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Zischler, Hanns: Borges im Kino

Nora Pester | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Borges und die Lust an der Leinwand

Der 100. Geburtstag des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges animiert weltweit Wissenschaftler und selbsternannte Erben, nach bisher verborgenen Seiten dieses genialen Fantasten und Universalgelehrten zu suchen bzw. das längst Bekannte noch einmal eindringlich zu wiederholen. Erst im März 1999 fand z.B. an der Universität Leipzig ein international hochkarätig besetztes Kolloquium aus diesem Anlaß statt. Die Themenpalette der Borges-Forschung scheint dabei unerschöpflich. Borges und die Postmoderne, Borges und Prag, Borges und Spinoza – als schier endlos erweist sich die Kette herstellbarer Verknüpfungen. Das Literaturmagazin widmet sich der spannenden Beziehung zwischen Borges und dem Kino, die beide fast zeitgleich das Licht der Welt erblickten. Rowohlt hat dazu eine repräsentative und überraschend vielseitige Auswahl an Filmkritiken von Borges zusammengestellt, die durch zahlreiche Abbildungen und teilweise sehr detaillierte fachliche Anmerkungen des Herausgebers ergänzt werden.

Borges erweist sich als leidenschaftlicher Cineast im Buenos Aires der 20er Jahre. Seine ersten Filmkritiken dieser Pionierzeit erscheinen in La Nacion, La Prensa, Urbe und Sw. Sie schwanken zwischen journalistischer Ironie und Wissenschaftlichkeit. Dank seines phänomenalen Gedächtnisses eröffnet ein von Borges besprochener Film immer auch den Zugang zu einem unerschöpflichen Filmarchiv. Er begründet die vergleichende Theorie eines literarischen Kinos, indem er Filme „liest“ und sie von ihrer erzählerischen Seite betrachtet. So verkörpert der ame-rikanische Western eine Wiederauferstehung der Epik und symbolisiert Citizen Kane die Faszination eines Labyrinths ohne Zentrum – das literarische Lieblingsthema von Borges. Seine Urteile sind kurz, prägnant und nicht selten vernichtend. Deutsche Filme seien mit düsterer Symbolik, Tautologien, unnötigen Wiederholungen und Mißgestalten überladen. Amerika ertränke seine Produktionen in Lokalkolorit aus Pappmache. Die sowjetische Schule habe Charaktere und Handlung gleich völlig eliminiert und die einzige Sorge der Franzosen sei ihre mögliche Verwechslung mit Nordamerikanern. Ausnahmen werden von Borges jedoch gewürdigt. So produziere der europäische Film schöne Bilder und die Leistung des russischen Kinos bestehe darin, Hollywood zu einer Reform genötigt zu haben. Borges verehrt als Grammatiker dieser neuen Bildersprache besonders Josef von Sternberg. Ihm wurde auch die Verfilmung der argentinischen National legende Martin Fieiro angetragen, welche aus finanziellen Gründen scheiterte. Patriotismus endet für Borges jedoch an der Kinokasse. Einer der besten argentinischen Filme gehört für ihn immer noch zu den schlechtesten der Welt. Doch das Verhältnis von Borges zum Kino beschränkt sich nicht nur auf Rezensionen. Ge-meinsam mit dem kürzlich verstorbenen Adolfo Bioy Casares agierte Borges als Drehbuchautor, Erzählungen von ihm wurden verfilmt oder typische Borges-Themen in Filmen zitiert. Letztendlich hinterließ auch das Medium Kino Spuren in seiner eigenen künstlerischen Handschrift. Der Einfluß des Kinos auf die Literatur seiner Zeit läßt sich insbesondere anhand der Regiearbeiten Josef von Sternbergs nachvollziehen, dessen Montage scheinbar inkohärenter Bilder Borges auf seine Literatur überträgt.

Eine Anthologie von Kinotexten der 20er und 30er Jahre aus argentinischen Zeitungen und Illustrierten ergänzt die Filmkritiken von Borges. So finden sich kuriose Bekenntnisse Roberto Arlts, der vor der Verführung naiver Minderjähriger durch die Filmindustrie warnt und sich für ein Verbot der neumodischen Sitte des Picknicks im Kino ausspricht. Eine folgende persönliche Annäherung an die Privatperson und den Blinden Borges beschränkt sich allerdings überraschenderweise nicht nur auf die Analyse der unvergleichbaren Borges’sehen Beobachtungsgabe. Daß er die Garbo vergötterte, teilte Borges mit vielen anderen Männern auf der Welt und gehört sicher nicht zu den spannendsten Geheimnissen seines Lebens. Mit intimeren Details liefert James Woodall jedoch einen werbeträchtigen Vorgeschmack auf seine im Juli 1999 erscheinende Biographie „Jorge Luis Borges. Ein Mann im Spiegel seiner Bücher“ (Propyläer Taschenbuch). Borges als Liebhaber – hier wird die Lust am Voyeurismus geweckt, ein Mythos als triebhaftes Wesen geoutet. Der Autor bestätigt noch einmal alle Antipathien und Vorurteile gegenüber der Witwe von Borges, Marfa Kodama, und betreibt tabulose Spekulationen über deren Ehe- und Sexualleben. Das befriedigt durchaus Leserwünsche, hat aber nichts mehr mit dem eigentlichen Anliegen dieses Literaturmagazins zu tun.

Ein versöhnliches und zugleich sensibles Finale liefert der Autor Daniel Ganz mit seinen Erfahrungen im Umgang mit der eigenen Blindheit und visuellen Medien. Für Ganz schließt ein wirklich gut komponierter und strukturierter Film den Raum für Imaginationen und trägt den Zuseher in seinem eigenen Rhythmus durch die Handlung. Er läßt den Blinden seine Blindheit vergessen und macht die Welt auf der Leinwand für ihn sichtbar.

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Borges im Kino
herausgegeben v. Hanns Zischler, Rowohlt Literaturmagazin No. 43, Sonderheft
Rowohlt Verlag. Reinbek 1999

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