In seiner ersten Amtszeit hatte der brasilianische Präsident nur mäßige Erfolge vorzuweisen. Trotzdem hat er von dem Volk bei den letzten Wahlen eine zweite Chance bekommen (oder vielleicht hat er nur Glück gehabt, dass der andere Kandidat nicht stark genug war). Jetzt stellt man sich die Frage: Wie geht es weiter? Werden die nächsten vier Jahre demselben Rhythmus folgen, oder wird er seine linksorientierten Versprechen verstärkt umsetzen? Eine kurze Prognose der zweiten Regierung Lulas.
Bereits am 1. Januar hatte Lula angekündigt: „Es ist alles ziemlich gleich, aber grundsätzlich alles anders“. Mit dieser komplexen Aussage wollte der Präsident dem Parlament bei seiner ersten Rede erklären, dass er bereit für Erneuerungen sei. Ob das jemand nach dem relativ ruhigen Ausgang der ganzen Korruptionsfälle des letzten Jahres glauben mag, ist fragwürdig.
In dieser Legislaturperiode braucht Lula wie schon in den Jahren zuvor die Unterstützung von anderen Parteien, da der Partido dos Trabalhadores (PT) keine absolute Mehrheit im Parlament besitzt. Dies wurde auch in seiner Rede betont: er will einen Dialog mit der Opposition und mit den neuen Gouverneuren suchen. Vielleicht ist dieser Weg ein Besserer für Reformen, statt des üblichen Kaufs von Abgeordneten, wie es der PT schon versuchte.
Die Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit ist die erste Herausforderung für Lula in dieser neuen Etappe. Diese wird bestimmt nicht so problematisch sein, da sich die PT in einer sehr bequemen Lage befindet: Lula hat sogar eine größere Unterstützung seitens der Bundesstaaten als in 2002. Als ein weiterer Vorteil für den Präsidenten gilt die Unentschlossenheit der Opposition, die sich noch nicht auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt hat. Trotz der kürzlich eingeführten 5%-Hürde blieb die Handlungsfähigkeit in der bisher breit gefächerten Parteikonstellation, mit mindestens sieben großen Parteien, schwierig.
Aber der PT hat mit sich schon genug zu tun. Als eine weitere Aufgabe für sein fünftes Regierungsjahr steht Lula noch die Erneuerung seiner Partei bevor. Nach dem Skandal 2006 hat sich die Partei auch intern gespalten. Nur eine starke Führungsperson kann den PT jetzt vereinen und ihm einen neuen programmatischen Kurs geben, damit er noch ihre alte Wählerschaft beibehalten kann. Zusätzlich sollte Lula dringend eine politische Reform durchführen, um die Parteidisziplin zu stärken. Dies war eines seiner Wahlversprechen, um das Hinund Herwechseln der Abgeordneten und somit auch die Möglichkeit eines neuen Korruptionsfalls zu verhindern.
Eine striktere Parteitreue würde die brasilianische Politik um einiges erleichtern, besonders hinsichtlich der Reformfähigkeit. In Bereich internationaler Politik wird es keine drastische Veränderung geben. Lula wird seinen eher zurückhaltenden Diskurs verfolgen, Konflikte mit den südamerikanischen Ländern zu vermeiden und sich gegen den europäischen Protektionismus stellen. Diese Politik der Konfliktvermeidung wird von den Industrieländern gern gesehen (die Angst vor einem neuen Chávez ist vergangen), aber es wird im Land diskutiert, ob Lula doch ein bisschen entscheidungsfreudiger sein könnte. Seine Popularität in der mittleren und höheren Schicht Brasiliens hat nach dem Erdölkonflikt mit Bolivien etwas gelitten. Durch seinen Wahlkampf hat Lula im letzten Jahr die Verhandlungen mit den Ländern des Mercosul etwas vernachlässigt. Die verschiedenen kleinen Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern des Wirtschaftsblockes in Kombination mit dem Ende der brasilianischen Präsidentschaft des Mercosul dieser Woche werden Lulas Ziel der Stärkung der regionalen Integration schwierig machen.
Auch in der Wirtschaft sind noch ein paar Fragen offen. Lula strebt eine fünfprozentige Wachstumsrate für 2007 an, um Brasilien von dem Status eines „Entwicklungslandes“ zu befreien. Dies wollte er durch eine starke Sparpolitik, besonders bei den Bundesländern, schaffen. Wie er mit den Ländern um die Kürzung deren Budgets verhandelt, und gleichzeitig die Unterstützung der Gouverneure beibehalten will, hat er aber nicht gesagt. Weitere angekündigte Maßnahmen sind Investitionen in die Infrastruktur (besonders in den Bereichen Straßenbau und Erdölgewinnung) und einige Privatisierungen. Die Ankurbelung der Wirtschaft sollte eine bessere Einkommensverteilung und die Erhöhung von Arbeitsplätzen bewirken, und damit die Grundlage der Armutsbekämpfung sein. Das erste ökonomische Paket des Jahres für ein stärkeres Wirtschaftswachstum ist schon in Arbeit und soll in der nächsten Woche beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Schweiz) präsentiert werden.
Bei den sozialen Programmen ist die Kontinuität des zum Teil erfolgreichen Projekts „Bolsa Familia“ ein Trumpf von Lula. Damit sichert er sich die Stimmen des ärmeren Bevölkerungsteils, die ihn bei den letzten Wahlen zum Sieg verholfen haben. Für die Mehrheit der Wähler waren solche kleinen Erfolge in der Sozialpolitik wichtiger als die Korruptionsfälle. Es ist auch bekannt, dass die Basiswählerschaft des Präsidenten aus den nördlich gelegenen Bundesländern kommt, wo die Korruptionsskandale nicht so viel diskutiert worden waren und damit Lulas Popularität nicht so stark beeinflussten. Trotzdem will Lula seine Wählerschaft auf eine breitere Basis stellen, indem er beispielsweise durch Steuersenkungen die Mittelschicht für sich gewinnt.
Damit will der Präsident sein Ziel einer populären statt einer populistischen Regierung erreichen und der Nord-Süd-Spaltung des Landes entgegenwirken. Trotz der immer noch großen Zustimmung des Volkes muss Lula sein schwindendes Charisma zurückgewinnen.
Die Medien warten auf jede Gelegenheit, seine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen, während die Opposition sich organisieren und Kritik äußern wird. Sogar sein ehemaliger Partner, die Landlosenbewegung (MST), wartet auf eine Antwort von Lula auf ihre Forderungen. Sie hatte Lula bei den Wahlen unterstützt, aber die Stimmungslage war deutlich schlechter als 2002. Dazu kommt noch die Fragilität der Arbeiterpartei ins Spiel. Dieser psychologische Druck wird ohne Zweifel die größte Schwierigkeit für die neuen Regierung Lulas sein.
Literaturhinweise:
De Azevedo, Ricardo (2006): „Gestützt auf die Kräfte des Volkes gewinnt Lula erneut die Wahl“, in: Kurzberichte aus der int. Entwicklungszusammenarbeit, Lateinamerika und Karibik, November 2006. Bonn: Friedrich Ebert Stiftung.
Krause, Silvana (2006): „Brasilien nach den Wahlen 2006“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 51/52-2006, S. 25-31. Bonn: Bundeszentrale für pol. Bildung. Hofmeister, Wilhelm (2006): „Präsident Lula im zweiten Wahlgang wiedergewählt“, in: Focus Brasilien Nr. 9, Oktober 2006. Rio de Janeiro: Konrad Adenauer Stiftung.