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Microcuentos (4)

Pedro Guillermo Jara (et al.) | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten
Literatur - Microcuentos 4 (255 Downloads )

Microcuentos desde el sur profundo - Concepción - Punta ArenasMicrocuentos – der Name verrät es – sind kleinste Geschichten, eine in Lateinamerika beliebte literarische Form. Man denke nur an den Guatemalteken Augusto Monterroso.

Im Jahr 2009 brachte die Zeitschrift Caballo de proa eine Sammlung von Microcuentos aus der Feder südchilenischer Autoren heraus. QUETZAL wird diese kleinen Geschichten aus dem tiefen Süden in loser Folge vorstellen, als deutsche Erstveröffentlichung.

Wir danken den Autoren, insbesondere Herausgeber Pedro Guillermo Jara, für die Genehmigung zur Veröffentlichung.

Und wir danken Gabriele Eschweiler, die die Geschichten ins Deutsche übertragen hat.


Pedro Guillermo Jara (Valdivia)

Der Streik

Nach wochenlangen Verhandlungen mit der Bauleitung rief man den Generalstreik aus. Die Gespräche wurden abgebrochen. Es gab nichts mehr zu besprechen. „Das ist doch die Höhe, Genossen! Wir werden uns diese Unverschämtheit nicht bieten lassen. Mit diesem Bauwerk wollten wir ganz groß rauskommen!“
An dieser Arbeitsniederlegung waren die Gewerkschaften aller Unternehmen, Subunternehmen und Facharbeiter beteiligt. Die Arbeiter organisierten Eintopfessen für alle, Protestaktionen, Hungerstreiks und Märsche. Nichts von alledem schien auf die Bauleitung Eindruck zu machen. Die Regierung, ängstlich und auf Seiten der Marktwirtschaft, die für Eigen- und Fremdkapital sorgte, schickte ihre Sicherheitskräfte auf die Straße und tagtäglich kam es zu Verhaftungen. Niemand übernahm die Verantwortung für die polizeilichen Repressalien.
Die Bauleitung war schließlich so konsequent, Konkurs anzumelden. Ihren Anwälten gelang es, Verträge, Policen und Wechsel rückgängig zu machen. Kurzum – sie verloren nicht einen einzigen Peso des eingesetzten Kapitals. Die Regierung aber zog ein letztes As aus dem Ärmel. Auf magische Kräfte zurückgreifend, verwirrte sie, die die Kommunikationswege kontrollierte, die Sprache der Arbeiter, zerschlug die Arbeiterbewegung, die sich offenbar nicht mehr verstand, und die Gewerkschaften der Unternehmen und Subunternehmen zogen sich allesamt zurück.
Der Bau blieb unvollendet. Der Turm zu Babel wurde zu einer Art weißem Elefanten, so etwas wie eine Zufluchtsstätte für die Heimatlosen, die Träumer und die an den Rand Gedrängten.


Übersetzung aus dem Spanischen: Gabriele Eschweiler

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Ivonne Coñuecar (Coyhaique)

Der Wandschrank

Microcuentos, Schrank - Bild: Quetzal-Redaktion, nicDu wirst die Farben sehen können. Die Lügen gehen keinen etwas an. Gib’ dir keine Mühe, dich zu verstecken. Wir wissen, dass du da drinnen bist.
Ich stelle mir mein Leben draußen nicht vor, komme ab und an zum Vorschein und flüstere vor mich hin, ich singe das Lied der Spieldose mit der Balletttänzerin.
Ich betrachte sie aus dem Augenwinkel, wenn sie ihre Regenbogengeschichten erzählen, von den Märschen und dass man wissen muss, wo man steht, dass man Stellung zu beziehen, seine Meinung zu sagen, ja herauszubrüllen hat, aber ich habe immer gewusst, dass sich Mamas und Papas Kleidungsstücke in ihrem Geruch nach Mottenpulver in nichts unterscheiden.

Übersetzung aus dem Spanischen: Gabriele Eschweiler

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Ricardo Mendoza (Valdivia)

Microcuentos, Fisch - Bild:Quetzal-Redaktion, nicDer Hombro

Aus: Naturkunde der valdivianischen Region von Marquéz de Putabla
Der Hombro ist eine Art Fisch, der nicht über Kiemen, dafür aber über starke Lungen verfügt, die es ihm ermöglichen, dem Lauf der regionalen  Flüsse zu folgen oder entgegen zu schwimmen und dabei den Kopf plattnasig aus dem Wasser zu halten. Sein riesiges Riechorgan, das mit gut funktionierenden Klappen versehen ist, hält er so weit wie möglich aus dem Wasser heraus. Vorsichtig bewegt er seine Flossen, um das Eindringen des für ihn lebensnotwendigen Elements in seine Lungen zu vermeiden. Daher sieht man ihn vornehmlich in ruhigen Gewässern und das auch nur im Hochsommer, wenn die Flüsse sich über seiner Liegestatt ausruhen. Den Rest des Jahres schläft der Hombro, den Körper halb eingesunken, in seichten Uferbereichen. Dann wächst ihm jenes glänzende, huftierartige Fell, welches die Kürschner in Europa und andernorts  so  hochschätzen und das fast für sein Aussterben gesorgt hat. Heutzutage steht er – wie auch das Schnabeltier und die Beutelforelle – unter Naturschutz, was die Menschen aber nicht davon abhält, ihn weiterhin zu jagen.
Der Hombro ist vorzugsweise nachtaktiv, denn bekanntlich sind die regionalen Flüsse in der tiefen Nacht solchen Spezies gegenüber milder und entgegenkommender. In diesen Gewässern der Dunkelheit und bei Windstille beginnt er zu pfeifen, während er die Wässer, die so rein und kristallen wie sein Gesang sind, durchzieht. Indem er seine beiden Nasenklappen unabhängig voneinander betätigt, bringt er die süßen Melodien und Kadenzen hervor, die die Seele all jener Unglücklichen bezaubern, die ihn vernehmen und die der Zufall oder nicht näher bekannte Gründe an die Gestade des nächtlichen Stromes getrieben haben.


Übersetzung aus dem Spanischen: Gabriele Eschweiler

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Zeichnungen: Quetzal-Redaktion, nic

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