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Kosmos, Kunst und Kolonialismus

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Argentinien: Campo de Cielo - Foto: Daniel AguirreAm 9. Juni 2012 wird in Kassel die documenta (13) für 100 Tage ihre Pforten öffnen. Wenn es nach den Vorstellungen der künstlerischen Direktorin, Carolyn Christov-Bakargiev, gegangen wäre, hätten die Besucher auch den zweitgrößten Meteoriten, der bisher auf unserem Planeten gefunden wurde, bewundern können. Dieser ist unter dem Namen „El Chaco“ bekannt und wiegt 37 Tonnen. Guillermo Faivovich und Nicolas Goldberg, die bereits 2010 im Frankfurter Portikus die zwei Hälften des ebenfalls in Argentinien gefundenen Meteoriten „El Taco“ präsentiert und im Rahmen der documenta ein Buch dazu veröffentlicht hatten, beabsichtigten auch diesmal, aus (Teilen des) Kosmos Kunst zu machen.

Für die Präsentation im Herzen Deutschlands hätte man den 4,5 Milliarden alten Himmelskörper aus der Provinz Chaco im Norden Argentiniens heranschaffen müssen. Eigentlich war alles schon geregelt. Die Abgeordnetenkammer der nordargentinischen Provinz hatte auf ihrer letzten Jahressitzung am 28. Dezember 2011 bereits entsprechende Gesetzesänderungen angekündigt. Ohne dieses juristische Manöver wäre jede Veränderung der Lage des Meteoriten illegal gewesen. Obwohl weder Transport- noch Versicherungskosten geklärt waren, schien alles auf bestem Wege. Man hatte sogar daran gedacht, zu den vertraulich behandelten Projektbesprechungen im Mai 2011 einen „Vertreter“ des indigenen Volkes der Moqoit (span.: Mocoví) heranzuziehen. Dies hielt man wohl deshalb für erforderlich, weil das gesamte „Campo de Cielo“ (oder: Piguem Noraltá; dt.: Himmelsfeld), wo vor etwa 4.000 Jahren ein ganzer Meteoritenschwarm niedergegangen war und wo auch „El Chaco“ liegt, für die Moqoit und andere indigene Völker untrennbarer Teil ihrer Kosmovision und Identität ist. Aber alles umsonst ….

Bereits mit Bekanntwerden der geplanten Gesetzesnovelle regte sich in Resistencia (dt.: Widerstand), der Provinzhauptstadt von Chaco, der erste Widerstand. Was zunächst wie ein Wortspiel anmutet, entfaltete rasch so viel Kraft, dass das documenta-Projekt am 30. Januar 2012 gestoppt werden musste. Maßgeblich wird der Protest vom Kollektiv Campo de Cielo getragen, in dem u.a. der Movimiento del Pueblo Moqoit del Chaco, das Colectivo Wokitoki, das Colectivo Siluetas Margarita Belen, die Asociación Ambiente Total sowie der Kulturastronom Alejandro M. López und die Anthropologin Agustina Altman organisiert sind. Hier in Leipzig versucht der Argentinier Guillermo Fiallo, der von Anfang an in der Protestbewegung mitarbeitete, die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Auch wenn die Initiatoren des Projekts einlenken mussten und nun im Nachhinein versichern, alles nur im Interesse und zum Wohle der Indigenen getan zu haben, wirft ihr Vorgehen eine Reihe von Fragen auf, die grundsätzlicher Natur sind und deshalb endlich öffentlich diskutiert werden müssen.

Argentinien: Campo de Cielo - Foto: Asociacion Civil Casa Taller La FabrilDie bevorstehende Eröffnung der documenta bietet dafür reichlich Anlass und Gelegenheit, zumal die bisherigen Reaktionen der Verantwortlichen eher beschwichtigend und nicht ehrlich wirken. Das Problem besteht darin, dass im Namen der Kunst und des interkulturellen Dialogs Entscheidungen getroffen wurden, denen letztlich koloniale Denkmuster zugrunde liegen. Zunächst einmal zeugt die gesamte Vorgehensweise von einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Überheblichkeit. Sowohl die Künstler und die documenta-Vertreter als auch die argentinischen Politiker waren sich sehr wohl bewusst, dass es noch einen dritten Akteur gibt, bei dem die eigentliche Entscheidung liegt: die ersten und ursprünglichen Einwohner des Landes, auf dem auch „El Chaco“ liegt. War es 1965 noch ohne Probleme möglich, dessen „kleineren Bruder“ (El Taco) nach Deutschland zu bringen und im Max-Planck-Institut in Mainz in zwei Teile zerlegen zu lassen, von denen einer dann in den USA gelandet ist, so hat sich die Situation inzwischen gründlich geändert. Zum einen hat Argentinien die Meteoriten des „Campo de Cielo“ zum Kulturerbe erklärt, zum anderen sind die Rechte der indigenen Völker enorm gestärkt worden. Nicht nur die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), sondern auch die argentinische Verfassung (Art. 75/ 17) garantieren den indigenen Völkern das Recht auf freie, vorherige und informative Konsultation. Zwar haben die documenta-Verantwortlichen im Nachhinein (am 24. Januar 2012) auf einer Versammlung der Moqoit ihr Vorhaben vorgestellt, und dort wurde auch heftig darüber diskutiert, aber ohne dass eine verbindliche Entscheidung gefällt wurde. Hier wird ein weiterer Aspekt kolonialen Verhaltens deutlich. Bei den Moqoit, einem Volk mit etwa 12.000 Angehörigen, ist es – wie bei den meisten indigenen Völkern auch – üblich, solche Entscheidungen im Konsens und unter Einbeziehung möglichst aller Betroffenen zu treffen. Da nicht nur die Moqoit, sondern auch benachbarte indigene Völker eine sehr enge, identitätsbestimmende Beziehung zum „Campo de Cielo“ haben, hätte es vieler derartiger Versammlungen der zahlreichen Betroffenen über einen längeren Zeitraum hinweg bedurft, um die nationalen und internationalen Rechtsbestimmungen zu erfüllen. Da aber diejenigen, die sich „El Chaco“ mal für 100 Tage „ausleihen“ wollten, gar nicht erst ein entsprechendes Zustimmungsverfahren ins Auge gefasst hatten, liegt der Schluss nahe, dass sie diese juristische Hürde bewusst umgehen wollten.

In einem solches Verhalten offenbart sich zugleich eine eurozentristische Denk- und Handlungs-weise: Man will oder kann sich nicht in die Lebens- und Vorstellungswelt jener anderen Kulturen hineinversetzen, die von uns Europäern jahrhundertelang verfolgt, dominiert, ausgemerzt, herabgewürdigt und zerstört worden sind. Es fällt uns schwer, diese Menschen, die seit „undenklichen Zeiten” auf dem Doppelkontinent Amerika leben, wirklich als gleichberechtigt anzuerkennen. Noch vor 50 Jahren glaubte man die „Urvölker” zum Aussterben verurteilt wie einst die Dinosaurier. Wir wollen uns zwar das traditionelle, bei uns unbekannte oder vergessene Wissen der indigenen Völker aneignen – vor allem, wenn es sich in Geld oder Patente ummünzen lässt, aber von ihnen lernen, im Einklang mit uns, unseren Nachbarn und „Mutter Erde” zu leben, wollen (oder können) wir nicht. Wenn jetzt „El Chaco” zum Testfall für das Fortleben dieser kolonialen Denkmuster gemacht wird, so sollten wir das vor allem zum Anlass nehmen, über das „koloniale Erbe” in uns nachzudenken. Dann mag auch jeder selbst entscheiden, inwiefern er oder sie sich mit „wir” angesprochen fühlt.

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Bildquellen: [1] Daniel Aguirre; [2] Asociacion „Civil Casa Taller la Fabril“

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