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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Artikel

Interview mit Ernesto Lamas
Mitbegründer des argentinischen Community-Senders „La Tribu“

Laura Wägerle | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Ernesto Lamas betont das demokratisierende Potential von gemeinschaftlich genutzten Medien: „Kommunikationsmedien zu schaffen, ist kein exklusives Recht für Unternehmen oder Staat“

Ernesto Lamas ist Dozent für Kommunikationswissenschaften an der Universität von Buenos Aires. Er war AMARC-Koordinator für die Regionen Lateinamerika und die Karibik (2003-2011). Im ersten Teil der deutschen Übersetzung des bei Quetzal im Mai 2015 erschienen Interviews spricht er über den Zusammenhang zwischen Demokratisierung und Beteiligung der Bürger an den Medien. Das Interview fand am 27. Januar 2015 statt.

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Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen dem Rechtsstatus der Medien und dem Demokratisierungsprozess in Argentinien?

In den Achtzigerjahren, während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983, erließ das Militär ein Rundfunkgesetz. Es war ein sehr restriktives Gesetz, das uns wie eine Art Geschenk der Militärdiktatur noch viele Jahre während der Demokratie begleitete. Viele der wesentlichen Gesetze, erlassen in den Siebzigerjahren durch das Militär, wurden mit der Einführung der demokratischen Regierung im Jahr 1983 bis zum Ende desselben Jahres umgehend geändert. Die Rundfunk- und Fernsehgesetze allerdings nicht. Im selben Jahr begannen viele Gruppen, die sowohl in den kommerziellen als auch in den Ende der achtziger Jahre entstandenen ersten alternativen Medien vertreten waren, einen Kampf für ein demokratisches Rundfunkgesetz. Dieser Kampf endete dann endlich im Jahr 2009, als im Kongress eine neue demokratische Gesetzgebung angenommen wurde. Nichtsdestotrotz wurden während dieser Zeit immer wieder Änderungen vorgenommen, die jedoch den Kern dieses Gesetzes nicht antasteten. Paradoxerweise verschlechterte sich die Situation durch diese Anpassungen. So wurde eine Medienkonzentration im Besitz einiger weniger zugelassen.

Argentinien: Plakat des Senders "FM La Tribu" - Bild: El Fantasma de HerediaSchließlich bildeten im Jahr 2004 zahlreiche Gruppen, die eine demokratische Gesetzgebung vorangetrieben hatten, eine Koalition. Diese bestand aus Universitäten, Gewerkschaften, Journalisten und freien Medien. So stellten wir einen 21-Punkte-Plan auf, um das Rundfunkgesetz aus den Zeiten der Militärdiktatur zu ändern. Es wurden Gespräche geführt, Lobbyarbeit geleistet, und wir machten durch die Teilnahme an Veranstaltungen sowie an Kongressen und Demonstrationen auf uns aufmerksam. 2009 entschied sich die Präsidentin Cristina Fernández schließlich dazu, dem Kongress einen Gesetzentwurf zu audiovisuellen Kommunikationsdiensten im Land vorzulegen. Dies geschah inmitten eines Konfliktes zwischen der Regierung und dem Agrarsektor, der einen wesentlichen Teil der nationalen Wirtschaft ausmacht. Dabei ging es darum, dass die Regierung in diesem Bereich außerordentlich hohe Steuerabzüge vornahm. In dieser Debatte zwischen 2008 und 2009 wurde schnell klar, dass die Massenmedien sich auf die Seite der Agrarunternehmer stellten und deren Interessen vertraten. Daraus gingen subjektive Fernseh- und Radioproduktionen mit teilweise klassenspezifischem Denken hervor, bei denen die Massenmedien Partei für die mächtigen Unternehmen ergriffen. Hierbei wurde der Mythos der journalistischen Neutralität hinfällig, indem verdeutlicht wurde, dass auch die Massenmedien andere kommerzielle Bereiche verteidigen.

In diesem politischen Kontext entschied die Präsidentin also, dem Kongress einen Gesetzesentwurf vorzulegen. Dieses Gesetz wurde auf nationaler Ebene diskutiert, und es kam zu einer bis dato unbekannten Mobilisierung im Land. In den 24 argentinischen Provinzen wurden Diskussionsforen eingerichtet, wo die Zivilgesellschaft über die Gestaltung des Rundfunkgesetzes diskutieren sollte. Schließlich wurde das Gesetz zu den audiovisuellen Kommunikationsdiensten unter der Nummer 26-500-22 angenommen. Zwar ist es ein junges Gesetz, jedoch änderte es das Paradigma der Rundfunkgesetzgebung der Diktatur grundlegend. Man könnte sagen, dass dieses Gesetz, zumindest in Lateinamerika, in einigen Punkten eine Vorreiterrolle einnimmt. Ein sehr wichtiger Aspekt ist zum Beispiel, dass etwas mehr als ein Drittel des Radiospektrums gemeinnützigen Medien vorbehalten sind. Das heißt, dass 33% der Radio- und Fernsehfrequenzen für gemeinnützige Medien reserviert werden, gemeinschaftliche Medien selbstverständlich mit eingeschlossen. Soweit ich weiß, ist es zumindest in Lateinamerika einmalig, dass ein Gesetz der Existenz kleiner, gemeinschaftlich genützter Medien so viel Anerkennung und Spielraum einräumt.

Wie schätzen Sie die Rolle der gemeinschaftliche genutzten Medien in Argentinien ein?

Wie wird es ihnen in der Zukunft ergehen? Meiner Meinung nach spielt dieser Bereich bis heute eine fundamentale Rolle in der Demokratie, weil es den Bürgern hilft zu erkennen, dass die Schaffung von Medien kein exklusives Recht für Unternehmen oder dem Staat ist. Artikel 19 der Menschenrechtserklärung besagt, dass jeder Mensch das Recht besitzt, Informationen zu erhalten, zu suchen und zu verbreiten. Diese Erklärung wurde sicherlich von allen westlich geprägten Staaten unterzeichnet. Wir alle haben die Möglichkeit, an Informationen zu gelangen. Wir besitzen Radios, Fernseher und können Zeitungen kaufen. Man hat versucht, uns weiszumachen, dass das Recht, Informationen zu suchen, Journalisten vorbehalten ist. Und zwar nur Journalisten. Dabei ist es doch in Wahrheit das Recht eines jeden. Jeder hat das Recht, nach Informationen zu suchen. Das Senderecht war lange Zeit dem Staat, kommerziellen Nachrichtendiensten und gewinnorientierten Unternehmen vorbehalten. Ich glaube, dass die Bewusstwerdung über dieses Recht viel mit der Existenz der gemeinschaftlich genutzten Radiosender zu tun hat. Sie haben also dazu beigetragen, dieses Recht zu verbreiten, bekannt zu machen, die Angst in Sachen Kommunikation abzulegen, zu verstehen, dass das Wort uns begründet und dass das öffentliche Wort uns bekannt macht. Es erlaubt uns, unsere Ideen zu verbreiten, eine Sprache, einen Standpunkt, eine Kultur, eine sexuelle Gesinnung, eine politische Meinung und vieles mehr zu verteidigen.

Ich habe den Eindruck, dass das gemeinschaftliche Radio sowohl in Argentinien als auch im restlichen Lateinamerika eine Schlüsselrolle für die Schaffung demokratischer Bürgerrechte spielt. Rückblickend fällt mir auf, dass eine der wichtigsten Rollen darin besteht, Mitbestimmung zu ermöglichen und Beteiligung zu schaffen. Vielen kleinen Gemeinden war zuvor der Zugang zu traditionellen Kommunikationsmedien verwehrt geblieben. Diese Medien wurden von indigenen Völkern und von verschiedenen politischen Vereinigungen genutzt, die nicht immer Zugang zu den traditionellen Medien hatten. Heute ist es völlig normal, in den öffentlichen und kommerziellen Medien eine breite Teilnahme zu hören. Vor zwanzig Jahren war das noch anders. Heute gibt es ein anerkanntes Recht, dass es Frauen ermöglicht in der Redaktion oder als Nachrichtensprecherinnen zu arbeiten. Vor zwanzig Jahren jedoch haben Frauen in einigen lateinamerikanischen Ländern keine Nachrichten gesprochen, weil ihre Stimmen angeblich nicht kräftig genug waren oder sie dafür nicht kompetent wirkten. Während des Aufbaus der gemeinschaftlich genutzten Medien war der Sinn für Geschlechtergerechtigkeit stets gegeben. Diese Medien haben in viele Bereichen Pionierarbeit geleistet, die in der heutigen Gesellschaft wie selbstverständlich und natürlich erschienen. Vor zwanzig oder dreißig Jahren jedoch stand dies noch zur Debatte.

Ich denke, dass das gemeinschaftliche Radio diesen Prozess beschleunigt hat: Hier wurden Probleme sichtbar gemacht; man begann für Chancengleichheit zu sorgen, der Arbeit mit solchen Medien Raum zu geben. Ich glaube die gemeinschaftlich genutzten Medien haben hier eine wichtige Rolle gespielt. Und was die Zukunft anbelangt: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir 33% des Spektrums zu belegen haben. Die gemeinschaftlich genutzten Medien dürfen nicht mehr länger finanziell so schlecht dastehen. So lange es kein Gesetz gab, diente das immer als Entschuldigung für die schlechte finanzielle Ausstattung und eine eher amateurhafte Ausführung von Radiosendungen. Es sollte für uns also eine Herausforderung darstellen, wenn es heutzutage ein Gesetz gibt, das Anerkennung und Unterstützung in finanzieller und legaler Hinsicht garantiert. So können wir beweisen, dass sich so viele Jahre des Kampfes gelohnt haben.

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Übersetzung aus dem Spanischen: Bruno Aragon Flores

Bildquelle: [1] El fantasma de Heredia

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