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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Coca – Opfergabe, Währung, Kulturpflanze

Anka Schmöll | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Nach dem Schöpfungsmythos der Inkas wurde die Cocapflanze den Menschen vom Sohn der Sonne als Geschenk gegeben. Sie sollte die Betrübten erheitern, den Müden und Erschöpften neue Kräfte bringen und die Hungrigen laben. Und so wurde sie jahrhundertelang verehrt und genutzt; sie war Gastgeschenk, Medizin und Opfergabe, Währung und Kulturpflanze. Die Anbeter anderer Götter, die vor 502 Jahren die Söhne der Sonne unterwarfen, verstanden die Bedeutung der Pflanze nicht, sie galt ihnen als „Blendwerk des Teufels“. Doch da schon damals der Mammon sich anschickte, die Welt im Norden zu regieren, wurde sie, obwohl 1569 offiziell verboten, zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität der Sklaverei in den Goldminen eingesetzt. Sie sollte Hunger und Erschöpfung vergessen machen, bis die Körper der Bergleute sich nicht mehr von der Droge überlisten ließen und aufgaben.

Als der Sohn der Sonne diesen Mißbrauch bemerkte, ließ er 1860 den deutschen Wissenschaftler Niemann in seinem unbezähmbaren Wissensdurst das Geheimnis der labenden Wirkung der Pflanze chemisch isolieren. Die Plage des Kokains überzog seit jener Zeit die Länder des Nordens. Getrennt von ihrer kulturellen Bedeutung, maßlos produziert und konsumiert, brachte sie Abhängigkeit, Wahn, Tod und Verbrechen an die Lower East Side und zum Bahnhof Zoo.

Leider hatte Manco Capac die sich alles einverleibende Macht des Mammon, heute wird er auch als Markt bezeichnet, unterschätzt. Wie die anderen Reichtümer der Quechua und Aymara, wie Guano und Gummi, Zinn und Gold, begann mit ihrer „Entdeckung“ und Nutzung durch die Europäer die Umformung der traditionellen Kultur nach den Bedürfnissen der Rechenschieber.

Obwohl von der UNO 1961 völkerrechtlich geächtet und zum Aussterben bis 1986 verurteilt, stieg die Nachfrage wie zum Trotz in den 70er und 80er Jahren besonders in Europa ungeheuer an. Zur selben Zeit verfiel der Zinnpreis auf dem Weltmarkt, sank der Wert des Geldes in Bolivien um 30.000% pro Jahr, wurden 23.000 Mineros entlasssen, vernichtete eine Dürre im nördlichen Hochland die Lebensgrundlagen lausender Menschen.

In dieser Situation war der Cocaanbau für die meisten die einzige Alternative. „Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Pflanze, die vier oder fünf Ernten im Jahr abwirft, für die es eine scheinbar unbegrenzte Nachfrage gibt und die dem Bauern mehr als jedes andere Produkt einbringt. Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Pflanze, die kaum Pestizide benötigt, die in sauren, vom Regen aufgeweichten Böden gedeiht, in denen andere Pflanzen verkümmern und absterben… Und stellen Sie sich weiter vor, daß der Bauer nicht etwa über hunderte von Meilen über Schotterwege voller Schlaglöcher fahren muß, um seine Ernte zum Markt zu bringen, sondern sie einfach vor seiner Haustür deponiert und wartet, bis sie abgeholt wird.“ so Clare Hargreaves in ihrem Buch „Bitterer Schnee. Eine Reportage aus dem Drogenkrieg.“

An den fruchtbaren Hängen des Chapare, im Süden Boliviens, werden heute kaum noch Lebensmittel produziert, es gibt keine Fruchtfolge, keine Produktvielfalt, von der man leben, die man auf dem Markt eintauschen könnte. Noch 1977 wurden im Department Cochabamba 27% Bananen, ebensoviel Cocapflanzen, 39% Reis, 4% Yuka und 3% Orangen angebaut. Acht Jahre später nahm der Cocaanbau 68% der Flächen ein. Seit den 60er Jahren wanderten jedes Jahr tausende Familien in den Coca-boomenden Chapare. Die Einwohnerzahl erhöhte sich zwischen 1965 und 1988 um mehr als 80.000, andere Statistiker schätzen den Zuzug auf insgesamt 300.000 Personen. Die Produktion von Cocablättern stieg in derselben Zeit von 10.000 Tonnen in ganz Bolivien auf 100.000 Tonnen im Chapare, das sich zum Hauptanbaugebiet entwickelte und heute 85 bis 90% der Produktion liefert.

Die Logik des Marktes ist die einfache Ursache für das Scheitern der Substitutionspolitik, mit der den Bauern seit 1987 eine Alternative zur Cocaproduktion gegeben werden sollte. Das erkannte sogar eine Delegation des Deutschen Bundestages, die 1990 in ihrem Bericht feststellte: „Jeglicher Alternativanbau müßte von Absatz- und Alternativmaßnahmen begleitet sein und hätte zur selbstverständlichen Voraussetzung, daß mit den Alternativerzeugnissen die gleiche Rendite erzielbar wäre wie durch den Anbau von Cocablättern.“ Doch genau das verhinderten die nationalen Monopole der Agrarindustrie, die gute Verbindungen zu Regierungskreisen haben und vor allem die USA, die den Absatz der „neuen“ Produkte, wie Blumen und Bananen durch Zollhindernisse praktisch unmöglich machten.

Entschädigungen für die zerstörten Cocakulturen, Starthilfen für den Anbau und die Vermarktung alternativer Produkte, die Verbesserung der Infrastruktur, Weiterbildung der Bauern wurden mit der „Nationalen Strategie für alternative Entwicklung – Coca für die Entwicklung“ von 1990 versprochen. Kaum etwas davon wurde gehalten. Von den UNO-Projekten im Wert von 75 Millionen Dollar wurde gerade einmal l % der Campesinos begünstigt.

Die gezahlten Entschädigungsgelder entsprachen dem Wert von 3% der zerstörten Coca-Kulturen, insgesamt 17.000 Hektar von 1987 bis 1991. Netto kam es in diesen Jahren sogar zu einer Ausdehnung der Anbaufläche um 8.240 Hektar. Die Cocabauern zogen sich einfach in den unzugänglichen Norden zurück. Hinzu kommt eine Produktionsverlagerung aus den mit Gift besprühten Anbaugebieten Kolumbiens. Auch die Weiterverarbeitung zu Kokain stieg auf 30 bis 40 % der geernteten Blätter schon in Bolivien. Die Substitution der Coca und ihre Einbeziehung in ein alternatives Entwicklungskonzept war gescheitert. Nicht zuletzt auch wegen der Bedeutung des Cocaexports für die bolivianische Wirtschaft, die sich in Zahlen ausgedrückt auf jährlich mindestens 171 Millionen US$ beläuft; andere Quellen sprechen von über 500 Millionen. Eine bolivianische Tageszeitung bezeichnete 1990 die Narcodollars als „rezeptfreie Vitamine der Volkswirtschaft“.

Die systematische Verbindungen der Drogenhändler zu Armee- und Regierungskreisen sowie die Verwicklung der US-amerikanischen Behörde zur Drogenbekämpfung DEA, werden in periodisch wiederkehrenden Skandalen immer wieder bewiesen. Einzelne Posten der bolivianischen Antidrogenpolizei UMO-PAR sollen nur existieren, um die Drogenhändler vor den gelegentlichen Kontrollen zu warnen. „Die enge Verflechtung zwischen Drogenhandel und Politik“, die in den Jahren der Militärdiktaturen von Banzer (1971-1978) und Meza (1980-1982) gewebt wurde, „ermöglichen einen weitgehenden Gewaltverzicht“ schreibt Kai Ambos.

Nun will man die Geschichte mit Gewalt zurückdrehen. Die sogenannte „Option Null“, auf Druck der USA entstanden und vom Entwicklungsminister Guillermo Justiniano im November verkündet, sieht eine Entvölkerung des gesamten Gebietes und seine Umwandlung in einen „Nationalpark“ vor. Auch von einer Industriezone im Chapare ist die Rede. Damit wären die Besitzverhältnisse auch in Bolivien radikal geändert. Rund 60.000 Familien sollen umgesiedelt und finanziell entschädigt werden und zwar nur mit ihrer Zustimmung. Die werden sie aber kaum geben, nach den Erfahrungen mit bisherigen Versprechungen. Schon im August wurde ein landesweiter Protestmarsch der Cocabauern durch die Polizei mehrmals brutal auseinandergeknüppelt, ein Demonstrant wurde von Antidrogeneinheiten ermordet und die Kleinbauern vom Präsidenten im Fernsehen als „Narcotraficantes“ (Drogenhändler) beschimpft. US-Militär hält sich schon längere Zeit im Lande auf, um „Antidrogenoperationen“ durchzuführen. Angesichts dieser Tatsachen ist die von der Regierung befürchtete „Kolumbianisierung“ der Verhältnisse in den Cocaanbaugebieten Boliviens tatsächlich zu erwarten.

Coca war als heilige Pflanze in der Andenregion ein Symbol kultureller Integrität und sozialen Zusammenhalts; „wie in anderen Ländern Tabak oder Alkoholkonsum“, wie die OAS in einem Dokument feststellte. „Ein Bauernvertreter drückte es auf einer NGO-Konferenz 1981 in Genf anders aus: Der Indianer verdient aus keinem Grund … Beschränkungen wegen der Laster des Westens.“

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