schwächen und planen, wer in jeder Saison geht“. Aber es gibt kleinere Schulen, die nicht standhalten konnten. Einige mussten schließen, andere wurden zusammengelegt“.
Obwohl schon seit zehn Jahren die Bemühungen wachsen, um die Salsa zum Touristenmagnet für Cali zu machen, sind die Möglichkeiten in der Stadt für die Menge an Salsatanzenden (circa 10.200 nach Expertenrechnungen) noch gering. Shows wie „Delirio“, „Ensálsate“ oder „El mulato cabaret“ – eine Chance für Einheimische und Touristen, das ganze Jahr lang Salsa zu genießen, ohne auf Calis Salsamesse oder die Salsa-WM zu warten, haben viel geholfen, aber sie sind noch nicht flächendeckend, weder für alle Tanzenden, noch für alle Schulen.
In der Branche wird schon an einer Lösung für diese Probleme gearbeitet. Am 20. Januar berief das Ministerium für Kultur eine Versammlung mit dem Bürgermeisteramt, Politikern, Tanzvereinen und -schulen ein, die ein monatliches Diskussionsforum gründeten, um die Situation im Blick zu behalten. Aus diesem Forum ging auch die erste konkrete Aufgabe hervor, die einen Steckbrief der Schulen vorsieht. Des Weiteren sollen Vorschläge analysiert und Lösungen umgesetzt werden.
Die Schulen ziehen ein Modell in Erwägung, in dem der Staat Stipendien an einige SchülerInnen vergibt, während die Stadtverwaltung verschiedene Strategien beurteilt; zur Bezahlung von Lehrkräften, oder zur Einteilung der Schulen in drei Kategorien, um Förderungsleistungen zu regeln, die nicht unbedingt wirtschaftlicher Natur sein müssen.
Viele glauben, dass man auch die Salsashows der Stadt stärken und neue Entfaltungsmöglichkeiten für Tanztalente schaffen muss. Aber Andrea Buenaventura, Leiterin von „Delirio“, sagt, dass es ein allmählicher Prozess sein soll: „Zunächst muss man die soziale Sicherheit der TänzerInnen gewährleisten und die Schulen stärken. Danach kann man durchaus neue Märkte schaffen. Es bleibt noch viel zu tun, Salsa gibt es in Cali seit fünfzig Jahren, und es ist ein junger Sektor, kulturell gesehen“.
Außerdem sind die Tanzenden nur ein Teil der Salsawelt in Cali. Zu ihr gehören auch die Orchester, Musikliebhaber, Lokal- und Diskobesitzer, die ForscherInnen über Themengebiete der Salsa, die Sammler, und natürlich: Die Öffentlichkeit. Und trotz der Ankunft neuer Rhythmen wie dem Reguetón geben Calis Einwohner immer noch der Salsa den Vorzug: Die Diskotheken füllen sich, die besten salseros der Welt besuchen die Stadt, die Zahl der Museen zum Thema steigt, wie das „Jairo Varela“, und immer mehr Touristen kommen, auf der Suche nach Tanzkursen.
Und obwohl die Auseinandersetzung mit den Schulen bewirkt hat, dass andere Stimmen der Salsagemeinschaft laut werden, um nach einem Platz am Diskussionstisch zu fragen – z.B. die Dolmetscher, die der Meinung sind, dass auch sie Räume brauchen, um neue lokale Orchester bekanntzumachen – , ist die Salsa grundsätzlich nicht in Gefahr.
Wie die Sekretärin für Kultur in Cali, Luz Adriana Betancourth, erklärt: „In der Stadt steckt viel Talent und Qualität. Zur letzten Weltmeisterschaft kamen Juroren aus Atlanta, Mexiko und San Juan, und es wurden ihnen hervorragende Auftritte geboten, die in aller Munde waren“.
Deswegen denken viele, dass es aktuell um die perfekte Gelegenheit geht, die Einzelsituationen zu verbessern und der Stadt einen Antrieb zu geben. Damit niemand irgendeinen Zweifel am Beinamen hegt: Welthauptstadt der Salsa.
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Original-Beitrag aus La Semana. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.
Übersetzung aus dem Spanisch: Uta Hecker
Bildquelle: [1] La Semana, Estéban Vela La Rotta