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Printausgaben

Gemballa, Gero: Colonia Dignidad

Jürgen Schübelin | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten

Ein deutsches Kapitel

Zynismus war schon immer Teil von Terrorherrschaft: „Arbeit macht frei“, schrieb die SS über das Haupttor von Auschwitz. „Libertad“ nannte die uruguayische Militärjunta das größte und furchtbarste Foltergefängnis im Land und „Colonia Dignidad“ (Kolonie der Würde) ist der Name eines kleinen faschistischen Modellstaats in der südchilenischen Provinz, umgeben von Stacheldraht, Wachtürmen, Stolperfallen – autark, aggressiv und schwer bewaffnet. Nirgendwo wird dem Prinzip Sauberkeit so gehuldigt wie in Dignidad, Wer etwas verschmutzt oder zerbricht, wird bestraft. Wer „unreine“ Gedanken hegt, wird dafür geprügelt und mit Elektroschocks gefoltert. Unwertes Leben, nämlich das von Gegnern des Pinochetregimes oder auch von Dissidenten aus den eigenen Reihen, wurde ausgemerzt.

Der Herr über Leben und Tod in Dignidad, der ehemalige Baptistenprediger Paul Schäfer, genannt der Professor, ist ein Sauberkeitsfanatiker: Die zehn- bis vierzehnjährigen Jungen, die er Nacht für Nacht vergewaltigt, werden von ihm eigenhändig eingeseift und gewaschen. Und die wenigen unter den Hunderten vom chilenischen Geheimdienst DINA nach Dignidad geschafften Oppositionellen, die die Folterkatakomben unter dem deutschen Mustergut le-bend verlassen haben, beschreiben, daß nach allen sich überstunden hinziehenden Torturen der „Versuchsraum“ penibel ausgescheuert, von Blutspuren und Exkrementen gesäubert wurde.

Gero Gemballa beendet sein zweites Buch über die „Colonia Dignidad“ mit den Sätzen: „Es ist erstaunlich, daß die Colonia Dignidad anders als andere Sekten in der internationalen Berichterstattung sä nah am Tatsächlichen beschrieben wurde, so wenig Übertreibung, Phantasie und Gruseliges hinzugefügt wurde. Vielleicht lag das daran, daß die Realität eigentlich nur noch schwer zu übertreffen ist.“ Dem Kölner Journalisten Gemballa, der seit 1988 immer wieder über die Colonia Dignidad schreibt, ist die bisher beste Systematisierung ihrer unsäglichen 40jährigen Geschichte gelungen.

Gemballa widerlegt die These, daß es für die Verbrechen der Colonia Dignidad nur einen ein-zigen alleinverantwortlichen Täter gäbe, eben Paul Schäfer. In seiner Analyse des Systems von Herrschaft und Terror wird deutlich, welches institutionelle Geflecht von Wirtschaftsinteressen, Geheimdienstaktivitäten, Waffenschiebereien und aktiver Komplizenschaft an der Massenliquidierung von Gegnern des Pinochetregimes nötig war, um Dignidad unangreifbar zu machen, und weshalb alle Versuche, diese kriminelle Vereinigung auszuschalten, bislang kläglich scheitern mußten.

Die Geschichte der Colonia Dignidad ist eine deutsche Geschichte. Aber- und auch diese These Gemballas ist schlüssig – die Mischung aus Fritz Längs „Metropolis“ und Himmlers Theresienstadt konnte nur in einem Land Südamerikas überleben, in dem völkische Deutschtümelei und die Unantastbarkeit der Mörder in Uniform für einen bislang undurchdringlichen Schutzschild über Schäfers Reich sorgten.

Mit am erschütterndsten an Gemballas Buch ist das Kapitel über die Kinder von Dignidad. Sie sind dazu da, um sexuell mißbraucht zu werden – und, so die Vorwürfe aus allerjüngster Zeit-als Lieferanten für den lukrativen Handel mit menschlichen Organen. Ihr Schicksal und der verzweifelte Mut einiger chilenischer Bauernfamilien im Kampf um ihre Kinder, die hinter dem Stacheldraht von Dignidad verschwunden waren, sorgten immerhin für Kratzer am Imperium. Gemballas Buch läßt niemanden gleichlültig- vor allem, weil der Skandal Dignidad noch lange nicht ausgestanden ist.

Gero Gemballa – Colonia Dignidad. Ein Reporter auf den Spuren eines deutschen Skandals. Campus-Verlag Frankfurt/ New York 1998

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