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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Das Land der Zukunft

Michelle Caldas Meyer | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

“Nas favelas, no senado
Sujeira pra todo lado
Ninguém respeita a Constituição
Mas todos acreditam no futuro da nação
Que país é esse?”*

Brasilien zu beschreiben sollte eine einfache und dankbare Aufgabe sein. Man kann das Land vermutlich mit drei Wörtern zusammenfassen: Samba, Frauen und Fußball. Oder? Zumindest ist es das, was die meisten über den Riesen Lateinamerikas wissen. Dass die brasilianische Kultur viel mehr zu bieten hat, bleibt jedoch versteckt. Diejenigen, die das Glück haben, die anderen Seiten Brasiliens persönlich kennenzulernen, verlieben sich in seine Gegensätze, Freundlichkeit und Varietät. Brasilien besteht nämlich aus vielen „Ländern“ in einem Land.

Mit seinen natürlichen Gegebenheiten und seiner einzigartigen Geschichte ist Brasilien ein Sonderling in Lateinamerika. Über 190 Millionen Menschen, die fast die Hälfte des Kontinents bewohnen und noch oben drauf eine andere Sprache sprechen? Vor denen sollte man sich in Acht nehmen. Aber, Spass bei Seite, die portugiesische Kolonisation hat eindeutige Unterschiede zu den Spanisch sprechenden Ländern hinterlassen. Nirgendwo sonst findet man eine solche kulturelle und ethnische Mischung. Europäer, Indigene, Afrikaner und später sogar Asiaten haben die heutige Gesellschaft geprägt. Der bekannte Mythos vom Schmelztiegel Brasiliens ist jedoch auch nicht völlig richtig. Zwar leben alle zusammen und friedlich miteinander, die Vorurteile und Diskriminierung sind aber dennoch tief im Kopf des Einzelnen drin.

Obwohl man in Brasilien gern Witze über das alte Mutterland Portugal macht (wie war das nochmal mit den Vorurteilen?), für eins muss man den Portugiesen ein Lob aussprechen: Sie haben uns ein prächtiges Territorium hinterlassen. Vom kalten Süden bis tief hinein nach Amazonien haben wir eine natürliche Vielfalt, die Forscher weltweit nur träumen lässt. Schon im Jahr 1500 wussten die Portugiesen davon und schrieben an ihren König: „alles was hier gepflanzt wird, gedeiht“. Verschiedene Klimazonen, verschiedene Böden, genug Wasservorräte; die natürlichen Voraussetzungen sind vorhanden, fehlt nur noch der Wille des Volkes, diese Geschenke zu seiner eigenen Entwicklung zu nutzen.

Und da wären wir bei einem heiklen Thema gelandet: der Politik. Von der Monarchie über die Diktatur bis hin zur Demokratie hat sich die brasilianische Politik kaum verändert. Zumindest für die Ärmeren. Die Land- und damit Machtkonzentration ist ein fortdauerndes Überbleibsel der Kolonisierung. Brasilien ist nicht umsonst so bekannt für seine extensive Agrarwirtschaft, die in den letzten Jahren mit dem Boom der Biokraftstoffe so attraktiv für den Rest der Welt geworden ist. Eine solche Entwicklung ist nur mit viel Geduld und der langsamen, aber progressiven Politisierung der Bevölkerung zu bremsen. Aber was wäre Brasilien ohne Hoffnung? Eine neue Parole ist im Volksmund: Wir Brasilianer geben nie auf!

Trotz Armut, Gewalt und Korruption finden die Brasilianer immer einen guten Grund zu lächeln – selbst dann, wenn sie nur über ihr eigenes Schicksal lachen. Dieser blinde Optimismus ist auch in der Musik, Literatur oder Kunst vorhanden. Die sanften Töne des Bossa Nova, die lässigen und verführerischen Bücher von Jorge Amado oder die runden Formen von Oscar Niemeyer sind weltweit bekannt und berühren die Seele von Personen, welche nie im Leben den Genuss hatten, eine Kokosnuss am Strand zu trinken, während man am hellroten Himmel einen Sonnenuntergang sieht. Die brasilianische Lebensart ist halt ansteckend. Sogar der ehemalige Papst Johannes Paul II schwärmte über Brasilien: „Wenn Gott Brasilianer ist, ist der Papst Carioca“.

Das alles ist Brasilien. Ein Land der Zukunft mit einer turbulenten Gegenwart und einer außergewöhnlichen Vergangenheit. Unmöglich ihm zu widerstehen.

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* “In den Elendsvierteln, im Senat/ Schlamassel überall/ Niemand respektiert die Verfassung/ aber alle glauben an die Zukunft der Nation/ Was ist das für ein Land?”. “Que país é esse”, Renato Russo.

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Fragen, die man nie an einem Brasilianer stellen sollte…
(oder: Die brasilianischen Klischees)

– Sprecht Ihr Spanisch?
– Sprecht Ihr Brasilianisch?
– Eure Hauptstadt ist Buenos Aires, oder?
– Kannst du von deinem Haus aus Krokodile, Affen oder irgendein Tier sehen?
– Habt Ihr Internet?
– Wie ist das Leben im Urwald?
– Bist du Brasilianer? Aber du bist gar nicht Schwarz?!
– Kannst du Samba/ Tango/ ChaCha tanzen?
– Die Frauen laufen die ganze Zeit nackt am Strand, oder?
– Wie heißt eurer Fußballstar? Maradona?
– Wie findest du den neuen Präsidenten, Hugo Chávez?
– Wie ist das so in Amazonien?
– Verkleidet ihr euch im Karneval so wie die Mädchen im Fernsehen?
– Wie, du kannst kein Fussball spielen?

3 Kommentare

  1. jan z. volens sagt:

    Michelle: Otimo ! Parabens! Was in meiner Erinnerung besonders von Brasilien erscheint: Die Stimmen der Frauen, – die unverschaemten, freschen Voegel,- und die phantasischen, opernkulissenhaften Baeume. Die Brasilianerin spricht ein viel schoeneres und klareres brasilianischen Portugiesisch als die Maenner (das wissen auch die Sprachwissenschaftler). Auf Ilha Santa Catarina wurde ich immer hintertueckisch von hinten durch den „Quero-quero“ angeflogen und erschreckt. Und in den Bougainvillias auf meinem Balkon bauten sich ein paar Wildtauben ihre Nest – in welchen sie sich beim Brueten aufwechselnden. Und dann auf den Daechern der Haeuser die „Hauspapageien“ welche ihre lauten Verlautbarungen „arara arara“ kreischen! In den meisten Laendern Lateinamerika haben sich Indigene, Europaer und Afrikaner verschmolzen. Aber Brasilien hatte auserdem noch, wie USA und Kanada, eine Masseneinwanderung von europaeischen Familien im 19ten Jahrhundert – mehrere Millionen Italiener, viele Spanier, nochmal Portugiesen (besonders von den Azoren), und Polen. Und 200,000 Deutsche. Am Anfang des 20sten Jahrhunderts kamen Einwanderer von Japan – und heute sind weit mehr als eine Million der Brasilianer von japanischer Abkunft. Aber wie in USA – sind die Nachkommen der europaeischen Einwanderer heute in Brasilien untereinander ohne Herkunftsbegrenzung verheiratet, und auch teilweise den gemischten Brasilianern. „Haut ist immer in Mode“ in Brasilien: Der Mann ohne Hemd ist fast ueberall, und die Brasilianerin kleidet sich bequem – „Mode“ ist keine Wahn in Brasilien – auch das Haar bleibt „ungezaehmt“. Was die Brasilianer ueber die Portugiesen meinen: „Der Besucher fragt den Portugiesen: ‚Warum hast du eine leere Weinflasche im Kuehlschrank?‘. Antwort des Portugiesen: „Falls einer zu Besuch kommt der nichts trinkt!“ Der Brasilianer aerger sich ueber alles was mit der spanischen Sprache und den „Lateinamerikanern“ zusammen haengt! Denn er ist „Brasileiro“ – und die „Latinoamericanos“ sind die Bewohner in allen den unwichtigen Nachbarlaendern! Die goldene Epoche des Samba (O samba – maennlich) war 1940-1960. Der bekannteste is AQUARELA DO BRASIL (Ari Baroso 1939) – youtube video ORQUESTA SINFONICA ITABAIANA AQUARELA DO BRASIL. Heute bester Samba von FUNDO DO QUINTAL. Auch INSENSATO DESTINO, und ARLINDO CRUZ SERA QUE E AMOR.

  2. jan z. volens sagt:

    Brasilien hat mehrere regionale Musikformen: In Rio Grande Sul – wo die „Gauchos“ leben ist es MUSICA GAUCHA, in Recife ist der FREVO, youtube Video „MARIA RITA FREVO“ und „ALMIR ROUCHE FREVO“. (Samba getanzt von Brasileira: MARIA RITA NAO DEIXE O SAMBA MORRER). Im Nordosten ist die Musik der FORRO. Die Menschen auf dem Land in Brasilien bevorzugen MUSICA SERTANEJA.

  3. jan z. volens sagt:

    Brasilien hat auch klassische Musik – Heitor Villa-Lobos, die Oper „O Guarani“ von Gomes, die Kompositionen von Ernesto Nazareth. Zur Zeit hoert man USA die Komposition von Clarice Assad (Rio de Janeiro) – sehe youtube ‚BRAZILIAN FANFARE‘ – dirigiert von Dawn Harms!

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