Die deutschsprachige Presse in Argentinien bildete schon immer ein eindrucksvolles Spiegelbild der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland und Österreich und war eine wichtige Nachrichtenquelle für deutschsprachige Einwanderer mit unzureichenden Spanischkenntnissen. Insbesondere in den Jahren 1930-38 wurden Zeitungen und Zeitschriften zum Austragungsort kämpferischer Prinzipienstreits und boten eine öffentliche Plattform für Monarchisten, Republikaner, Konservative, Liberale und Sozialisten und schließlich auch für Rassentheoretiker und Klassenkämpfer. Diese publizistischen Kontroversen wurden zum Synonym für Meinungspluralismus und aufgrund ihrer politischen Leidenschaftlichkeit von den einheimischen Kreolen auch hin und wieder als querellas alemanas bezeichnet.
Die deutschsprachige Kolonie in Buenos Aires setzte sich zu einem Drittel aus Arbeitern zusammen. Die große Mehrheit gehörte den mittelständischen, bürgerlichen Schichten an, die vor allem durch ihr mitgebrachtes Kapital eine gesicherte Existenz besaßen. Es war üblich, die Kinder auf deutsche Schulen zu schicken, Mitglied in mindestens einem deutschen Verein zu sein und deutsche Zeitungen zu lesen, um sich so über die Vorgänge in Deutschland zu informieren. Die Deutsche La Plata Zeitung und das Argentinische Tageblatt wurden bereits im 19. Jahrhundert gegründet und sind nach dem Ersten Weltkrieg die wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen und Organe zweier divergierender politischer Interessengruppen geworden.
Im Februar 1931 entstand in Buenos Aires die erste nationalsozialistische Gruppierung. Bis Ende der dreißiger Jahre unternahmen argentinische Behörden nichts gegen den Aufbau und die Tätigkeit rechtsgesinnter Organisationen. Kommunistische Gruppierungen mußten hingegen mit beträchtlichen bürokratischen Schwierigkeiten kämpfen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 und die damit einsetzende Emigration verstärkten die politischen Aktivitäten in der La-Plata-Region, wobei sich insbesondere die deutschsprachigen Zeitungen profilierten.
Das Argentinische Wochenblatt würde 1879 vom Schweizer Johann Allemann (später Alemann) gegründet und 1889 zum Argentinischen Tageblatt erweitert. 1929 betrug die Auflage 7000-8000 Stück. Unter dem Herausgeber Theodor Alemann bekannte sich das Blatt eindeutig zur Weimarer Republik. Der Herausgeber Ernesto Alemann führte den demokratischen Kurs auch nach 1933 weiter. Die Universität Heidelberg erkannte ihm daraufhin noch im gleichen Jahr seinen Doktortitel ab. Auf Initiative Ernesto Alemanns wurde 1934 die Pestalozzi-Schule im „deutschen“ Stadtteil Belgrano gegründet, die eine Alternative zu den etablierten deutschen Schulen bilden sollte, deren Lehrpläne an das Vorbild des Deutschen Reiches angepaßt wurden. Eine Reihe engagierter Antifaschisten, die zugleich das Zentrum der linksorientierten Gruppe Das andere Deutschland bildeten, waren hier als Lehrer tätig. Vor allem Kinder von jüdischen Emigranten besuchten diese Schule.
Das Hilfskomitee sozialistischer Exilanten Das andere Deutschland (DAD) wurde 1937 gegründet. Ziel des Komitees war es, auslandsdeutschen Personen Hilfe und Unterstützung zu bieten, die sich an keine andere Organisation wenden konnten. Dem DAD standen allerdings nur sehr begrenzte Mittel zu Verfügung. Es gab zudem keine regulären Mitglieder. In den Räumen des Argentinischen Tageblattes wurde wöchentlich eine Sprechstunde für Hilfsbedürftige abgehalten. Eine von August Siemsen unter dem Namen des Komitees herausgegebene Zeitschrift entwickelte sich jedoch zu einer bedeutenden Emigrationszeitschrift in Lateinamerika.
Wer so vehement und isoliert gegen den Nationalsozialismus kämpfte, löste auch in Argentinien feindliche Reaktionen aus. Das Argentinische Tageblatt schreckte jedoch nicht davor zurück, Hitler zu beleidigen und zu karikieren oder Goebbels als „klumpfüßigen Schrumpfgermanen,, zu bezeichnen. Man wollte mit Bezeichnungen wie „Nazioten“ oder ständigen Rubriken wie „Nachrichten aus Deutschland – Hitlerterror, Brauner „Alltag“‚ einen bewußten Gegenpol zur regierungsfreundlichen La Plata Zeitung bilden. Es wurden nicht nur der Nationalsozialismus in Deutschland, sondern auch der Austrofaschimus und das Dollfußregime äußerst scharf angegriffen. Noch 1933 ordnete das Dritte Reich einen Boykott gegen das Argentinische Tageblatt an und verbot die Verbreitung der Zeitung im Reichsgebiet. Auf das Redaktionsgebäude in Buenos Aires wurden Anschläge verübt und Redakteure verprügelt, wofür der deutsche Gesandte argentinische Radikalnationalisten verantwortlich machte. Auch die Deutsche Botschaft unternahm mehrmals juristische Schritte gegen das Argentinische Tageblatt und versuchte die Zeitung durch einen organisierten Anzeigenboykott wirtschaftlich zu ruinieren. Doch was sie an Anzeigen verlor, gewann sie an Lesern, vor allem in den Kreisen der politischen und jüdischen Emigranten aus Deutschland, die gerade nach Argentinien gekommen waren. Die Leserzahl wurde fünfstellig. In der Jubiläumsausgabe zum fünfzigjährigen Bestehen der Zeitung fanden sich Beiträge von Albert Einstein, Sigmund Freud, Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr, Klaus Mann oder Stefan Zweig, um nur einige zu nennen. Das Argentinische Tageblatt war nie eine Exilzeitung, sondern gewann bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges seine weltweite Anerkennung als antifaschistische Publikation. Zwischen 1935 und 1936 agierte in Argentinien auch das PAAVA (Patronato Alemán de Ayuda a las Victimas Antifascistas), das sich als linkes, wenn auch überparteilich geplantes Gegenstück zum jüdischen Hilfskomitee verstand und zur materiellen sowie moralischen Unterstützung der NS-Opfer beitragen und über die politischen Verhältnisse in Deutschland aufklären wollte. Aufgrund der kurzen Lebensdauer besaß diese Organisation allerdings keinen nachhaltigen politischen Einfluß.
Auch die Olto-Strasser-Bewegung definierte sich als Opposition gegen die nationalsozialistische Regierung. Hervorgegangen aus dem linken Flügel der NSDAP, erklärte sich Strasser zum „Gegenführer“ und rekrutierte seine Anhängerschaft vor allem in den konservativ-christlichen, antisemitischen Kreisen. 1935 wurde einige Monate lang eine Zeitschrift unter dem Namen der Bewegung herausgebracht.
Die einzig österreichische Zeitung in Argentinien erschien zwischen 1932 und 1936 als Wochenzeitung unter dem Titel Austria Presse und erreichte nach eigenen Angaben eine Auflagenhöhe von rund 6000 Stück. Ihr Herausgeber Hermann Reisfeld war jüdischer Herkunft, zum Katholizismus konvertiert, und sah sich verpflichtet, die Interessen Österreichs in Argentinien zu repräsentieren. Die Austria Presse wurde zum patriotisch-österreichischen Presseorgan.
Ab 1934 erschien zweimal monatlich die Kampfschrift Der Deutschösterreicher der 1933 gegründeten Deutsch-Österreichischen Vereinigung. Laut Selbstdefinition bezeichnete diese sich als „Die Stimme Deutsch-Österreichs in Argentinien“. Die Zeitschrift hatte einen bemerkenswert hohen Verbreitungsgrad und wurde neben anderen lateinamerikanischen Ländern auch in Österreich und den USA vertrieben.
Eines der aktivsten und einflußreichsten Mitglieder der Vereinigung und der deutschsprachigen Kolonie überhaupt war der Chefredakteur der La Plata Zeitung Rudolf Kain. Die La Plata Zeitung, die zweite große deutschsprachige Zeitung in Argentinien neben dem Argentinischen Tageblatt, entwickelte sich im Laufe ihrer Geschichte zum monarchistischen Blatt und Organ der NSDAP. 1863 als Wochenzeitung gegründet, erschien sie ab 1874 täglich. Zwischen 1929 und 1933 erreichte sie eine Auflage von 25 – 30 000 Stück. Im Besitz der Familie Tjarks paßte man sich rasch der Propaganda des Dritten Reiches an und wurde in einer Krisensituation von der Deutschen Botschaft finanziell unterstützt. Diese Linientreue führte jedoch zum Verbot des Traditionsblattes der deutschen Gemeinschaft, nachdem Argentinien formell m den Zweiten Weltkrieg eingetreten war. Der scheinbare Triumph des Argentinischen Tageblattes währte nur kurz. Die Deutsche La Plata Zeitung reorganisierte sich schnell und erschien ab 1. Dezember 1945 als Freie Presse. Hinter dem vorgeblichen Besitzer Federico Müller-Ludwig stand als wahrer Eigentümer weiterhin Hermann Tjarks. In einer Jubiläumsausgabe 1960 beschrieb sich die Nachfolgezeitung der La Plata Zeitung mit „unbedingter Loyalität gegenüber dem Gast- und neuen Heimatland und unveränderlicher Treue zur Sprache, Kultur und Wesensart der alten Heimat.“ Unter den deutschen Neueinwanderern in Argentinien rekrutierte man schnell seine neue Leserschaft. Anfang 1952 wurde Wilfried von Oven Chefredakteur der Freien Presse. Der ehemalige Pressereferent von Joseph Goebbels war als Korrespondent des Hamburger Nachrichtenmagazins Der Spiegel nach Buenos Aires gekommen.
—————————————–
Literatur:
Edith Blaschitz.: Auswanderer. Emigranten, Exilanten – die österreichische Kolonie in Buenos Aires. Wien 1992. Holger M. Meding: Flucht vor Nürnberg?: Deutsche und österreichische Einwanderung in Argentinien: 1945-55. Lateinamerikanische Forschungen. Bd. 19. Köln. Weimar. Wien 1992.