Christopher Isherwood dürfte dem einen oder anderen bekannt sein, wenn auch zumeist nur indirekt. Sein autobiografisch gefärbter Roman „Leb wohl, Berlin“ war die Vorlage für das Musical „Cabaret“, und damit auch für den gleichnamigen Film mit Liza Minnelli und Michael York. Der Brite Isherwood, 1904 geboren, hatte von 1929 bis 1933 in Berlin gelebt. Ende der 1930er Jahre übersiedelte er in die USA, wo er als Drehbuchautor und Schriftsteller arbeitete. Er war als Autor bereits etabliert, hatte u.a. auch Reisetagebücher über Asien veröffentlicht, als er 1947 seine Reise nach Südamerika antrat. Von September 1947 bis März 1948 reiste er von Venezuela nach Argentinien, über Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien. Sein 1949 in New York erschienenes Buch „The Condors and the Cows“ ist in diesem Jahr bei Liebeskind München erstmals auf Deutsch erschienen. Und das in einer fast nostalgisch zu nennenden Ausgabe mit Lesebändchen.
Ein historischer Reisebericht ist zweifellos ein Wagnis für einen Verlag, zumal es sich hier nicht um die Erinnerungen eines Entdeckers handelt, der fremde Welten bereiste, mit feindseligen „Wilden“ oder gefährlichen Tieren kämpfen musste. Wen interessiert denn die Reise eines Intellektuellen, der zudem über ausreichend Mittel verfügte, um einigermaßen komfortabel reisen zu können? Jedenfalls so komfortabel, wie das im Südamerika der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts möglich war. Christopher Isherwood reiste per Schiff, Zug, Bus oder mit dem Flugzeug, er wohnte in guten Hotels ebenso wie in einfachen Herbergen. Begleitet wurde er von seinem Lebensgefährten, dem Fotografen William Caskey, der die Fotos zum Buch beisteuerte.
Mitunter wirkt das Buch regelrecht unwirklich, was wohl an der Zeit liegt, in der es entstand. Im Jahr 1947 lag Europa in Trümmern, was im Buch keinerlei Rolle spielt – verständlicherweise. Da ist bestenfalls von „den Nazis“ die Rede und davon, welche Rolle denn die Russen jetzt spielen werden. Die Begegnungen der Reisenden mit europäischen Emigranten, die vor dem deutschen Faschismus geflohen waren, schaffen – seltsam genug – noch den besten Bezug, um die Reise in ihre Zeit einzuordnen. Es ist eben nicht so einfach, aus seiner eurozentristischen Haut zu schlüpfen.
Bei der Lektüre stellt sich hin und wieder die Frage, für welches Publikum dieses Buch geschrieben wurde. Isherwood sagte von sich selbst, er sei kein Abenteurer, keiner, der fremde Länder bereist, um sie zu entdecken. Und er wies selbst darauf hin, dass er sich auf diese Reise nicht besonders vorbereitet hatte, im Grunde wusste er zunächst fast nichts über Südamerika. Seine Aufzeichnungen machen über weite Strecken den Eindruck eines Touristentagebuchs für gebildete und betuchte Touristen. Diese Reise durch Südamerika wurde geprägt von Besuchen in US-amerikanischen und englischen Kulturzentren, Country Clubs, von Cocktail-Partys und „Lunches mit allen möglichen Leuten“. Isherwood traf Schriftsteller, Maler, Intellektuelle, Kirchenleute verschiedener Konfessionen und Politiker, wobei ihm seine Bekanntheit wohl sehr behilflich war. Der britisch-amerikanische Autor wurde hofiert, zu Dinnerpartys eingeladen, er hielt Vorträge und gab Interviews. Dazu kamen Besuche in einem Gefängnis und einer Nervenheilanstalt, und über immerhin 20 Seiten dürfen wir ihn auf Ölfelder in Kolumbien begleiten. Nun ja.
Nur zum Teil absolvieren die Reisenden auch das „normale“ Touristenprogramm: La Popa in Cartagena, Machu Picchu, Kirchen, Klöster, Stadtbesichtigungen, diverse Volksfeste. Da die Infrastruktur in vielen Regionen aber nicht eben gut entwickelt war, geriet die Reise nicht selten unfreiwillig zum Abenteuer. Halsbrecherische Fahrten in nicht immer verkehrstauglichen Fahrzeugen mussten daher ebenso ertragen werden wie die Übernachtung in Herbergen, die nur mit gutem Willen als einfach zu bezeichnen sind. Letzteres vermerkte der Autor leicht verschämt, er brauchte nun einmal einen gewissen Komfort. Und vermochte sich daher durchaus über bildungsbeflissene Touristen aus den USA zu amüsieren, die meinten, die Einfachheit zelebrieren zu müssen, dabei aber furchtbar zu leiden hatten.
Dem Charakter eines Touristentagebuchs angemessen ist auch die Tatsache, dass Isherwood „draußen bleibt“. Bei all seinen Begegnungen mit den verschiedensten Personen in den unterschiedlichsten Orten stammten seine Informationen über die einzelnen Länder und ihre Bewohner zumeist doch aus zweiter und dritter Hand. Seine Gesprächspartner sind in der Regel britische und US-amerikanische Geschäftsleute und Diplomaten oder Lateinamerikaner mit starker Affinität zu den USA oder Europa. Die Kontakte der Reisenden zu den Einheimischen, die in der Regel zumindest der Mittelschicht angehörten, blieben oberflächlich. Aber, wie sollte das auch anders sein? Isherwood und Caskey sprachen kaum Spanisch, waren also auf englisch sprechende Kontakte angewiesen. Und so traf Isherwood immer wieder auf lateinamerikanische Protagonisten, die in den USA oder England studiert hatten und, so sein Urteil, über „gute Manieren“ verfügten. Der Brite konnte halt auch nicht aus seiner Haut, in keiner Hinsicht.
„Kondor und Kühe“ gibt m.E. ein sehr lebendiges und treffendes Bild des Subkontinents Ende der 1940er Jahre, aus der Sicht eines Briten. Christopher Isherwood war voller Sympathie für Südamerika und seine Menschen, durchschaute das koloniale Erbe, das die Länder immer noch schwer belastete, auch wenn er den Unabhängigkeitsdrang und die Ablehnung des großen Nachbarn im Norden nicht nachvollziehen konnte. Und so mokierte er sich darüber, dass ihn Gesprächspartner hin und wieder darauf hinwiesen, dass die USA nicht Amerika seien, dass es US-amerikanisch und nicht amerikanisch heißen müsse.
In seiner Danksagung verweist der Autor auf seine Fehleinschätzungen und Ungenauigkeiten und betont sein Recht, sich als Tagebuchschreiber auch „lächerlich machen“ zu dürfen. Das Recht wollen wir ihm lassen. Sein Buch ist allerdings alles andere als lächerlich, sondern ein (sicherlich) subjektiver, aber exzellent geschriebener Bericht über diesen Kontinent voller Kontraste. Isherwood zeichnete wunderbare Portraits seiner Gesprächspartner und lieferte höchst lebendige Beschreibungen von Landschaften und Städten, so dass man meint, den Rio Magdalena riechen und die „beinahe schmerzhaft“ gute Akustik in Bogotá erleben zu können. Nur manchmal wünschte ich mir tiefgründigere, kenntnisreichere Beschreibungen über seine Gesprächspartner, über Jorge Eliécer Gaitán etwa oder Oswaldo Guayasamín. Aber woher sollte Isherwood damals wissen, dass Gaitán nur Monate später ermordet oder Guayasamín einmal ein weltberühmter Künstler sein wird?
Dem Buch hätte im Übrigen ein Nachwort ganz gut getan, das den Leser sowohl mit Isherwood als auch mit dem Lateinamerika der späten 1940er Jahre vertraut macht. Aber vermutlich ist das heutzutage für einen kleinen Verlag schon finanziell nicht zu bewältigen. Die Bilder scheinen mitunter recht willkürlich ausgewählt worden zu sein, sie „passen“ nicht immer zum Text. Besonders fiel mir das im Zusammenhang mit der Beschreibung des Klosters San Francisco in Kolumbien auf, ein Bild von dem „angeblich“ einzigen Turm im Mudéjar-Stil in Lateinamerika suchte ich vergeblich. Aber vielleicht hat ja Caskey diesen Turm auch gar nicht fotografiert. Dafür hat es aber eine mexikanische Pyramide ins Buch geschafft (S. 194), ich tippe auf den Tempel des Quetzalcóatl in Teotihuacán. Davon aber abgesehen sind Caskeys Bilder mehrheitlich wirklich gut und zeigen ein faszinierendes Bild dieses alten Südamerikas; und sind somit dem Text durchaus angemessen.
Christopher Isherwood,
Kondor und Kühe. Ein südamerikanisches Reisetagebuch.
Verlagsbuchhandlung Liebeskind,
München, 2013
Bildquellen: [1] Christopher Isherwood: Kondor und Kühe – Buchcover; [2] Quetzal-Redaktion, gt