Man wird schon nostalgisch, wenn man denkt, dass die Argentinischen Filmtage vor zwei Jahren erst eine experimentelle Randveranstaltung in der Leipziger Kulturszene waren. Das Projekt gibt es nun in seiner dritten Auflage. In den letzten beiden Jahren konnte es zudem renommierte Sponsoren gewinnen, so dass auch das Filmangebot breiter gefächert wurde. Zehn Tage lang (30. Januar bis 8. Februar 2009) hatten die Zuschauer die Möglichkeit, ein bisschen die argentinische Kultur kennenzulernen, sowie ihren bitteren, aber sehr direkten Humor zu erleben. Mit ihren typischen sozialkritischen Filmen haben die Argentinischen Filmtage, die von Sudaca e.V. veranstaltet werden, nicht nur Studenten oder Lateinamerika-Interessierte als Ziel, sondern auch „Neugierige“, die sich über Argentinien und dessen Gesellschaft ein Bild machen wollten.
Die Veranstaltung war jedoch nicht ausschließlich durch argentinische Filme geprägt, sondern zeigte ebenfalls Kurzfilme und Dokumentationen aus anderen lateinamerikanischen Ländern, welche die Rubrik „Ventana Latina“ bildeten. Damit hatte das breitgefächerte Publikum die Möglichkeit, Produktionen aus Uruguay, Brasilien oder Bolivien zu sehen. Die Vielfältigkeit der Filmwoche zeigte sich einerseits in den verschiedenen Ländern, andererseits innerhalb der argentinischen Filme. Neben international begehrten Filmen, wie den ersten Teil des Films „Ché“ (Che – el Argentino) von Steven Soderbergh, bekamen auch bisher unbekannte argentinische Regisseure bzw. frisch Graduierte der Filmschule von Buenos Aires ihren Platz in den Filmtagen.
Wer sich durch das argentinische „Fieber“ anstecken ließ, konnte seinen kulturellen Durst zudem in anderen Rahmenveranstaltungen sättigen. Dazu zählten die Eröffnungsparty im „Horns Erben“, Milongas (typische Tanzveranstaltung) für die Tango-Liebhaber und Vorträge über die aktuelle politische Lage Lateinamerikas.
Am letzten Tag wurden zudem der Publikumsliebling und der Jury-Gewinner bekannt gegeben. Der Film „Leonera“, der bereits letzes Jahr in Cannes nominiert war, gewann den Publikumspreis, gefolgt von „El Frasco“. Die fünfköpfige Jury der Filmtage entschied sich ebenfalls für „Leonera“ als besten Film und verlieh den Kurzfilmen „El Empleo“ und „Hoy no estoy“ jeweils einen weiteren Preis. Leider konnte das Publikum „Leonera“ am letzten Tag nicht mehr die Ehre erweisen und den Film noch einmal sehen, da sich dieser bereits auf dem Weg zur nächsten Filmveranstaltung befand. Dafür bekamen die Zuschauer in der Schaubühne Lindenfels dann den zweitbesten Film „Lluvia“ zu sehen.
So einen intensiven Filmmarathon, wie es die Leipziger Argentinischen Filmtage darstellen, kann man nicht durchhalten. Deswegen werden an dieser Stelle nur einige Filme und Dokumentationen kurz rezensiert.
Leonera (Argentinien/Südkorea/Brasilien 2008)
Man sollte sich durch den niedlichen und kindlichen Vorspann von Leonera nicht täuschen lassen. Die Geschichte von Julia, einer 26-jährigen Studentin, die eines Tages plötzlich in ihrer überall mit Blut verschmutzten Wohnung aufwacht, ist nicht einfach. Sie findet ihren Freund (Nahuel) und dessen Freund (Ramiro) nackt und reglos, mit Messerstichen verwundet, auf dem Boden ihrer gemeinsamen Wohnung liegend und weiß nicht mehr, was die Nacht vorher passiert ist: Nahuel ist tot und Ramiro schwer verletzt. Als Hauptverdächtige wird sie in das Frauengefängnis eingeliefert. Da Julia von einem der jungen Männer ein Kind erwartet, kommt sie in die Abteilung für Mütter und Kinder. Eine Welt des Elends, Frust und Sehnsucht wird plötzlich zu ihrem Alltag.
Der langsame juristische Prozess dauert Jahre und ihr Sohn Tomas wird in der Zwischenzeit im Gefängnis geboren. Julias in Frankreich lebende Mutter ist zwar wieder nach Argentinien zurückgekehrt, um ihrer Tochter Kraft zu geben, aber ihre Hilfe findet nicht die Anerkennung, die sie erwartete. Julia muss Härte zeigen, um im Gefängnis zu überleben. Das Drama der jungen Frau, ihr Kampf nach Freiheit und ihr Alltag im Frauengefängnis werden einfühlsam, aber gleichzeitig in einer sehr offenen Handlung gezeigt. Dem Regisseur Pablo Trapero ist es gelungen, die Zuschauer in die Geschichte einzubeziehen und sie für Julias Kampf zu gewinnen. Eine interessante Geschichte mit einem gewagten Ende. Demzufolge bekam der Film bereits verschiedene lateinamerikanische Preise, wie z.B. auf dem Havana Filmfestival. Er war ebenfalls als bester Film für die Goldene Palme von Cannes 2008 nominiert.
Fasinpat, fábrica sin patrón (Argentinien 2004, Doku)
Fasinpat zeigt den mutigen Kampf der Arbeiter einer Zementfirma (Zanón) in Neuquén, die das Ziel haben, trotz der Wirtschaftskrise und den Konflikten mit dem Chef weiter arbeiten zu dürfen. Mit der Abwesenheit des Chefs versuchten die Arbeiter, die Firma so gut wie möglich am Laufen zu halten, damit sie ihre eigene Existenz sichern konnten. Die „Fabrica sin Patrón“ (Fabrik ohne Arbeitgeber) hatte anfangs Schwierigkeiten, ihre Produkte zu verkaufen, da die Großkunden Angst um die Qualität und Rechtmäßigkeit der Arbeiterinitiative hatten. Trotzdem schafften es die Arbeiter, den Umsatz zu steigern und damit neue Arbeitsplätze zu finanzieren, was auch der Kommune gut tat. Sie kümmerten sich nicht nur um ihr eigenes Wohl, sondern finanzierten Krankenhäuser und organisierten Feste für ihre Provinz Neuquén. Damit sicherten sich die Arbeiter eine breite Akzeptanz und die Sympathie der Bevölkerung in den bevorstehenden juristischen Auseinandersetzungen. Wem gehörte jetzt die Firma?
Der Film Fasinpat greift ein sehr interessantes Thema auf. Die Selbstverwaltung von Fabriken durch die eigenen Arbeiter war ein typisch argentinisches Phänomen während der Krise 2001. In manchen Fällen gab es eine friedliche Verhandlung mit dem Chef, der froh war, seine Schulden und somit seine Fabrik loszuwerden. In anderen Fällen, wie von Zanón, gab es Streitigkeiten um das Eigentum, besonders als sich die neue Fabrik erneut produktiv zeigte. Der Film wurde dieser Thematik jedoch nicht gerecht. Die langatmigen Szenen von Dialogen und Abstimmungen der Arbeiter untereinander ließen viele Frage offen, die während des Films keine Antwort bekamen. Wieso ist die Fabrik ohne Chef? Wie wollen die Arbeiter sich organisieren? Was sind ihre Ziele? Und besonders wichtig: was ist am Ende passiert? Gehört die Fabrik nun den Arbeitern? Leider erfahren die Zuschauer nicht die Geschichte der Fasinpat. Wenn man dann frustriert und fragend nach Hause kommt, kann man nur selber recherchieren, um die Antworten zu finden. Die Arbeiter der Fasinpat warten nämlich bis heute auf eine offizielle Entscheidung des Richters, ob sie Zanón enteignen können und zukünftig als Kooperative agieren dürfen.
Che – El Argentino (Spanien/USA 2008)
Der erste Film des zweiteiligen Kinowerkes über den berühmten Argentinier Ernesto „Che“ Guevara erzählt seine Geschichte ab dem Beginn der 50er Jahre, als sich Che und Fidel Castro für die Revolution in Kuba vorbereiteten. Das Treffen von beiden Hauptpersonen der kubanischen Revolution in Mexiko dient als Startpunkt des Films, welcher noch den Anfang des Guerrilla-Kampfes in der Sierra Madre zeigt. Der Film enthüllt die Spannungen innerhalb der Gruppe, sowie die vielen Niederlagen gegen die Regierungstruppen. Trotzdem gelingt es der Guerilla, innerhalb von zwei bis drei Jahren eine breite Unterstützung in der Bevölkerung gegen den von den USA eingesetzten Diktator Batista zu erlangen. Der erste Teil erzählt Ches Geschichte und Kampf bis zum letzten Marsch auf Havanna.
Der zweistündige Film von Steven Soderbergh versucht die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu gewinnen, indem er durch die Geschichte und die Fakten hin und her springt. Es wird der Kampf in der Selva gezeigt, aber auch die Rede von Guevara vor den Vereinten Nationen in New York, sowie Interviews, welche die Handlung interessanter gestalten sollen. Für Kenner der Geschichte ist es eine willkommene Abwechslung, es ist jedoch durchaus vorstellbar, dass es für diejenigen, die nie über den Verlauf der Revolution gelesen haben, ziemlich schwierig ist, dem Film zu folgen. Trotz der Bemühungen von Soderbergh wirkt der Film etwas in die Länge gezogen. Eine halbe Stunde weniger wäre mehr gewesen. Der Film verfolgt nicht den Anspruch, eine vollständige Biographie von Che zu zeigen, wodurch seine Kindheit beispielsweise komplett ausgespart bleibt. Die Handlung blendet die Ursachen der Revolution ebenfalls weitgehend aus. Vielmehr stellen das politische und revolutionäre Leben des Argentiniers den Mittelpunkt dar, auch wenn diese nicht besonders interessant präsentiert wird. Es gestaltet sich schwierig, einen guten Film über eine berühmte Persönlichkeit zu drehen, da die Cineasten von vornherein viel von ihm erwarten. Trotzdem enttäuscht es, dass „Che – El Argentino“ weit entfernt von einem guten Porträt von Che Guevara ist. Die „hollywoodianische“ Produktion zerstört etwas die Magie der kubanischen Revolution.
Construcción de una ciudad (Argentinien 2007, Doku)
Die Geschichte der kleinen argentinischen Stadt Federación, in der Nähe der uruguayischen Grenze, stellt etwas Besonderes dar. Wegen dem Bau eines Staudammes (Salto Grande), welcher „der ganzen Nation zu Gute kommen soll“, mussten die circa 10.000 Einwohner von Federación umgesiedelt werden. Die Häuser, Straßen, Kirchen…alles wurde überflutet. Geblieben sind nur die Erinnerungen und die Sehnsucht der alten Gemeinschaft. Die „neue Stadt“ bestand lediglich aus sehr ähnlichen Betonhäusern und hatte keine gepflasterten Straßen oder eine gute Infrastruktur. Viele alte Bewohner konnten sich nie daran gewöhnen und starben bereits in den ersten 10 Jahren nach der Umsiedelung. Erst mit der Entdeckung von thermalen Wasserquellen boomte die kleine Stadt. Der Tourismus förderte die Infrastruktur und führte zu Wohlstand in der Bevölkerung. Heute ist Federación eine kleine und reiche Stadt, die aber nie die alten Erinnerungen losgelassen hat.
Der Film von Nestor Frenkel geht trotz des gesetzten Rahmens fast gar nicht auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Umsiedlung ein, sondern fokussiert auf die persönlichen Schicksale und Betrachtungen der Situation. Einige Bewohner erzählen ihre Geschichte in einer sehr informellen Art. Man hat das Gefühl, sich direkt mit der Person zu unterhalten, auch wenn manche Stellen des Filmes etwas langatmig sind. Für diejenigen, die Informationen über die neue und die alte Federación suchen, ist der Film weniger hilfreich. Aber wer offen ist, einfache persönliche Geschichten zu hören und mehr über die dortigen Menschen zu erfahren, kann die Dokumentation sogar genießen.
Return to Bolivia (Argentinien 2007, Doku)
Die bolivianische Familie Quispe hat es geschafft, ihren kleinen Gemüseladen in Buenos Aires zu eröffnen. Damit können die Eltern, Janeth und David, ihren drei Kindern einen besseren Lebensstandard geben, als er für sie in Bolivien je erreichbar wäre. Diese Entscheidung ist jedoch nicht einfach. David schläft jeden Tag nur fünf Stunden, um den Laden bis 22 Uhr offen zu halten und um drei Uhr morgens bereits Gemüse in den Großmärkten einzukaufen. Janeth muss ihrem Mann helfen und gleichzeitig die Kinder versorgen; ein stressiger Alltag, welcher sich auch in ihrer schlechten Gesundheit widerspiegelt. Mit dem Ziel, eine ehrliche und günstige Aushilfe für den Laden zu finden, besucht die Familie acht Jahre nach der Auswanderung ihre einstige Heimat Bolivien. Die lange Reise zeigt die Impressionen des alten Lebensmittelpunktes. Z.B. wie die Zeit in Bolivien an manchen Orten stehengeblieben ist, wohingegen sich in anderen Fällen alles geändert hat.
Eine sehr gelungene Dokumentation von Mariano Raffo, indem man sich als Mitreisender fühlt. Man erfährt die Ängste der Familie, nimmt aber auch an ihren Erfolgen teil. Der Stress von Buenos Aires blieb in Argentinien, während das zuvor selten gezeigte Lächeln von Judith und David in Bolivien häufiger wurde. Eine Reise, die Gefühle und Kleinigkeiten veranschaulicht, welche man nur als Auswanderer verstehen kann.