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Tatort Túcume – Pyramidenstadt in Peru

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Tumi-Tote am Tatort Túcume

Die Pyramiden von Tucume/Peru - Foto: David AlmeidaTatort: Túcume, Lambayeque-Tal, Peru. Todesopfer: 119. Tatwaffe: Tumi, traditionelle Handaxt. Todesursache: Enthauptung. Tatmotiv: Besänftigung der Götter. Tatzeit: 1533. Die entscheidende Frage: Wer waren der oder die Täter?

Die kriminologischen Ermittlungen beginnen 1880. Durch Zufall stößt der deutsche Ingenieur Hans Heinrich Brüning nahe der Zucker-Plantage Patápo auf vergoldeten Schmuck einer altertümlichen Kultur. Bald entdeckt er auch dessen Herkunft: riesige Pyramiden[1] aus Adobe-Ziegeln, die im gesamten Lambayeque-Tal verstreut sind. Mit deutscher Gründlichkeit kartiert er die Pyramiden, zeichnet sie und bannt sie auf Fotoplatten. Er sammelt zudem sämtliche Zeugnisse, die er bei der indigenen Bevölkerung des Gebietes finden kann. Doch bis zu seinem Tod vermag es Brüning nicht, das Geheimnis der fremden Kultur zu lüften.

Dieser Einstieg, an dem man lediglich kritisieren mag, dass der falsche Brüning in der Reportage mit dem einheimischen Führer auf Englisch spricht und dass das Kamera-Team nicht das nahegelegene Brüning-Museum von Lambayeque in die Ermittlungen einbezieht, öffnet nun das Feld für die Recherchen eines internationalen Forscherteams. Im Zentrum der neuen „Kriminalisten“: die huaca larga, die lange Pyramide, eine von 250 Pyramiden, die im gesamten Tal verstreut sind, die Hauptpyramide des Komplexes Túcume. Weitere Anlagen im Lambayeque-Tal wie Pampa Grande, immerhin eine Pyramide mit den stattlichen Ausmaßen von 200 Metern Breite und 30 Metern Höhe, oder Batan Grande verblassen angesichts der Größe der langen Pyramide von 700 Meter Länge, 100 Meter Breite und 40 Meter Höhe. Die größte Pyramide der Welt ist Teil eines riesigen religiösen Areals mit 26 Heiligtümern auf einer Fläche von 220 Hektar.

Wer sind die Erbauer – und sind die Erbauer die Täter? Die Moche haben im Gebiet zwar ihre Spuren hinterlassen, werden aber um etwa 1100 infolge einer Klimakatastrophe von den Lambayeque, einer Untergruppe der Sicán, abgelöst. Ihr legendärer Anführer Naymlap begründet zu dieser Zeit die Dynastie von Túcume und läßt die riesigen Tempel aus Adobe-Ziegeln errichten.[2] Doch er ist für das Massensterben nicht verantwortlich. Soviel steht fest.

Leider folgen die „Kriminologen“ nun eher unwichtigen Nebenschauplätzen. Architektonische Detailbeschreibungen und langweilige Animationen hätten besser hinter ausführlicheren Informationen zu den historischen, sozio-demographischen oder ökonomischen Besonderheiten der Zeit zurückgestellt werden sollen. Denn die Priesterkönige residierten nicht im Vakuum. Sie waren die Spitze eines Staates, der als Basis die Landwirtschaft hatte und riesige Bewässerungsprojekte initierte. Kanäle erreichten Längen über 50 Kilometer. Und die sich ausdifferenzierende Gesellschaft mußte sicherstellen, dass die Ernährung auch für die „unproduktiven“ Herrscher und Künstler gewährleistet war. Von daher wäre auch interessant gewesen, warum um etwa 1250 die Sipán von den Chimú vertrieben wurden. Das bleibt im Dunkeln.

Die Fährtensuche setzt erst 1460 mit der Eroberung Túcumes durch die Inkas wieder ein. Damit nähert sich die Geschichte des Tempelbergkomplexes zugleich seinem Ende. Doch wer war der Täter? Die Kriminalisten scheinen endlich die Lösung gefunden zu haben. Es war wohl im Jahr 1533, als der Herrscher von Túcume angesichts der Ermordung Atahualpas in Cajamarca und der nun völlig aussichtlosen Lage im Kampf gegen die spanischen Eroberer nur noch einen Ausweg sah: die Götter um Beistand bitten. Zu diesem Zwecke wurden ihnen diesmal nicht wie üblich Tiere, sondern 119 Bewohner als Opfer dargebracht, mit der Tumi vom Inka-Priester enthauptet. Ein Massensterben in höchster Not. Doch das Blutopfer half nichts. Die Spanier drangen ungehindert weiter vor. Da ihnen die göttliche Hilfe verwehrt blieb, steckten die Einwohner Túcumes letztendlich ihr Heiligtum in Brand und verließen es auf immer. Zurück blieben 119 Kadaver.

Der BBC ist in Zusammenarbeit mit dem ZDF eine fassetenreiche Aufarbeitung der in hiesigen Kreisen eher unbekannten Lambayeque/Sicán-Kultur und deren Ende gelungen. Ein rundweg umfassendes Fernsehereignis ergibt sich aber nur, wenn man schon Vorkenntnisse besitzt. Trotzdem zählt die Dokumentation eindeutig zu den besseren des Genres und kann auch einem breiteren Publikum empfohlen werden.

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[1] Die treffendere Übersetzung von huaca ist Tempelberg. Aber es scheint, auch die amerikanischen Archäologen würden die ganze Zeit von Pyramiden sprechen.

[2] Hier irrt möglicherweise die Reportage. Naymlap, der legendäre Begründer der Sicán-Kultur, kam wohl schon 350 Jahre eher im Lambayeque-Tal an. Da die Übersetzung des Namens „Wasservogel“ bedeutete, wird vermutet, dass er über das Meer kam – eine These, die vor allem Thor Heyerdahl, der zwischen 1988 und 1993 ebenfalls in Túcume archäologische Forschungen betrieb, vehement vortrug. Naymlaps Grab konnte aber bisher in Túcume nicht gefunden werden.

Tatort Túcume –
Pyramidenstadt in Peru,

Phoenix, 16.04.2008

Bildquelle: David Almeida

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