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Dino Saluzzi Group: „El valle de la infancia“

Gonzalo Company | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Gehoert: El Valle de la Infancia - quelle: bookletWährend ich die CD El valle de la infancia in der Hand halte, frage ich mich, in welcher Abteilung sollte dieses Album stehen? Unter Tango? Folklore? Kammermusik? Weltmusik? Jazz? Oder vielleicht unter Jupitermusik? Doch bereits nach den ersten Takten wird der überraschte Zuhörer merken, dass der argentinische Bandoneonist und Komponist Dino Saluzzi nicht so einfach in eine Schublade eingeordnet werden kann – er schreibt und spielt, was ihm einfällt.

El Valle de la infancia bietet uns eine Reise in das Tal der Kindheit an. Möglicherweise geht die Reise nach Salta, den Geburtsort von Saluzzi, Stücke wie A mi padre y a mi hijo (Für meinen Vater und meinen Sohn), La casa paterna (Das Elternhaus), Tiempos primeros (Frühere Zeiten) oder selbst El valle de la infancia machen deutlich, dass es sich hier um ein sehr persönliches Album handelt. Was Dino Saluzzi spielt und schreibt ist tatsächlich sehr persönlich, aber was bedeutet hier konkret?

Sombras (Schatten), der erste Titel, kommt uns wie das Grundelement des Albums vor. Ähnlich wie beim ersten Satz von Beethovens Pastorale erlebt der Zuhörer hier das Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande unmittelbar mit. Doch das Land Saluzzis ist kein idyllischer Ort. Sofort nach der Ankunft erscheint La Polvadera (Die Staubwolke), noch bevor wir ins Pueblo (Das Dorf) hinein kommen. Die drei Stücke, die Pueblo bilden (Labrador, Salavina, La tristecita), stammen nicht aus Saluzzis Feder. Damit wird uns ein Schlüssel in die Hand gegeben: Die Idee des Persönlichen geht natürlich von Saluzzi aus, aber es beschränkt sich nicht auf ihn. Denn dieses Album ist sehr menschlich im Sinne der andinen Weltanschauung. Der Mensch begreift sich selbst stets im Zusammenhang mit anderen Wesen. Nur auf diese Weise kann verstanden werden, was der Komponist meint, wenn er sagt, er schreibe mit Vernunft. Aber im Gegensatz zu den Philosophen der Aufklärung bedeutet Vernunft für Saluzzi nicht, sich von der Außenwelt zu isolieren, sondern sie anzuschauen, um sich herum zu schauen.

Urkupiña, Titel 8 und 9, zeigt die Entstehung des Wir aus dem Zusammentreffen einzelner Individuen. Während die Musiker im ersten Teil spielen, als ob jeder alleine wäre, wird im zweiten Teil ein gemeinsames harmonisiertes Lied gespielt. Die Art, in der La fiesta popular (Das Volksfest) geschrieben wurde, drückt eine wiederholte Rückkehr zu den Ursprüngen aus. In dieser Suite ähneln die Chacareras, die populären Volkstänze, einem tiefen Fluss, der das eine Mal auftaucht (La Danza, La perseguida, En la Quebrada de Lules) und ein anderes Mal verschwindet (Galanteo, Atardecer).

Die CD endet mit Tiempos primeros, einer weiteren Suite, die uns verdeutlicht, dass wir uns paradoxerweise wieder am Anfang befinden. Während es sich bei dem ersten Satz der Suite (La arribeña) um eine Zamba von Atahualpa Yupanqui handelt, ist La casa paterna, der zweite Satz von Saluzzi. Logischerweise erklingen im Elternhaus vertraute Melodien und Rhythmen, die wir bereits gehört haben. Das wunderschöne Thema dieses Titels wird noch lange im Raum bleiben. Wir kehren zu früheren Zeiten nicht nur zurück, um wieder anzufangen, sondern auch, um mitzuteilen, wer wir sind.

Unter der Leitung des fast 80-jährigen Saluzzi ist die Dino Saluzzi Group eine wirkliche Traumgruppe. Saluzzi und sein Bandoneon werden von José María Saluzzi und Nicolás Colacho Brizuela (Gitarren), Felix Cuchara Saluzzi (Tenor Saxophone, Klarinette), Matías Saluzzi (Bass) und Quintino Cinalli (Schlagzeug, Percussion) begleitet. Das Album wurde von Manfred Eicher, dem Gründer und Leiter von ECM, produziert.

Gute Reise.

Dino Saluzzi Group: El valle de la infancia

ECM Records 2014

Bildquelle: Scan Booklet

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