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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Lemebel, Pedro: Torero, ich hab Angst

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Aber sprechen Sie mir nicht vom Proletariat,

denn arm und schwul zu sein, ist schlimmer.*

Pedro Lemebel

 

Pedro Segundo Mardones Lemebel (1952-2015) gilt als eine Ikone der chilenischen, ja lateinamerikanischen Gegenkultur. Er war ein schwuler linker Aktivist, Performancekünstler und Autor. Mit seinen in Zeitschriften und Büchern veröffentlichten Crónicas gab er denen eine Stimme, die in der Öffentlichkeit seines Landes meist nicht oder nur wenig Beachtung und Gehör fanden: Opfern der Militärdiktatur, Homosexuelle, HIV-Positive und Arme. Mit der Kombination „schwul und links“ eckte bei allen Seiten an, ließ sich aber nicht beirren. „Ich bin ein Linker und meine Handschrift wird nicht schwächer, wenn es darum geht, mein Engagement zu bekräftigen.“*

In Torero, ich habe Angst, seinem einzigen Roman, im letzten Jahr in 2. Auflage bei Suhrkamp erschienen, finden sich alle seine wichtigsten Themen wieder: linkes Engagement, Homosexualität und Armut. Die Protagonistin des Buches ist la loca del frente, in der Übersetzung die Tunte von der Front, ein sehr effeminiert auftretender Homosexueller jenseits der 40. Einen anderen Namen bekommt die Tunte nicht und auch sonst wird nur wenig über sie verraten: aus armen Verhältnissen stammend, diskriminiert von Kindheit an, schlechte Schulbildung, Flucht aus dem gewalttätigen Elternhaus. Die Tunte hat sich in der homosexuellenfeindlichen und gewalttätigen Welt Chiles eingerichtet und verdient ihr Geld mit der Anfertigung kunstvoller Stickarbeiten für die Aristokratie und Offiziersgattinnen. Vonseiten der kleinen Leute in ihrem Viertel in Santiago, wo sie ein heruntergekommenes Eckhaus in ihr Reich verwandelt hat, erfährt sie trotz aller Vorbehalte, auch Anerkennung – „besser als jede Frau, und das Haus immer blitzeblank“. Sie lebt zwischen dem Besticken von Bett- und Tischwäsche und sentimentalen Liedern aus dem Radio. Diese scheinbar heile Welt wird durch die Begegnung mit Carlos „diesem gutaussehenden Burschen (…). so gut, so sanft, so liebenswürdig“. gründlich durcheinandergewirbelt. Die Tunte, die die Liebe abgeschrieben und sich mit schnellem, verstohlenem Sex abgefunden hat, verliebt sich in den jungen Mann, unsterblich und hoffnungslos – „Hirngespinste einer verliebten Schwuchtel. Was aber sollte sie tun, wenn dieser Kerl ihr den Kopf verdreht hatte, mit seinem feinen Getue und seiner Hochschulbildung“.

Doch Chile und insbesondere die Hauptstadt Santiago ist Mitte der 1980er Jahre ein Unruheherd: Die Proteste gegen die Diktatur verstärken sich, es kommt immer wieder zu Demonstrationen, u.a. von Angehörigen Verschwundener, und die Aktionen der Patriotischen Front Manuel Rodríguez (FMPR) legen auch schon einmal kurzzeitig das öffentliche Leben lahm. Im September 1986 verübt die FMPR ein Attentat auf Diktator Pinochet, das aber misslingt.

Um dieses spektakuläre Ereignis entwickelt Pedro Lemebel seine Geschichte. Denn Carlos ist, in nicht näher definierter Weise, mit der Patriotischen Front verbunden und in die Vorbereitung des Attentats verwickelt. Kontakt zur Tunte knüpft er zunächst wohl vor allem, um deren altes Haus als Versteck für Waffen zu nutzen. Er versucht, die Tunte zu täuschen, angeblich, weil er sie nichtin „etwas reinziehen“ will, doch ist diese nie so naiv zu glauben, man lagere wirklich Bücher und Manuskriptrollen in ihrer Wohnung oder es träfen sich nur Studenten, um zu lernen. Doch sie spielt das Spiel mit, aus Liebe zu Carlos.

Diese sich immer in einer seltsamen Schwebe befindliche Beziehung zu dem jungen Carlos, das ständige Wechselspiel zwischen Euphorie und Verzweiflung führt schlussendlich zu einer zunehmenden Politisierung der Tunte. Das ist kein radikaler Wandel ihrer Einstellungen, eher ein allmählicher, quasi natürlicher Prozess, in dem sich ihre langjährigen Erfahrungen von Armut und Diskriminierung und die Solidarität aus Liebe zu Carlos verbinden. Die Sendungen des alternativen Senders von Radio Cooperativa, die sie anfangs eher erschrecken – immer nur schlechte Nachrichten – werden für sie mehr und mehr „ein schützender Balsam in der Finsternis dieses Krieges“; schließlich haben sowohl der Sender und auch die Nachrichten mit Carlos zu tun. Zunehmend nimmt sie Anteil an den Schicksalen der Menschen, von denen berichtet wird, denn schließlich „waren es ihre Leute, die einen Überlebenskampf in dieser Prügeldiktatur führten“.

Lemebel schildert die Geschichte weitgehend aus der Sicht seiner Protagonistin. Nur hin und wieder wechselt er quasi die Seite; dann folgt man dem Diktator und der primera dama in ihrem Alltag. Lemebel wagt den Kunstgriff, den Kreis quasi zu schließen und die beiden Seiten – die Tunte von der Front und Carlos auf der einen und die Pinochets auf der anderen Seite – sich begegnen zu lassen. So ganz nachvollziehbar sind diese Abschnitte allerdings nicht, sie wirken dann doch zu aufgesetzt. Vielleicht liegt das daran, dass der Diktator und seine Ehefrau zu Witzfiguren werden; so macht sich Augusto Pinochet bei dem Attentat buchstäblich in die Hosen und die unaufhörlich zeternde Lucía Hiriart hat offensichtlich nichts als Hüte und Kleider im Kopf.

Lemebels bedient sich in „Torero, ich habe Angst“ einer höchst barocken, ausschweifenden Sprache und findet immer wieder ungewöhnliche Bilder; spielerische – in der von Stieglitzen bevögelten Stille), sarkastische – Hitlernirvana, selbstironische – Tunterapunzel. Dieses Spielerische findet sich selbst im Namen der Protagonistin. La loca del frente ist im Spanischen sehr vieldeutig und lässt verschiedene Interpretationen zu: von der Verrücktheit als Fassade bis hin zum wortwörtlichen Tunte der Front, also der Befreiungsfront Manuel Rodríguez. Im Deutschen funktioniert das leider nicht so gut. Aber was soll’s, die Übersetzung von Matthias Strobel ist rundum gelungen und die Lektüre eine wahre Freude.

 

Pedro Lemebel

Torero, ich habe Angst

Suhrkamp Verlag AG. Berlin 2023

 


 

*García, Javier: Lemebel, el cronista provocador, gana el Premio José Donoso. In: www.latercera.com/noticia/cultura/2013/09/1453-541197-9-lemebel-el-cronista-provocador-gana-el-premio-jose-donoso.shtml (letzter Zugriff 3.6.2024)

Bildquelle: CoverScan

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