Morgen ist es soweit: Die Brasilianer müssen sich für einen Präsidentschaftskandidaten entscheiden. Nach einem eher ruhigen ersten Wahlgang, in dem der Sieg von Lula fast sicher war, änderten sich die Vorzeichen für den zweiten Wahlgang. Aber zuerst, eine kurze Zusammenfassung der Kampagnen bis zum heutigen Tag. Für den 1. Wahlgang waren vier stärkere Kandidaten ins Rennen gegangen: Luis Inácio Lula da Silva (der derzeitige Präsident), Geraldo Alckmin (der ehemalige Gouverneur von São Paulo), Heloisa Helena (Senatorin) und Cristovão Buarque (ehemaliger Bildungsminister unter Lula da Silva). Von hatten nur die erste zwei eine Chance zu gewinnen.
Der Kandidat Cristovão Buarque zeigte sich kaum bereit, über etwas anderes als Bildung zu reden und hat zudem keine starke Persönlichkeit, um sich durchzusetzen. Die geringe Popularität spiegelt sich in seinem Wahlergebnis wieder: 2,64%. Die Kandidatin Heloisa Helena verfügt dagegen über einen sehr markanten Charakter. Sie war Mitglied der Arbeiterpartei, ist aus dieser jedoch ausgetreten, als die Korruptionsaffäre ans Licht gekommen ist. Ihr Ziel war es, die politische Ethik in der brasilianischen Regierung wieder aufzufrischen. Mit ihrer harten und radikalen Wortwahl und der bekannten „Uniform“ (weißes Hemd und blaue Hose) hat sie einen Teil der ärmeren Bevölkerung hinter sich gebracht aber wurde von der mittleren und höheren Schicht stigmatisiert. In einem Land wie Brasilien, wo das Image sehr hohe Bedeutung hat, war sie irgendwie fehl am Platz. Sie bekam am Ende nur 6,85% der gültigen Stimmen und diejenigen, die sie gewählt haben, machten es aus Protest und nicht wegen ihres Programms (das eigentlich nicht vorhanden war und laut der Kandidatin für die Wahl nur von geringer Relevanz sei).
Grundsätzlich konnte sich das Land nicht zwischen Lula und Alckmin entscheiden. Oder besser gesagt es war geprägt durch eine Spaltung zwischen Leuten für und gegen den Präsidenten Lula, da seine Regierung die Bevölkerung enttäuscht hat. Er war Träger der Hoffnung auf Reformen und Entwicklung besonders in den Bereichen Bildung und Soziales. Innerhalb von vier Jahren ist dort aber zu wenig geschehen. Dazu kommen noch die Korruptionsskandale, die nicht nur die Arbeiterpartei (PT) unter Druck setzten, sondern auch den Ruf von Lula verschlechterten. Wenn man die Quantität und die Intensität der Skandale sieht, dann ist es fast ein Wunder, dass Lula noch so stark geblieben ist. Ungefähr zehn Tage vor der ersten Wahlgang ist ein weitere Skandal ans Licht gekommen: Mitarbeiter der PT wollten ein gefälschtes Dokument kaufen, das sich gegen den zukünftigen (jetzt schon gewählten) Gouverneur von São Paulo, José Serra, richtete. Dafür wollte die PT sehr viel Geld investieren. Und bis heute stellt sich die Frage: Woher stammte dieses Geld? Ein Untersuchungsausschuss hat bereits seine Arbeit aufgenommen, aber das Ergebnis sollte erst nach dem zweiten Wahlgang veröffentlicht werden.
Vier Tage vor dem ersten Wahlgang organisierte der TV-Sender Globo eine Debatte zwischen den vier Hauptkandidaten, damit sich die Wähler eine eigene Meinung bilden konnten. Präsident Lula ging nicht zu diesem Treff, da seine Konkurrenten ihn nach dem gefälschten Dokument und dem Geld gefragt hätten. Darauf hätte er kaum eine Antwort geben können. Wahrscheinlich war es für Lula auch die beste Taktik, da die Debatte der Präsidentschaftsbewerber keine informativem Inhalt hatte: Einig wear man sich nur hinsichtlich Lulas Schuld.
Die diversen Meinungsumfragen vor dem ersten Wahlgang zeigten Lula mit mehr als 50% der gültigen Stimmen an der Spitze, d.h. die Medien glaubten kaum an einen zweiten Durchgang. Merkwürdigerweise zeigte die Umfrage zwei Tage vor der Wahl genau das Gegenteil: es galt als sicher, dass es einen weiteren Urnengang geben wird. Der Wähler war verunsichert, und die Medien berichteten sehr tendenziös. Alckmin, der sein Wahlprogramm erst zehn Tage vor der Wahl veröffentlicht hatte, verbesserte sein Image eher durch Lulas Fehler als durch seine eigene Leistung. Als Opposition präsentierte er kaum neue Ideen und fokussierte sich eher auf den Angriff der Regierung. Dadurch schaffte er 41,64% der Stimmen, während Lula die absolute Mehrheit mit 48,61% knapp verfehlte.
Das Wahlergebnis zeigt, dass das Land geographisch und ökonomisch in zwei Blöcke geteilt haben: die Armen im Norden und die Reichen im Süden. Der ärmere Teil der Bevölkerung steht hinter Lula, da er diesen in seiner Regierungszeit einige Erleichterungen gegeben hat. Beispielsweise die Erweiterung der “Bolsa Família”, die Geld für Familien mit einem BG von bis zu R$120 gibt. Die Hilfe ist jedoch weit entfernt von jener, welche Lula eigentlich geben wollte. Auch wenn solche Programme das Armutsproblem nicht lösen werden, stellt es für die Armen schon eine leichte Verbesserung dar. Damit sicherte sich Lula die Stimmen des Nordens. Der Süden wird durch die mittleren und höheren Gesellschaftsschichten ökonomisch und deshalb auch politisch geführt. Es ist nicht so, dass die Regierung von Lula diese beiden Schichten stark benachteiligt hatte, es war vielmehr der durch Skandale begründetet Frust, die zur Unterstützung Alckmins führte.
Nach dem ersten Wahlgang war der prozentuelle Unterschied zwischen beide Kandidaten sehr gering. Jetzt zeigen die Umfragen wiederum einen starken Vorteil für Lula. Ob die Medien ihre Meinung erneut ändern werden, ist noch offen. Bisher fanden drei Debatten statt, und die letzte war am Freitag, (27.10.). Seit seiner Stärkung durch den ersten Wahlgang hat Alckmin seinen Stil geändert: er wurde aggressiver und entscheidender. Diese Stimmung prägte alle drei Debatten aber am Ende zeigten die Umfragen immer Lula als den Siegreichen.
Die Brasilianer haben, wie schon vor vier Jahren, keine große Hoffnung auf Veränderung. Sie gehen wählen, weil es ihre Pflicht ist und vielleicht aus Protest gegen die aktuelle Regierung. Die Stimmung am heutigen Morgen war: „Es wird sich sowieso nichts ändern“. Trotzdem sind alle auf das Ergebnis gespannt. Unabhängig wer es am Ende ist, Lula oder Alckmin, der zukünftige Präsident wird eine schwere Amtszeit haben, denn auf ihn wartet die Aufgabe, die Staatsausgaben noch weiter zu kürzen. Ich wünsche Beiden viel Glück, und hoffentlich gewinnt der „weniger Schlechte“.