Brasilien bedeckt mit einer Fläche von 8.514.215 km² circa 47 Prozent des südamerikanischen Kontinents. Auf dieser Fläche vereint Brasilien nicht nur eine vielfältige Flora und Fauna, sondern ist auch reich mit mineralischen Bodenschätzen ausgestattet. Ob nun Aluminium, Kupfer, Gold, Silber, Mangan, Zinn, Bauxit, Uran, Blei, Nickel, Titan oder Phosphat – es gibt kaum ein Mineral, das fehlt. Geringe Lohnkosten in Kombination mit niedrigen Steuern sind ein Eldorado für Unternehmen im brasilianischen Bergbausektor. Zudem profitieren die Rio Tinto Group, BHP Biliton und Vale (sie sind die drei größten Bergbauunternehmen der Welt) vom ernormen Rohstoffhunger aus Süd-Ost Asien.
Mit Vale, vormals auch unter dem Namen Companhia Vale do Rio Doce (CVRD) bekannt, kommt eines der riesigen Bergbauunternehmen sogar aus Brasilien. Es wurde 1942 als Staatsbetrieb gegründet und 1997 unter starker Kritik privatisiert. Durch zahlreiche Übernahmen stieg es zum weltweit größten Erzexporteur auf. Vale ist nicht nur auf allen 6 Kontinenten vertreten, sondern auch in 16 brasilianischen Bundesstaaten. Am Beispiel der Bauxitmine von Porto Trombetas im Regenwald des Amazonas soll der folgenden Artikel einen Einblick in das Leben und Arbeiten rund um die Mine und die Satellitenstadt geben.
(Einleitung der Redaktion)
Kunstwelt im Regenwald
Es gibt in Brasilien Sklavenarbeiter in den Köhlerhütten der Eisenerzmine von Carajás. Es gibt Kinderarbeit in den Talkum-Minen, worauf Faber-Castell und die BASF erschrocken reagierten und ihre Zulieferungen sofort kappten. Im Amazonasgebiet schürfen abgerissene Gestalten nach Gold, es herrschen Gewalt, Pistoleiros und das Recht des Stärkeren. Es gibt Minen, die aussehen, als habe ein Meteorit eingeschlagen, aufgewühlte, geschändete Natur.
Nichts von alledem ist Porto Trombetas, die drittgrößte Bauxitmine der Welt. Sie ist eine nach Fabrikprinzipien zertifizierte und durchorganisierte Lebenswelt, ein lohnendes Objekt für Industriesoziologen und Kulturwissenschaftler. Porto Trombetas wird regiert von einem Unternehmen, der Mineração Rio do Norte, kurz MRN, mit einem Werkschutz, der wie eine Polizei ist. Die nächste Stadt, Santarém, liegt 15 Bootsstunden entfernt. Und auch Belém, die Millionenstadt an der Amazonasmündung, ist unerschwinglich weit weg, ein Flug dorthin kostet rund 400 Euro – fast einen Monatslohn.
Ein Anti-Brasilien
Porto Trombetas ist eine Enklave im Primärregenwald, umlagert von Anakondas, von Vogelspinnen und Kaimanen, auch deshalb dürfen die Menschen keine Haustiere halten. Zur Mine gehört ein Naturschutzgebiet, wilde Ansiedlungen arbeitshungriger Menschen, Raubbau und unkontrollierten Holzschlag wird es nicht geben. Ein autoritäres, abgeschottetes System, aber „gut für die Ökologie“, sinniert Peter Camin, Konzernbetriebsratsvorsitzender von Hydro Aluminium in Deutschland.
Camin ist Arbeitsschutzexperte und auch ein Stück weit fasziniert von dieser Stadt, die vollkommen nach den Prinzipien des Arbeitsschutzes gebaut ist – Sortieren, Systematisieren, Sauberhalten. Überall im werkseigenen Hospital und in der Firmen-Schule hängen Warnschilder mit Vorsichts- und Verhaltensregeln – ein Anti-Brasilien.
Gestern sind die deutschen Betriebsräte aus der Aluminiumindustrie auf dem kleinen Flughafen gelandet und haben sofort einen Ausweis für zwei Tage bekommen. Niemand kann einfach zu Besuch kommen. In Porto Trombetas sind die Grenzen des Werkes die Grenzen der Stadt. 1500 Familien leben in uniformen Flachbauten mit Gärtchen und Carport, die Größe der Häuser spieg elt die Position in der Hierarchie des Unternehmens. Die schlechter bezahlten Fremdfirmenarbeiter leben in uniformen Wohnboxen. Davor stehen Glascontainer – es herrscht ja vorbildliche Mülltrennung – bis obenhin voll mit leeren Cachaça-Flaschen, dem klaren Zuckerrohrschnaps. Sie alle kommen irgendwoher aus Brasilien, alle haben ihre Freunde und Angehörige zurückgelassen. In ihren neuen Mittelklassewagen fahren die Minenarbeiter die 200 Meter vom Haus zum Supermarkt, niemals schneller als 50 Kilometer. Einmal im Jahr können die Stammarbeiter im Rahmen des Arbeitsvertrages der „Schönen Neuen Welt“ von Porto Trombetas entkommen – das Unternehmen zahlt einen Heimflug.
Manche Arbeiter rasten hier regelrecht aus. Manche sind in dieser Enklave glücklich geworden, wie der 53jährige Antônio Carvalho, der als Operador de Equipamentos de Mineração den größten Muldenkipper der Welt fährt. Im Gewerkschaftshaus der Bergarbeitergewerkschaft erzählt uns der gläubige Christ, welch exzellente Ausbildung seine Kinder in Trombetas bekommen haben und wie zufrieden er mit seiner Frau hier seit 30 Jahren lebt, wo es keine Morde und Überfälle gibt, wie in den großen Städten, und er Kirchgänge, Natur und Belegschaftsfeiern genießen kann. Einmal im Jahr verlässt er PortoTrombetas, um seine sechs Wochen Jahresurlaub im wirklichen Brasilien zu verbringen, „das reicht“, sagt Antônio, und Marten Henschel übersetzt, nein, er schlüpft in diese singende, umwerbende Sprache – das brasilianische Portugiesisch.
Hunger auf die rote Erdschicht
Die Bauxitmine gehört den global agierenden Rohstoff-Multis, allen voran der amerikanischen Alcoa und der brasilianischen CVRD. Die norwegische Norsk Hydro hält fünf Prozent, „das ist das am leichtesten verdiente Geld im Konzern“, weiß Peter Camin. Ein Eldorado am Rio Trombetas zwischen Belém und Manaus, das eine lehmartige Bauxiterde liefert, aus der mit viel Strom das silbrige Metall Aluminium gewonnen wird – das weltweit eine sprunghafte Nachfrage verzeichnet – für Autos, Fensterrahmen, Kameras.
Die drittgrößte Bauxitmine der Welt läuft 360 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag. Nachts werden im Scheinwerferlicht die Arbeiter aus ihren Schlafboxen und Einfamilienhäusern abgeholt und im Werksbus 38 Kilometer durch den Regenwald dorthin gefahren, wo gerade abgebaut wird. Riesige Schaufelbagger schieben sich über das Abbaugebiet; wo vorher Primärregenwald war, wird das Erdreich aufgewühlt und abgetragen, um an den Flöz – eine knallrote, nur drei Meter dicke bauxithaltige Erdschicht – zu kommen. Jede Schaufel kann 20 Tonnen greifen und in die größten Lkws der Welt hieven. Tempo ist gefordert, nicht selten arbeitet auch der Kipperfahrer Antônio Carvalho pausenlos durch, während er in seiner klimatisierten Fahrerkabine frommer Musik lauscht. Und von Januar bis Juni regnet es, was das Zeug hält.
Bei Regen, bei Hitze, bei Nacht steigen sie in ihre hellbraune Arbeitskleidung und sitzen auf ihren Lastern, kontrollieren, ob die Zertrümmerungsanlage funktioniert, die überdachten Förderbänder laufen, dass der Bauxit korrekt gewaschen und wieder getrocknet wird, und verfolgen am Hafen, wie ein Schiff beladen wird, in exakt 17 Stunden.
Als am 13. Januar 1979 das erste Schiff mit Bauxit abfuhr, den Rio Trombetas und dann den Amazonas hinunter zu den Aluminium-Fabriken an der Ostküste – da war José Assis dabei und arbeitete als Maschinenfahrer in der Mine von Porto Trombetas – ein Pionier der Siedlung. Damals dachte man, das reichhaltige Vorkommen könne 150 Jahre abgebaut werden, heute sorgt sich Assis, dass in 20 Jahren Schluss sein könnte und hier eine Geisterstadt zurückbleibt.
José Assis da Silva ist Chef des Sindicato dos Mineiros, der Bergarbeitergewerkschaft der Region Oriximiná. Vor dem Gewerkschaftshaus ragt eine Antenne fünf Meter in die Höhe, die ist für das neue Arbeiterradio, denn die Gewerkschaft will auch die Fremdfirmenarbeiter erreichen, „das ist nicht ganz legal, aber es ist gerecht“, sagt der Gewerkschaftschef schlitzohrig.
Assis steht am Kopfende des Tisches: „Ich sage euch, die Fremdfirmen sind unser größtes Problem, man verbraucht und verheizt die Leute.“
Der Mensch als verlängerte Maschine
„Die Arbeit in der Mine ist hart. Härter ist aber die Isolation. Manche ertragen das nicht“, berichtet Assis, „wir haben von MRN Psychologen angefordert. Jeden Tag sind die Leute im gleichen Freizeitclub. Man kommt nicht raus. Wir haben 1000 Monteure in Wohnheimen – nur Männer. Die saufen das Wochenende durch, weil es nichts zu tun gibt. Wir sagen MRN: Lasst sie durcharbeiten oder bezahlt ihnen die Heimfahrt. Ich habe erlebt, dass Arbeitnehmer weggehen aus Porto Trombetas, die gehen in Rente und fallen dort draußen tot um. Ich sage dem Unternehmen: Ihr müsst die Leute auf das Leben in Santarém oder Belém wieder vorbereiten, nach 20 Jahren in dieser Kunstwelt. Viele sind nur noch verlängerte Maschinen.“ Auch seinen Gewerkschaftsmitgliedern schärft Assis ein: „Denkt unternehmerisch, denkt an eure Zukunft!“, denn wer 25 Jahre für MRN gearbeitet hat, kann mit 1300 Real – rund 400 Euro – in Rente gehen. Fast alle arbeiten weiter, das ist normal in Brasilien.
„Am 27. Juli 1989 wurde unsere Gewerkschaft gegründet“, sagt Assis stolz, „nach sechs Monaten hatten wir den ersten Streik, nun ja“, er neigt den Kopf zur Seite, zögert, „auch wir waren damals nicht so reif wie heute, wir streikten elf Tage, das Militär wurde mit Armeeubschraubern eingeflogen, es hätte nicht viel gefehlt und es wäre Blut geflossen.“ Pause. Aufatmen. „Heute ist auch das Unternehmen reifer geworden“, fährt Assis fort. „Wir haben gelernt, die Rollen auseinanderzuhalten, beruflich haben wir Konflikte, aber menschlich verstehen wir uns. Das Klima ist gut, man könnte fast von freundschaftlichen Beziehungen sprechen.“
Wir sind beinahe erleichtert. Vor zwei Tagen waren wir Zeugen einer verkrampften und konflikthaften Begegnung zwischen dem Werksdirektor und dem Metallgewerkschaftschef in der Aluminiumfabrik Alumar in São Luís, einem Werk, das auch Alcoa gehört. Und nun kommt João Paulo Mello, der Personalvorstand, zwanglos ins Freizeitheim der Bergarbeitergewerkschaft, begleitet von seinen Mitarbeitern, alle tragen die gleiche braune Uniform. Personaler und Gewerkschafter essen miteinander, scherzen, verhandeln und sind fast bemüht, nicht zu locker zu erscheinen.
Aber Konflikte gibt es mehr als genug. MRN will hier und dort sparen, die Shareholder wollen mehr Profit, und die Bergbaugewerkschaft hält dagegen. Assis war zweimal in Deutschland, auf der Expo 2000 und 2005 auf einer Tour durch die deutschen Aluminiumwerke, die das DGB-Bildungswerk organisierte. Diese Weltläufigkeit hat dem Gewerkschafter sichtlich Respekt beim Management eingebracht. Doch die Kultur kooperativer Arbeitsbeziehungen hat auch andere, handfeste Gründe.
Die Gewerkschaft als Ordnungsfaktor
Die Gewerkschaft ist Teil der Siedlung, Teil der Mine, denn aus dem Werk kann man Assis, den Chef der Bergbaugewerkschaft, nicht aussperren, da müsste man ihn in den Regenwald schicken. Immer noch sitzen wir im Gewerkschaftshaus um den ovalen Tisch, draußen ist es fast Mittag und die Schwüle wird uns wie ein Schlag auf den Kopf treffen. „Wie erklärt ihr euch“, fragen die deutschen Betriebsräte, „dass hier die Arbeitsbeziehungen so anders sind als in den Aluminiumfabriken, wo die Gewerkschaftsfeindlichkeit der Multis mit Händen zu greifen ist, wo sie, wie bei Alunorte, gewählten Gewerkschaftern den Zutritt zum Werk verweigern?“ „Darüber haben auch wir lange diskutiert“, antwortet Dudu Bolito, Projektleiter beim brasilianischen Observatório Social. „Unsere Antwort ist: Wenn es hier Ärger gäbe, hätte man sofort eine hochexplosive Situation, deshalb tut das Unternehmen alles, um dies zusammen mit der Gewerkschaft zu vermeiden.“
Die Bergarbeitergewerkschaft ist also auch ein Ordnungsfaktor und Assis eine Art Bürgermeister. Denn leicht könnte eine zugespitzte Lage außer Kontrolle geraten, die Arbeiter könnten in wenigen Minuten den kleinen Flughafen blockieren und den Hafen auch, und das unermüdliche Räderwerk von Porto Trombetas würde stillstehen. Schluss, aus, kein Bauxit mehr für die Megafabriken der Multis, für Alumar, Alunorte, Albras. Ein Alptraum für die Shareholder und die MRN. „Ja, sie fürchten den Giftstachel des Streiks“, nickt Assis.
Bald aber könnte dieser Giftstachel an Schrecken verloren haben. Die Multis sind dabei, zwei neue Bauxitminen zu erschließen – in Juruti, ein paar Stunden flussabwärts. Dann kann Alcoa die Förderung mal hier drosseln, mal dort hochfahren, und die Aluminiumfabriken sind nicht mehr abhängig von einer einzigen Bauxitmine. Trotz Protesten von Umweltschützern – die neue Mine wird wohl kommen, zu stark sind die Interessen der Lula-Regierung, in einer globalen Wirtschaft mitzumischen. Doch Juruti wird anders sein, es gibt dort Dörfer, und die Arbeiter werden in normalen Ortschaften neben der Mine leben. Porto Trombetas wird es nur einmal geben.
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Dieser Artikel erschien bereits unter dem Titel „Kunstwelt im Regenwald“ im Magazin Mitbestimmung (04/2007) der Hans Böckler Stiftung. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Magazins Mitbestimmung.
Bildquellen: Cornelia Girndt_