Ein Blatt, drei Länder, zwei Frauen und eine gemeinsame Geschichte. Darum geht es in der Dokumentation „Koka, Terror und der Inka-Aufstand“ von Marcel Kolvenbach. Und um mehr.
Eine Geschichte, die möglicherweise anders geschrieben worden wäre, hätte ein Deutscher nicht das Alkaloid Kokain entdeckt oder wäre es trotz seiner Entdeckung 1949 nicht zu jenem UN-Bericht gekommen, der den Anfang für die Kriminalisierung der Pflanze machte. Die Rede ist vom Kokablatt, die Länder sind Kolumbien, Peru und Bolivien. Die Frauen Diana Parafán und Elsa Malpartida sind beide – die eine in Kolumbien, die andere in Perú – aktiv im Andenrat der Kokablatt-Produzenten (Consejo Andino de Productores de la Hoja de Coca). Dieser hat sich der Aufgabe angenommen, für eine internationale Entkriminalisierung von Coca sowie die Menschenrechte der Produzenten zu kämpfen. Zu den Gründern des 1991 in La Paz, Bolivien, erstmalig einberufenen Rates gehört der amtierende bolivianische Präsident, Evo Morales – lange Jahre selbst Kokabauer. Kolvenbach begleitet die Kolumbianerin Diana Parafán auf ihrer Reise nach Perú und Bolivien, wo diese sich mit Elsa Malpartida und weiteren AktivistInnen des Rates trifft.
Der harte und lebensgefährliche Alltag der beiden Kokapflanzerinnen und Aktivistinnen Parafán und Malpartida wird im Film eindringlich dokumentierte, der zeigt, dass der Kampf um das Kokablatt nicht nur ein Ringen um dessen Entkriminalisierung ist, sondern auch ein Kampf um kulturelle Selbstbestimmung, Menschenrechte, soziale Inklusion und das Recht auf ein würdiges Leben. Auf dem Spiel steht, den Protagonisten des Films zufolge, nicht weniger als der Genozid der indigenen Bevölkerung durch die Vernichtung ihrer Lebensgrundlage – in einem von den USA geführten und finanziell unterstützten Anti-Drogen-Kampf. Eine weitere, nicht völlig aus der Luft gegriffene, Aussage ist, dass der Andenraum zum nächsten internationalen Kriegsschauplatz werden könnte. Die Thesen des Films erscheinen bewusst etwas provokanter, um den Zuschauer für die heikle und komplexe Thematik zu interessieren. Trotz der notwendigen Selektivität eines Dokumentarfilms, wird selbst der unkundige Zuschauer kaum mit Fragen zurückgelassen. Wer, wie Kolvenbach, fünf Jahre in der Andenregion unterwegs war, um zu filmen, hat es sicher nicht leicht, sein Bildmaterial auszuwählen und zu verdichten. Die Narration der Doku, die sich zu einem politisches Roadmovie entwickelt hat, spinnt den roten Faden am Beispiel der Protagonistinnen des Films, immer vor dem Hintergrund des indigenen Widerstandes gegen den Anti-Drogen-Kampf und seinen weitreichenden sozialen Implikationen. Zu Wort kommen aber beide Seiten, da Kolvenbach auch Vertreter der peruanischen Anti-Drogen-Polizei oder des einzigen staatlichen Unternehmens zur Kommerzialisierung von Koka in Perú (ENACO) interviewt hat. Die Szene, in welcher der Chef der Basis Santa Lucia, einer Einheit der peruanischen Drogenbekämpfung, zu Wort kommt, spricht Bände. Er wirkt ein wenig sprach- und argumentationslos.
„Koka, Terror und der Inka-Aufstand“ ist ein Zeugnis des gescheiterten Anti-Drogen-Kampfes.
Man erfährt von den gesellschaftlichen Veränderungen, die der Kampf zwischen Staat, Guerilla, Narcos sowie Paramilitärs und die sich dadurch drehende Gewaltspirale in Kolumbien hervorgerufen hat. Die Leidtragenden sind die Indigenen und die ländliche Bevölkerung. In Peru ließen sich die versprengten Überbleibsel des Leuchtenden Pfades nach einem von 1980 bis 2000 andauernden Krieg zwischen Staat und Guerilla in Randgebiete wie der Amazonasregion nieder, um dort Koka anzubauen. Das für die Herstellung von Kokain benötigte Kerosin hat zu einer chemischen Kontaminierung der Böden geführt. Der Film schildert anschaulich, wie die staatliche Gewalt auf militärische Mittel setzt, um der Lage Herr zu werden, wie aber auch zivile Strategien – wie der alternative Anbau von Agrarerzeugnissen – ins Leere greifen. Der Zorn der meist zu Unrecht kriminalisierten Kokabauern , die für den traditionalen Gebrauch produzieren, richtet sich deshalb gegen den Staat, der es ohnehin versäumt hat, in diese Randgebiete vorzudringen und damit auch für optionale Lebensentwürfe zu sorgen. Die ethnisch-kulturelle Komponente spielt in Verbindung mit der zunehmenden Organisationskraft der sozialen Bewegungen, hier der Kokaproduzenten, eine wichtige Rolle. Als Motiv dafür dient im Film das Inkareich Tawantinsuyu, das den narrativen Bogen vom Anfang zum Ende der Doku spannt.
Zum Glück kommt der Film nicht mit einer aufdringlichen pädagogischen Art daher, die, wie in anderen – wenn auch gut gemeinten – Dokus zu dieser Problematik, darauf rekurriert, dass Koka nicht gleich Kokain ist. Das Wissen darum setzt der Film zwar nicht völlig voraus, er möchte aber mehr von den politischen Hintergründen des Kampfes der indigenen Protagonisten vermitteln und damit zu einem hierzulande bisher kaum geführten Diskurs um die Ent- bzw. Kriminalisierung des Kokablattes und seiner Produzenten beitragen. Die Erzählstrategie des Films geht auf, da der Rezipient in knapp 50 Minuten einen guten ersten Überblick zum Thema erhält. Fast nebenbei werden etliche interessante Informationen mitgeliefert, wie z.B. die Existenz des bereits erwähnten peruanischen Staatsunternehmens Empresa Nacional de la Coca, das vor allem Mate de Coca, den Kokatee, herstellt und vertreibt. Werden die kleinen Produzenten einerseits kriminalisiert und bekämpft, befürchten sie andererseits, dass der Staat hier das große Geschäft macht und sie, wie bisher, außen vor bleiben. Die von Kolvenbach anhand des Andenrates der Kokaproduzenten dokumentierte internationale Vernetzung der Kokabauern scheint ein wichtiger Schritt, die nationale und überregionale Aufmerksamkeit zu erringen, um die Legalisierung einer Pflanze zu erreichen, die von den Indigenen in der Andenregion schon seit Jahrhunderten zu traditionellen Zwecken genutzt wird.
Urteil: Eine sehr gute Dokumentation, gestützt durch das Hintergrundwissen und interkulturelle Verständnis des Regisseurs.
Koka, Terror und der Inka-Aufstand
Regie: Marcel Kolvenbach
(Deutschland, 2008, 51min)
ARTE 08. September 2009
Foto & Bildrechte: Marcel Kolvenbach