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Was ist los mit AMLO? Menschen in Mexiko berichten

Zeljko Crncic | | Artikel drucken
Lesedauer: 10 Minuten

Im Jahre 2018 wurde Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO, zum Präsidenten Mexikos gewählt. Im dritten Anlauf schaffte der Kandidat der Partei Morena (Bewegung für staatliche Erneuerung) den Sprung ins Präsidentenamt, nachdem er 2006 von Felipe Calderón um seinen Wahlsieg betrogen wurde und 2012 gegen Enrique Peña Nieto unterlag. Im dritten Versuch errang López Obrador 53% der Stimmen, ein beachtliches Ergebnis. Er schlug die Parteien aus dem Feld, die in den letzten 90 Jahren das Land regiert hatten und kann zusätzlich auf viele Parlamente in mexikanischen Bundesstaaten zählen.

Viele Hoffnungen der Mexikanerinnen und Mexikaner ruhten auf dem linken Kandidaten. Vor allem konnte López Obrador mit den Versprechen punkten, den neoliberalen Kurs des Landes zu beenden und eine demokratische Transition einzuleiten. Konkret überzeugte er die Mehrheit seiner Landsleute mit dem Versprechen, den Kampf gegen die Korruption und die Gewalt im Land zu bekämpfen. Aber wie sieht die Bilanz nach einem Drittel seiner Amtszeit aus?

Drei Menschen aus Ciudad de Mexico und Guadalajara haben ihre Eindrücke der letzten Zeit geschildert. Zu ihnen gehört ein Universitätsangestellter, eine Mitarbeiterin in der Entwicklungszusammenarbeit und ein Philosophiedozent und Kleinunternehmer.

Der Kampf gegen die Drogen

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Mexiko befindet sich seit den 90er Jahren, aber vor allem seit 2006 und dem von Ex-Präsident Felipe Calderón proklamierten Krieg gegen die Drogenkartelle, in einer schwierigen Lage. Ganze Regionen des Landes sind nur noch teilweise unter staatlicher Kontrolle, die Kartelle führen einen brutalen Kampf unter einander, gegen Polizei und Militär und auch immer wieder gegen Unbeteiligte. Die staatlichen Behörden sind ihnen entweder unterlegen oder arbeiten gleich mit ihnen zusammen. In Staaten wie Guerrero oder Michoacán begannen sich ab 2013 lokale Bauern gegen die Kartelle zu organisieren, um den fehlenden Schutz durch den Staat auszugleichen. Andrés Manuel López Obrador trat mit dem Versprechen an, die massive Gewalt einzudämmen. Dabei sind die Aufgaben immens. Der Drogenkrieg forderte mindestens 40.000 Verschwundene, es gibt mindestens 37.000 nichtidentifizierte Leichen sowie eine Vielzahl von Massengräbern.

2019 wurde ein trauriger Rekord erreicht, denn in diesem Jahr starben mehr Menschen im Drogenkrieg als in den Jahren zuvor. Mauricio, ein Mitarbeiter aus dem Hochschulsektor der Hauptstadt, der seinen richtigen Namen nicht in diesem Artikel lesen möchte, konstatiert zu diesem Thema:

„Es gab unter dem jetzigen Präsidenten keinen Fortschritt. Das Einzige, was sich vielleicht geändert hat, ist, dass über die Gewalt nicht mehr so viel berichtet wird. Die Berichterstattung dreht sich jetzt mehr um die Pandemie und ihre Folgen“, meint er.

Auch Lilia de Diego, die für die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit in Mexikos Hauptstadt arbeitet, sagt:

„Es ist schlimmer geworden. Wirklich.“ Aber sie wendet auch ein: „Diese ganze soziale Auflösung geht schon seit Jahren vor sich. AMLO kann ja auch nicht zaubern. Wenn die Gewalt seit mindestens 2006 andauert, kann er sie auch nicht in zwei Jahren beenden.“

Tatsächlich sind die Gewaltraten in den letzten Jahren nochmals angestiegen. Den kompletten Bruch mit den Drogenkartellen nimmt Mauricio der Regierung AMLO zudem nicht ab. Für seine Skepsis führt er das Beispiel des Kartells von Sinaloa an:

„Als der Sohn von Chapo Guzman in Culiacán verhaftet wurde, ließen ihn die Sicherheitskräfte kurz nach der Festnahme frei und bliesen die ganze Operation ab.“

Grund war die glaubhafte Drohung des Drogenkartells, in der Stadt ein Massaker zu verüben, wenn der Drogenboss nicht freigelassen würde. Die Episode zeigte die Machtverhältnisse exemplarisch auf.

Guillermo Vargas, Philosophiedozent und Kleinunternehmer in der Herstellung von Werbeartikeln aus Guadalajara, der Hauptstadt des Bundesstaates Jalisco, sagt zu diesem Thema:

„In Jalisco ist die Situation im Moment sehr schwierig. Es gab erst letztens eine Entführung durch schwerbewaffnete Kriminelle mit einem Auto, das als Polizeiwagen getarnt war.“

Aber auch jenseits der Nachrichten schlägt sich die alltägliche Gewalt im persönlichen Umfeld nieder. Guillermo Vargas berichtet:

„Eine unserer Mitarbeiterinnen wurde vor einer Woche fast Opfer einer Gewalttat. Sie sah zwei Leute, die sie verfolgten und sich gegenseitig Zeichen machten. Sie konnte sich geradeso in ein Geschäft flüchten. Wir wissen nicht, ob sie versucht hatten, sie zu entführen oder auszurauben. Das ist sehr traurig, wie sich die Sicherheitslage in der Stadt verschlechtert hat.“

Neben der Drogengewalt ist Mexiko seit Jahren auch durch die Gewalt gegen Frauen, den sogenannten Femiziden, gezeichnet. Nur im Jahr 2020 wurden im Land 939 Frauen getötet. In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der Frauenmorde um 137% gestiegen. Dabei kann die Reaktion des Präsidenten die Frauen nicht zufrieden stellen. Er reagierte zum Beispiel auf zwei Morde in der Hauptstadt, indem er sie als „unglücklich“ bezeichnete, was zu Protesten von Frauenrechtsorganisationen führte.

Präsident López Obrador schenkt dem Thema in seinen täglich stattfindenden Pressekonferenzen zudem wenig Aufmerksamkeit und bewertet die Anliegen der Frauen als Kampagne seiner konservativen Gegner.

„Das macht mich traurig, und ich fühle mich schlecht, denn ich habe ihn seit 2006 unterstützt und gewählt. Ich vermisse vor allem so etwas wie Empathie für das Thema der Frauenmorde“, hebt Lilia de Diego hervor.

Der Staat und das liebe Geld

Die ökonomische Entwicklung Mexikos leidet seit langem unter einem hohen Grad der Steuerhinterziehung. Dadurch wird nicht nur die sozioökonomische Entwicklung gebremst, auch das Leben der Mexikanerinnen und Mexikaner leidet darunter, denn Steuerausfälle sorgen für knappe Staatsausgaben. AMLO hatte im Wahlkampf angekündigt, vor allem große Konzerne verstärkt zur Kasse zu bitten. Und einige der Großkonzerne mussten tatsächlich zahlen. Die Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlichte 2019 einen Bericht über die bereits begonnenen und geplanten Sozialmaßnahmen der Regierung. So wurden die Bezüge der höheren Einkommensgruppen beschnitten und Behörden Ausgaben für Dienstfahrzeuge, Dienstreisen, Personalkosten und Sachausgaben gekürzt. Auch der Mindestlohn wurde um 16% angehoben. Die Regierung zahlt seit Januar 2019 eine Basisrente von umgerechnet 60 Euro an Menschen aus, die 68 Jahre alt oder älter sind, Indigene können schon mit 65 Jahren diese Leistung beziehen. Arbeitslose junge Leute können 12 Monate bis zu 170 Euro Hilfe beziehen, wenn sie Aus- oder Fortbildungsmaßnahmen beginnen.

„Meine Mutter bekommt dieses Geld. Es sind um die 2000 Pesos, die sie mit einer speziellen Karte abheben kann“, erzählt Guillermo Vargas.

2019 standen insgesamt 4 Milliarden Euro für die verschiedenen Sozialprogramme bereit, 2020 kamen umgerechnet noch einmal 400 Millionen Euro dazu. Präsident López Obrador hatte ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 4% versprochen, was angesichts der stagnierenden Wirtschaftsleistung der zurückliegenden Jahre schwierig zu erreichen sein wird. Die Steuern sollen nicht erhöht werden, stattdessen wurde ein nationales Infrastrukturabkommen verkündet. Die Privatwirtschaft soll in den nächsten fünf Jahren 40 Milliarden Euro in 147 Projekte wie Flughäfen, Bahnlinien oder Krankenhäuser investieren.

Steuerlich sollten Großkonzerne mehr zur Kasse gebeten werden, damit die Besserstellung marginalisierter Gruppen gelingen kann. So steht es im Bericht der Heinrich-Böll-Stiftung. Mauricio bestätigt die Umsetzung dieses Wahlversprechens, fügt aber an:

„Bestimmte Konzerne werden besteuert, das ja. Die Steuerbehörde (Sistema de Administración Tributaria) wird von einer fähigen Frau geführt, die Steuerschulden von nationalen und internationalen Konzernen eingetrieben hat. Allerdings werden andere verschont, etwa der Medienchef von AMLO.“

Ein anderes Beispiel ist die Mediengruppe TV Azteca, die AMLO im Wahlkampf unterstützt hat und deren Chef, Ricardo Salinas Pliego, jetzt steuerlich begünstigt wird, so der Vorwurf, den auch Liliana de Diego bestätigt.

„Es gab Veränderungen“, fügt der Kleinunternehmer Vargas an, „Aber die sind nicht unbedingt eine Verbesserung für Leute wie mich. Es gab eine Umstellung auf ein digitales System, aber wir müssen weiterhin denselben Steuersatz zahlen, eine Erleichterung für Kleinunternehmer gab es nicht. In manchen Bereichen ist es sogar noch schwieriger geworden.“

Mauricio hebt als positive Leistung der Politik unter López Obrador die rechtliche Besserstellung der Hausangestellten hervor. Dies sei eine gute Entwicklung.

Die Pandemie und der Alltag

Mexiko_Queretaro_Foto_Carl_Campbell_CCMexiko wurde zu Beginn des Jahres 2020 – wie die ganze Welt – von der Pandemie überrascht. Es folgten verschiedene Maßnahmen wie ein erster Lockdown.

„Am Anfang hatten wir den Eindruck, dass die Regierung sehr gut vorbereitet wäre. Das Gesundheitsministerium präsentierte die aktuellen Zahlen jeden Tag im Fernsehen, und es schien, als hätten sie alles gut im Griff“, sagt Lilia de Diego.

Mauricio ist kritischer und meint, dass die Regierung vor allem freie Betten anstrebte, um die Covid-Kranken versorgen zu können.

„Das war das Einzige. Viele Leute starben Zuhause, weil sie Angst hatten, sich im Krankenhaus erst recht anzustecken.“

Auch Lilia de Diego findet, dass mit der Zeit Widersprüche in der Politik zu beobachten waren, etwa bei der Weigerung von Präsident López eine Maske zu tragen oder bei der Rechtfertigung dieser Weigerung:

„Regierungsvertreter sagten, dass AMLO niemanden anstecken würde, weil er eine hohe Moral habe. Was soll ich dazu noch sagen?“

Der Bundesstaat Jalisco war der erste, der – vor der Zentralregierung – Maßnahmen gegen das Virus durchsetzte. Im März 2020 wurde die Rückkehr der Schüler und Studenten nach den Osterferien in die Schulen und Universitäten verhindert. Es folgte auf nationaler Ebene ein Lockdown, der von 40 auf 80 Tage verlängert wurde.

Lockdowns sind in Ländern wie Mexiko schwer durchzuführen, denn viele Menschen sind auf den Straßenhandel oder andere Dienstleistungen mit persönlichem Kontakt angewiesen. Somit konnte ein lang anhaltender Lockdown im Land nicht umgesetzt werden.

„Zunächst fanden die Leute den Lockdown gut. Aber es gab viele Einschränkungen. So wurden Geschäfte und Restaurants geschlossen. Es gab auch Fälle, bei denen die Leute Ärger mit der Polizei hatten, weil sie keine Maske trugen“, sagt Guillermo Vargas.

Im Februar 2021 wurden nur zögerlich die Restaurants geöffnet. In ihrer Umgebung sieht Lilia de Diego die Folgen:

„Ich lebe an der Avenida Insurgentes, einer großen Nord-Süd-Verbindung in Mexiko Stadt. An der Straße gibt es viele Restaurants und Geschäfte mit Süßwaren. Viele von denen haben zugemacht, weil niemand kommt.“

Guillermo Vargas spürt die Folgen auch im eigenen Geschäft:

„Der Umsatz ist richtig eingebrochen. Wir sind bei 10 – 15% von dem, was wir vorher umgesetzt haben. Man sieht auch Leute auf der Straße, die ein Schild tragen, auf dem steht, dass sie Kellner waren und jetzt Hilfe brauchen.“

Viele Leute sind ökonomisch stark getroffen. Guillermo Vargas weiß das aus eigener Anschauung:

„Ich musste mich einschränken und mein Leben verändern, damit ich mit dem Geld klarkomme. Ein Geschäftspartner von mir hat angefangen, Essen zu verkaufen und auf einem Markt zu arbeiten, damit er über die Runden kommt.“

Mauricio sagt über seine eigene Situation:

„Ich hatte Covid, bin aber wieder gesund. Allerdings habe ich einen Studenten, der gleich mehrere Tote in der Familie zu beklagen hat. Je nach Zone und sozialem Milieu sind die Auswirkungen der Pandemie sehr unterschiedlich.“

Abschließend meint Lilia:

„Es ist schwierig. Für mich ist es relativ gut, weil ich einen sicheren Arbeitsplatz habe und nicht auf den öffentlichen Transport angewiesen bin. Aber für viele Andere ist es wirklich herausfordernd.“

Mauricio kritisiert auch, dass die ersten Geimpften Aktivisten waren, die bei der Kampagne für die Wahlen zum Kongreß im Juni auf Stimmenfang für MORENA gehen sollen.

Guillermo Vargas findet es abschließend besonders traurig, dass es kaum finanzielle Hilfen während der Pandemie gab.

„Wir bezahlen weiterhin Strom und Wasser. Die Einnahmen sind viel niedriger, aber Hilfe gab es keine.“

Es bleibt also zu hoffen, dass die Regierung López Obrador für Mexiko vor allem einen Ausweg aus der verbreiteten Gewalt findet. Ermutigend ist, dass es erste Ansätze einer Sozialpolitik gibt. Die Hoffnung ist, dass eine verbesserte soziale Lage die Gewalt einschränken könnte. Abzuwarten bleibt jedoch, ob sich diese Politik als Beginn von etwas Neuem erweist oder ob sie nur ein Tropfen auf den heißen Stein in schwierigen Zeiten sein wird.

 

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Bildquellen: [1] wiki_CC_EneasDeTroya; [2] wiki_CC_CarlCampbell

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