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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Interview mit Leandro Salvatierra und Luise Rauer
Eine musikalische Suche ohne zu suchen

Laura Wägerle | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

QUETZAL konnte die beiden jungen Musiker Leandrao Salvatierra (32) und Luise Rauer (25) interviewen, die seit zwei Jahren zusammen argentinische Folkloremusik spielen und in Leipzig in kleineren und größeren Spielstätten auftreten. Leandro kommt aus Tucumán in Argentinien, und Luise aus Berlin. Sie lernten sich im spanischen Granada kennen, wo Leandro Flamenco lernte und Luise einen Erasmus-Aufenthalt hatte. Beide eint die Liebe zur Folklore-Musik und die nahezu hemmungslose Neugierde, immer wieder neue Instrumente zu entdecken und Elemente und Stile miteinander zu vermischen.

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Was macht ihr für Musik zusammen?

Leandro Salvatierra (L.S.): Hauptsächlich machen wir argentinische Folklore zusammen. Dabei handelt es sich natürlich nicht um den berühmten Tango, sondern um unterschiedliche Typen von Folklore, die eigentlich auch lateinamerikanisch sind. Ein Beispiel dafür ist die Chacarera, die man, ähnlich wie in Spanien, auf der Gitarre spielt. Sie ist sehr typisch für die Region Tucumán im Norden Argentiniens, aus der ich komme. Außerdem spielen wir auch Zambas. Die Zamba hat nichts mit der brasilianischen Samba zu tun, sondern ist ein sehr viel ruhigerer Tanz, der sehr sinnlich und poetisch sein kann.

Argentinien_LeandroLuise_Canto und Caja_Foto-Quetzal

Leandro an der Gitarre, Luise an der Caja

Welche Instrumente benutzt ihr?

L.S.: Ich spiele hauptsächlich Gitarre, und beide singen wir. Außerdem benutzen wir ein sehr typisches Instrument aus dem Norden Argentiniens, das sich Caja Coplera nennt. Wir haben zwar keine richtige Caja hier, aber dafür ein Instrument, das dem Original sehr ähnlich ist. Damit begleiten wir den Gesang. Die Schläge der Caja klingen wie das Klopfen eines Herzens. Darüber hinaus haben wir noch einige andere Instrumente, die wir oft auch mischen. Ich spiele zum Beispiel eines, das Ronroco heißt und dem Charango, einer kleinen Gitarre, sehr ähnlich ist. Das Ronroco ist ein kleines bisschen größer als das Charango und hat fünf  Doppelsaiten. Es kommt aus Bolivien und ist in Argentinien und anderen Ländern bekannt.

Wo kauft ihr diese „exotischen“ Instrumente?

L.S.: Mein Ronroco hat mir ein Freund aus Argentinien mit nach Spanien gebracht. Es ist von einem argentinischen Instrumentenbauer. Meine Gitarre ist eine Flamenco-Gitarre, weil ich ab und zu auch Flamenco spiele. Sie ist aus Buenos Aires.

Luise Rauer (L.R.): Ich spiele die Caja und die Shrutti-Box, die aus Indien kommt. Ihr Klang kommt einem Akkordeon oder einem Bandoneon sehr nahe. Wir sind über unseren Freund Antonio, der viel sephardische Musik macht, auf die Idee gekommen, sie auch in unseren Stücken zu verwenden. Der Ton wird über die Luft erzeugt, die auf der Rückseite in das Instrument eingezogen wird. Innen befinden sich kleine Platten, welche die Luft zum Schwingen bringt, ganz ähnlich wie bei einer Mundharmonika. Eine größere Version der Shrutti-Box heißt Dulcinetta.

Ihr habt eine beeindruckende Anzahl an unterschiedlichen Instrumenten. Wie kommt das?

L.S.: Ich bin fasziniert davon, Sachen, die auf einem Teil der Welt sehr typisch sind, mit etwas zu vermischen, das woanders total normal ist. Zum Beispiel argentinische Folklore mit Musikinstrumenten aus anderen Teilen der Welt. Wenn es sozusagen „passt“, dann ist es etwas Wunderbares, die Instrumente zu mischen und Neues auszuprobieren. Gleichzeitig benutzen wir diese „exotischen“ Instrumente aber auch aus praktischen Gründen. Die Dulcinetta funktioniert genauso wie das argentinische Bandoneon und deshalb macht es Sinn, es in der argentinischen Folklore zu benutzen.

L.R.: Ich glaube auch, dass es die Mischung ist, die uns interessiert. Wir spielen die Instrumente gerne auf eine sehr traditionelle Weise. Und gleichzeitig begeistert es uns, wenn durch lokale Einflüsse neue Ideen aufkommen. Auch wir beide als Personen stellen das dar: Wir machen argentinische Folklore. Allerdings nicht in Argentinien, sondern in Leipzig. Das hat uns beispielsweise die Neuerung gebracht, dass wir bei einer Chacarera zunächst die Strophen auf Spanisch singen und dann strophenweise die deutsche Übersetzung einbringen.

Was ist von Leipzig in eure Musik miteingeflossen?

L.R.: Unsere Musik hat vorher nicht existiert, da wir erst seitdem wir zusammen in Leipzig wohnen, auch zusammen Musik machen. Von daher ist der „Leipzig-Punkt“ schon integrierender Bestandteil unserer musikalischen Identität. Gleichzeitig bin ich hier in Leipzig gelandet wegen meines Arabistik-Studiums. Auch von dort fließen Ideen mit ein und verstärken unser Interesse an orientalischer Musik.

Wie kam es, dass ihr beiden angefangen habt, zusammen zu spielen und zu singen?

L.S.: Ich glaube, dass sich automatisch oder eher auf natürliche Weise ergeben hat. Als wir uns in Granada in Spanien kennen gelernt haben, war es etwas sehr Gutes. Ich brauchte damals jemanden, mit dem ich etwas erschaffen oder einfach nur singen und Musik machen konnte. Das Tolle ist, dass Luise mir damals sagte, dass sie einen großen Drang verspürte, vieles bei sich von innen nach außen zu holen, und mit jemandem, der auch Gitarre spielt, über all das zu singen.

L.R.: Ja, ich habe wirklich jemanden gesucht, mit dem ich zusammen Musik machen konnte. Wir haben uns auf dieser „Suche ohne zu suchen“ gefunden. Und dann haben wir angefangen, zusammen zu improvisieren.

L.S.: Ein Jahr lang haben wir zusammen gesungen, einfach so, ohne große Pläne zu schmieden, etwas Ernsthaftes daraus zu machen. Wir wollten einfach nur die Situation genießen, jemanden zu kennen, der einen ergänzt und große Dinge zu machen oder einfach nur von Schönem zu singen. Luise sang damals Bossa Nova und ich habe die Gelegenheit dazu ergriffen, etwas über Bossa Nova zu lernen, denn gefallen hat mir diese Musikrichtung schon immer. Wir stimmten auch nicht nur darin überein, dass wir beide einen Partner suchten, sondern auch unser Musikgeschmack ähnelte sich. Unser musikalischer Blick auf die Welt war der gleiche.

Argentinien_LeandroLuise_Dulcinetta_Foto-Quetzal

Leandro spielt die Dulcinetta

Was ist das Besondere an der Folklore für euch?

L.S.: Mir gefallen an der Folklore – in allen Ländern – zweierlei Dinge. Erstens die Einfachheit, mit der sich Gefühle und Wahrnehmungen übertragen lassen, ohne dass man etwas sehr Außergewöhnliches im Text stehen haben muss oder dass die Melodie sehr elaboriert sein muss. Man kann einfach herauslassen, was man denkt und fühlt. Wenn jemand in der Folklore das Bedürfnis hat, zu weinen, dann singt er und weint dabei. Zweitens die poetische Seite. Die Poesie der Folklore vermag, auf eine sehr einfache und gleichzeitig wunderschöne Weise Dinge auszusprechen. Dabei muss man nicht über die Maßen intellektuell oder raffiniert sein. Das schöne ist, wenn in der Folklore das Gefühl, das du vermitteln willst, ganz leicht fließt und aus dir heraus kommt. Wenn es authentisch ist.

L.R.: Für mich ist Folklore ein wichtiges Thema, weil ich spüre, dass ich ein ganz großes Bedürfnis danach habe, auf ganz verschiedene Art und Weise. Im Visuellen mag ich sehr gerne Folklore, auch bei Dingen und bei der Musik. Ich bin in Berlin aufgewachsen, und mir war lange Zeit nicht klar, wie wichtig mir Folklore ist. Dort gibt es, zumindest auf den ersten Blick, keine ganz einfach erkennbare Folklore. Ich habe dieses Bedürfnis also zunächst nicht in der deutschen Folklore stillen können, einfach, weil ich keine gesehen habe. Also habe ich mich zunächst der Folklore aus anderen Kulturen gewidmet. Ich schätze an der Folklore die Tatsache, dass es sich dabei um Weisheiten handelt, die sich über Generationen aufgebaut haben, in denen ganz viel Geschichte ist. Und das ist etwas ganz Besonderes. Dem wohnt eine gewisse… Tiefe inne. Die Folklore übermittelt schöne und gute Wahrheiten, und wenn ich Folklore rezipiere und die übermittelte Schönheit erkenne, dann fühle ich mich getragen. So erhalten sich besondere Dinge.

Argentinien_LeandroLuise_Ronroco und Shruttibox_Foto-Quetzal

Mit Ronroco und Shruttibox

Wie stellt ihr euch vor, mit eurer Musik weiterzumachen? Habt ihr konkrete Pläne, vielleicht für das nächste halbe Jahr?

 

L.S.: Ich möchte mir mehr Zeit nehmen, meine Fähigkeiten an der Gitarre auszubauen, zum Beispiel im Flamenco, was mir sehr gut gefällt. Der Flamenco ist praktisch der Grund weshalb ich damals von Argentinien nach Spanien gegangen bin. Ein Teil dieser Pläne ist es, mit Silvia Jiménez von der Tanzschule Varadanza hier in Leipzig zusammen zu arbeiten.

Wir sind bereits zusammen aufgetreten, das lief gut, und deshalb möchten wir weitermachen. Und natürlich wollen Luise und ich als Duo weiterkommen und mehr Instrumente einbringen. Wir wollen mehr über die Geschichte der Folklore herausfinden und mehr Lieder und bestimmte Werke kennen lernen, um unser Repertoire zu erweitern. Unsere neueste Entdeckung ist die Bağlama, eine türkische Gitarre. Ich würde gerne ausprobieren, was wir mit diesem Instrument innerhalb der Folklore machen können.

L.R.: Das ist bei mir ganz ähnlich. Ich will erst mal immer mehr in die argentinische Folklore einsteigen und mich auch persönlich als Sängerin in meiner Technik weiterentwickeln. Auch mit dem Ziel, auf lange Sicht immer mehr eigene Sachen zu machen. Ich möchte sehr gerne mit selbst geschriebenen Texten arbeiten, weil ich sehr gerne mit Worten umgehe. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre, eigene Musik auf bereits verfasste Texte zu legen. Ja, und das mit der Bağlama hat mit dem Punkt zu tun, über den wir vorher in Hinblick auf Leipzig besprochen haben. Die Bağlama ist ein türkisches Instrument. Unseres kommt von einem türkischen Gitarrenbauer aus Berlin, und das ist genau dieser Einfluss, den uns das Hiersein gibt. So kann sich die Musik mischen. Das ist es, was wir in der Zukunft immer mehr machen wollen.

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Das Interview wurde am 26.08.2015 in Leipzig geführt. 

Bildquellen: [1]-[3]: Quetzal-Redaktion, lw

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