Quetzal Vogel
News Icon
Quetzal

Politik und Kultur in Lateinamerika

Template: single_normal
Artikel

Koka – Fluch oder Segen?

Andrea Roscher-Muruchi | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

 Landwirtschaft, Coca Pflanze, Markt - Foto: Oriana Elicabe Wenn wir im westlichen Kulturkreis das Wort Koka hören, denken wir sofort an das berüchtigte illegale Kokain, für dessen Herstellung Koka die Grundlage bildet. Koka wird hier häufig sogar als Synonym für Kokain (Kokainhydrochlorid) verwendet und damit als Teil der international organisierten Drogenkriminalität verstanden. In den Koka anbauenden Ländern und hier besonders in Bolivien wird die Kokapflanze strikt von den Kokaindrogen getrennt und der Slogan „Koka ist nicht gleich Kokain“ wird öffentlich propagiert, weil die Kokapflanze in der Andenregion seit tausenden von Jahren als vielseitige und wertvolle Heil- und Kulturpflanze verwendet und konsumiert wird.

Ursprung der Kokapflanze

Koka wird von den südamerikanischen Ureinwohnern schon seit mehr als 5000 Jahren genutzt. Ob die erste Kultivierung in den Bergregionen Perus oder auf dem Territorium des heutigen Ecuador stattfand, ist nicht eindeutig geklärt. Töpfereien mit Bildern von Kokakauern, traditionelle Kokabeutel oder Kalkbehälter aus Kürbissen, eine kleine Statue, deren Kopf eine Ausbeulung im Backenbereich zeigt, die typisch für einen Kokakauer ist, sind Belege dafür, dass schon tausende Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung den in den Anden lebenden Stämmen die Kokapflanze vertraut war.

Allgemeine Beschreibung der Kokapflanze

Die lateinische Bezeichnung der Pflanze lautet Erythroxylum Coca. Für alle 200 Arten ist das rötlich-farbene Holz ein gemeinsames Merkmal. Der Name Erythroxylum entstand aus der griechischen Urform, die aus den Worten für „rot“ (erythos) und Holz (xylon) gebildet wurde. Der Teil des Namens Coca wird abgeleitet von Cuca, dem Wort für „Baum“ in den indigenen Sprachen Aymara und Quechua. Die Kokapflanze kommt als Baum oder Strauch vor und erreicht unter den Bedingungen des Wildwuchses eine Höhe von fünf Metern. Als kultivierter Strauch wird sie auf eine Höhe von ein bis zwei Metern gestutzt. In den Anden werden dafür häufig Terrassen angelegt.

Die Blüten sind gelb und die Früchte rot. Von Interesse für den Anbau sind allerdings nur die grünen bis gelbgrünen ellipsenförmigen Blätter. In diesen findet sich die höchste Alkaloidkonzentration. Von den 200 Kokaarten haben nur ganz wenige alkaloide Inhaltsstoffe. Zwei Hauptarten, die jeweils noch Unterarten haben, sind für die Gewinnung des Kokainwirkstoffs von Bedeutung: Die in den Regenwäldern der Gebirgshänge der Anden von Peru und Bolivien in einer Höhe von 500 bis 1500 Metern wachsende Art Erythroxulum coca Lamarck und die in den Bergwäldern von Kolumbien kultivierte Art Erythroxulum novogrnatense, auch als Kolumbianische Koka bezeichnet. Bolivien, Peru und Kolumbien sind die drei Kokaanbauländer in den südamerikanischen Anden.

Die Blätter der Kokapflanze

Die Inhaltsstoffe der Blätter werden in Nährstoffe und Alkaloide unterteilt. Die Nährstoffe eignen sich dazu, einer nährstoffarmen Ernährung, wie sie häufig bei der indigenen Bevölkerung Südamerikas vorkommt, entgegenzuwirken. Evo Morales, der bolivianische Präsident, wirbt mit dem Spruch „coca es comida“ – Koka ist Essen. Das Kokablatt sollte eine geregelte Nahrungsaufnahme nicht ersetzen, aber es kann ein wichtiges Nahrungsergänzungsmittel sein.

Im Vergleich von 100 Gramm Kokablättern mit der gleichen Menge an durchschnittlichen südamerikanischen Nahrungspflanzen zeigt sich hinsichtlich des Nährwertes folgende Bilanz: [1]

Inhaltsstoffe Kokablätter Nahrungspflanzen
Proteine 18,8 g 11,4 g
Fette 3,3 g 9,9 g
Kohlenhydrate 44,3 g 37,1 g
Pflanzenfasern 13,8 g 3,2 g
Kalzium 1798 mg 99 mg
Phosphor 637 mg 270 mg
Eisen 26,8 mg 3,6 mg
Vitamin A 10.000 Einheiten 135 Einheiten
Vitamin B1 0,58 mg 0,38 mg
Vitamin B2 1,73 mg 1,73 mg
Nikotinsäure 3,7 mg 2,2 mg
Vitamin C 14 mg 13 mg

Die Kokablätter enthalten bis zu 18 Alkaloide. Der Gesamtalkaloidgehalt von getrockneten Blättern liegt zwischen 0,1 bis 0,7 Prozent. Davon enfallen auf das Alkaloid Kokain etwa 80 Prozent. Je nach Art der Kokapflanze, der Anbauhöhe und der Temperatur erreicht der Kokaingehalt zwischen 0,08 bis 0,56 Prozent.

Für den Konsum und für die Weiterverarbeitung werden die Blätter noch ganz traditionell per Hand geerntet und an der Luft unter Sonneneinwirkung getrocknet. Die Blätter können mehrmals im Jahr gepflückt werden, bei guter Pflege der Pflanze bis zu 20 Jahre lang.

Der Kokablattkonsum

Die verbreitetste Art des Kokablattkonsums bildet das Kauen der Kokablätter. Dabei werden acht bis zehn Gramm Kokablätter entstielt und entrippt, um sie dann in die rechte oder linke Backentasche zu schieben bis ein Ballen entsteht. Die Blätter werden im Mund eingespeichelt und zerkleinert. Gleichzeitig wird eine alkalische Substanz hinzugefügt. Das ist vor allem Pflanzenasche (von Bananen, Stevia oder Quinua). Die Pflanzenasche verbessert den bitteren Geschmack der alkaloidhaltigen Blätter. Außerdem werden durch diese Zusätze mehr Wirkstoffe (Kokain und andere Alkaloide) des Blattes im Mund freigesetzt und in Form von Saft über die Mundschleimhäute und den Verdauungstrakt in den Blutkreislauf aufgenommen, um später ihre Wirkung zu entfalten. Der Teil des Kokains, der im Magen resorbiert wird, wird zum größten Teil in nicht psychoaktive Zwischenprodukte umgewandelt. Zwischen 10 und 35 Prozent des zugeführten Kokains wird unverändert über den Urin ausgeschieden.

Die Wirkungen, die durch das Kokablattkauen erzielt werden, äußern sich in Wachheit, erhöhter Konzentration, milder Euphorie und einer Dämpfung des Hungergefühls. Es handelt sich immer um Wirkungen, die der Erhöhung der Leistungsfähigkeit, der Verbesserung des Allgemeinbefindens sowie der Bewältigung von besonderen Belastungen dienen und vom Konsumenten beabsichtigt sind.

Kokablätter können auch als Aufgussgetränk (Kokatee) zu sich genommen werden. Das Trinken von Kokatee (Mate de Coca), zubereitet aus losen Blättern oder industriell hergestellten Teebeuteln, stellt eine andere, weit verbreitete Form des Kokablattkonsums dar. Anders als beim Kauen der Blätter bleibt der Tee nicht länger im Mund, weshalb über die Mundschleimhäute kaum Kokain aufgenommen wird. Der größte Anteil des Kokains wird beim Trinken über den Magen resorbiert und wie oben beschrieben in Zwischenprodukte umgewandelt. Im Vergleich zum Kokakauen gelangen deutlich weniger Kokain und andere im Kokablatt enthaltene Alkaloide in die Blutbahn. Damit ist deren Wirkungsweise stark abgeschwächt. Kokatee hat eine ähnliche Wirkung wie Kaffee, wirkt verdauungsfördernd und wird bei Höhen- und Reisekrankheit getrunken. Das Rauchen und Räuchern von Kokablättern sind weniger verbreitete Applikationsformen.

Der traditionelle und allgemeine Gebrauch von Koka

Die Kokapflanze ist tief in der indigenen Gesellschaft verwurzelt. In den Ritualen des andinen Glaubens stellt sie eine wichtige Komponente dar. Bei vielen gesellschaftlichen Anlässen wird Koka angeboten, ausgetauscht und gemeinsam gekaut. Mit Koka werden Beschwerden unterschiedlichster Art behandelt. Die Pflanze gilt als „Aspirin der Anden“. Zum Einsatz gelangt sie bei Schmerzen aller Art, bei Neuralgien, Rheuma, Erkältung, Verdauungsstörungen, Höhen- und Reisekrankheit, Ermüdung, Schwächezuständen, bei Diabetes und zur Erleichterung der Geburt.

Koka ist nicht gleich Kokain

Mit der Entdeckung des Kokains, die 1859 dem Chemiker Albert Niemann zugeschrieben wird, trat eine neue Droge in Erscheinung. Zunächst aber spielte Kokain eine wichtige Rolle in der westlichen Medizin, bis dann dessen Suchtpotential erkannt wurde. Der Einsatz von Kokain erfolgte vor allem in der Lokalanästhesie, bis 1910 synthetische Lokalanästhetika an dessen Stelle traten.

Kokainhydrochlorid, ein weißes, kristallines Pulver, umgangssprachlich fast immer als „Kokain“ bezeichnet, entsteht in einem aufwendigen Prozess, der vier Phasen umfasst. Zwischenprodukte sind Crack und Free Base. Während des Herstellungsprozesses werden Chemikalien wie Kerosin, Calciumkarbonat, Äther, Aceton, Ammoniak, Pottasche und Salzsäure zugesetzt. Das Endresultat ist Kokainhydrochlorid, ein halbsynthetischer Stoff mit einem Reinheitsgrad von 95 bis 99 Prozent.

Die Kokainrauschgifte wirken schnell und intensiv. Die Gefährlichkeit der Produkte wird schon an Hand der gefährlichen Zusatzstoffe, aber auch durch die im Vergleich zur Kokapflanze deutlich höheren Konzentration des Kokainwirkstoffes verdeutlicht. Kokaindrogen können zum Tod führen, abhängig machen und starke Rauschzustände hervorrufen. All dies kann der Konsum von Kokaprodukten nicht bewirken. Der niedrige Kokaingehalt (0,08 bis 0,56 Prozent), das Zusammenwirken mit anderen Alkaloiden, die enthaltenen Vitamine und Mineralien machen Koka zu einem ungefährlichen Naturprodukt mit einem positiven nahrungsergänzenden und therapeutischen Effekt.

Bis heute werden in den internationalen Abkommen zur Drogenbekämpfung keine Unterschiede zwischen Kokaprodukten und Kokainrauschgiften gemacht. Allerdings hat Bolivien am 14. Januar 2013 einen ersten Erfolg errungen. An diesem Tag wurde das UN-Verbot für Koka-Kauen in Bolivien aufgehoben.

 ——————————–

[1] Rätsch, Christian: Medizin aus dem Regenwald, Midena Verlag, Augsburg 1997.

Weitere Quellen:Schaper, Jens: Die Kokapflanze – Eine Nutzpflanze unter rechtlicher, politischer und kultureller Bedeutung, Bremer Forschungen zur Kriminalpolitik, LIT Verlag Dr. W. Hopf, Berlin 2014

Bildquellen: [1] Oriana Eliçabe

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert