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Nostalgia de la luz – Ein Film von Patricio Guzmán

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Rezension: Nostalgia de la Luz von  Patricio Guzmán - Foto: Snapshot1.Quetzal-Redaktion,gtMiguel und Anita Lawner könnten als Metapher für das gegenwärtige Chile stehen: Miguel ist bemüht, wichtige Zeugnisse der Vergangenheit seines Landes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Seine Frau Anita leidet an der Alzheimer-Demenz.

Erinnern und Vergessen, das sind die beiden Pole, um die auch dieser Film kreist. Warum und was erinnern wir? Wie bewahren wir uns vor dem Vergessen? Der chilenische Dokumentarfilmer Patricio Guzmán, Autor von „Die Schlacht um Chile“ wählt die Suche nach der Vergangenheit als Sinnbild für den Zustand unserer Gegenwart. Der Mensch braucht die Erinnerung, auch sie macht ihn überhaupt erst zum Menschen. Wir, so heißt es im Film, müssen wissen, woher wir kommen und wohin wir gehen.

Die Protagonisten von „Nostalgia de la luz“ sind letztlich alle der Vergangenheit auf der Spur – Astronomen, Archäologen und Angehörige von Diktaturopfern. Sie alle eint, dass ihre Suche sie in die Atacama-Wüste führt, jene lebensfeindliche Region in Nordchile, bekannt als der trockenste Ort der Welt. Die Atacama ist ein Tor in die Vergangenheit, in eine sehr vielfältige Vergangenheit. Der Grund dafür sind die klimatischen Verhältnisse in dieser Wüste.

Die hohe Trockenheit und die Sauberkeit der Luft erlauben einen weitgehend ungetrübten Blick in den Kosmos. Astronomen aus aller Welt arbeiten in den Observatorien, um die Sterne zu erforschen. Oder, um exakt zu sein, die Vergangenheit der Sterne, denn „wir sehen nichts in dem Moment, in dem wir meinen, es zu sehen“.

Die Archäologen sind den Resten frühen Lebens in der Wüste auf der Spur. Präkolumbische Ritzzeichnungen im Fels, Geisterstädte und alte Friedhöfe sind Zeugen unserer Vergangenheit. Die Atacama bescherte der Menschheit einige der ältesten Mumien. Das trockene Klima konserviert alles. Auch die Leichen auf den Friedhöfen verlassener Bergarbeitersiedlungen sind mumifiziert. Die Archäologen müssen oft nicht einmal graben; die menschlichen Überreste liegen nicht selten an der Oberfläche, die Erde, die sie einst bedeckte, wurde vom Wind verweht.

Und die Atacama-Wüste ist riesig, sie bedeckt ein Areal von mehr als 100.000 km2, Menschen können dort auf immer verschwinden. Nach dem Ende der Pinochetdiktatur hatte das chilenische Militär die Gräber zahlreicher Opfer geöffnet und die menschlichen Überreste im Meer oder in der Atacama „entsorgt“. Bis heute suchen Angehörige in der Wüste nach den Verschwundenen, auch wenn ihre Suche fast ausweglos erscheint. Die Mehrzahl der Gruppen hat inzwischen aufgegeben; 28 Jahre lang hatten z.B. die Frauen von Calama ihre Angehörigen gesucht, bis zum Jahre 2002. Archäologen unterstützten sie dabei. Andere, wie Vicky Saavedra, können das nicht. Vicky sucht nach ihrem Bruder, von dem bis heute nicht mehr als ein Fuß, ein Teil des Gebisses und die linke Schädelhälfte blieben. Für sie und einige andere Frauen wurde die Suche zur Obsession, sie sind darüber, wie es scheint, zu Expertinnen in Anatomie geworden, und sie entwickelten – wie Archäologen – einen untrüglichen Blick für Knochenreste im Wüstensand. Ein Astronom vergleicht ihre Suche in dieser gigantisch großen Wüste mit dem Versuch, jemanden in einer anderen Galaxie zu finden.

Rezension: Nostalgia de la Luz von  Patricio Guzmán - Foto: Snapshot2.Quetzal-Redaktion,gtIhre Hartnäckigkeit macht die Frauen, Mütter, Schwestern, Ehefrauen, Freundinnen von Opfern der Pinochetdiktatur zu einem Ärgernis. Sie lassen den Finger auf der Wunde, die viele im Land lieber vergessen wollen. Violeta Berrios, die immer noch hofft, die quälende Ungewissheit beenden zu können, nennt sich und die anderen Unentwegten dann auch „die Lepra Chiles“. Sie wünscht sich manchmal, dass die riesigen Teleskope auch in die Erde hinein blicken könnten.

Vielleicht ist damit auch die Hoffnung verbunden, Anerkennung für den eigenen Blick in die Vergangenheit zu finden. Denn im Gegensatz zu den Frauengruppen, von denen sich so mancher Chilene wünscht, sie hörten endlich mit ihrer Suche auf, wird die Arbeit von Astronomen und Archäologen mit Interesse begleitet. Es ist die jüngste Vergangenheit, die nicht wenige im Land endlich vergessen wollen, die abgespalten wurde, wie es im Film einmal heißt.

Patricio Guzmán setzt diese Widersinnigkeit – akribische Suche auf der einen Seite und den Versuch, einfach zu vergessen (wenn nicht zu vertuschen) auf der anderen – in Beziehung zueinander. Und diese Beziehung ist enger als man glaubt. Häftlinge im Konzentrationslager Chacabuco, in der Nähe der Observatorien gelegen, beobachteten die Sterne; sie fühlten sich frei bei dieser Beschäftigung. Die Militärs verboten den Astronomieunterricht – sie fürchteten, die Gefangenen könnten die Sternbilder als Orientierung für eine Flucht nutzen. Die Erforschung der Weiten des Kosmos half auch der Astronomin Valentina Rodríguez, ihren Schmerz zu verarbeiten – ihre Eltern gehören zu den Verschwundenen. Ihr Großvater vermittelte ihr die Liebe zu den Sternen. Und der Ingenieur Víctor González, der am Bau des Radioteleskops Alma mitarbeitet, wurde in Deutschland geboren. Seine Mutter betreut traumatisierte Folteropfer. Beide arbeiten an der Vergangenheit, jeder auf seine Weise.

Der Film strahlt eine unglaubliche Ruhe aus, Guzmán kommentiert nur sparsam, er lässt seine Protagonisten sprechen, und die Bilder. Wären  da nicht diese Menschen mit ihren Geschichten, die uns das Geschehen unaufdringlich, aber mit Nachdruck nahe bringen, so wäre dieser Film allein der Bilder wegen ansehenswert. Dem Kameramann Katell Djian gebührt hier ein besonderes Lob, seine Bilder zeigen, dass letztlich alles eine Einheit bildet – der Kosmos, die Wüste, die Menschen. Alles hängt mit allem zusammen. Auch unsere Gegenwart mit der Vergangenheit.

Damit wären wir wieder bei Miguel Lawner. Der „Architekt der Erinnerung“ hatte die verschiedenen Gefängnisse und Lager, in denen er inhaftiert war, Schritt für Schritt vermessen, sich die Grundrisse genau eingeprägt und später im Exil aus dem Gedächtnis gezeichnet. So funktioniert das Gedächtnis eines Architekten, kommentiert er lapidar.

Die Erinnerung hat eine große Kraft, sie zieht uns an. Und wir brauchen sie, um als Menschen leben zu können.

Nostalgia de la luz. Regie: Patricio Guzmán. Frankreich/ Chile 2010.

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Bildquellen: [1], [2] Snapshot. Quetzal-Redaktion,gt;

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