Geschwächte Regierung, gespaltene Linke und gestärkte Militärs
Der Putschversuch vom vorletzten Donnerstag ist gescheitert, doch Ecuador kommt nicht zur Ruhe. Hier zunächst die aktuellen Entwicklungen: Der Ausnahmezustand, der landesweit vorerst Ende letzter Woche endete, wurde für Quito auf unbestimmte Zeit verlängert, Präsidentenpalast und Parlament werden nun von Militärs bewacht, und dies soll noch zwei Monate lang so bleiben. Die Staatsanwaltschaft hat 58 Haftbefehle gegen Rädelsführer der Ereignisse des 30. September erlassen. 57 Polizeiangehörige sitzen Disziplinarstrafen ab, andere sind von der Staatsanwaltschaft vorgeladen. Lucio Gutiérrez, 2005 von der Bevölkerung aus dem Amt gejagter Staatspräsident, der von der Regierung als Hintermann des Putschversuchs dargestellt wird, ist wieder aus Brasilien zurückgekehrt und streitet jegliche Verantwortung ab.
Ein Funktionär von Gutiérrez’ Oppositionspartei Sociedad Patriotica, Fidel Araujo, befindet sich in Untersuchungshaft, weil er gefilmt wurde, als er vor der Kaserne mit dem Handy telefonierte und im Fernsehinterview bestätigte, er sei hier, um den legitimen Aufstand der Polizei zu unterstützen. Der Anwalt von Lucio Gutiérrez, Pablo Guerrero, wurde gefilmt, als er die gewaltsame Besetzung des staatlichen Fernsehsenders Ecuador TV am 30. September anführte, in deren Verlauf erheblicher Sachschaden angerichtet wurde. Nach ihm wird gefahndet.
Ferner wurde bekannt, dass Gilmar Gutiérrez – der Bruder von Lucio – und einige Abgeordnete der rechten Opposition am vergangenen Donnerstag Nachmittag, als Präsident Correa noch im Polizeihospital festgehalten wurde, im Parlament bereits eine generelle Amnestie für alle an der Revolte beteiligten Polizisten und Militärs beantragen wollten. Ein seltsamer Umstand, da zu diesem Zeitpunkt der Ausgang des Konflikts, der im Nachhinein mindestens 8 Tote und gut 200 Verletzte gekostet hat, noch völlig unklar war und der Präsident in Lebensgefahr schwebte.
An der Absicht, Correa an diesem Abend zu ermorden, kann kein Zweifel bestehen: Es wurde nicht nur auf das Fahrzeug scharf geschossen, in dem er schließlich aus dem Hospital befreit wurde, sondern es existieren auch Mitschnitte des Polizeifunks an diesem Abend, in denen wiederholt zum Präsidentenmord aufgefordert wird.
Präsident Correas Popularität ist nach dem Putschversuch um 5 bis 10 Prozent in die Höhe geschnellt und liegt jetzt je nach Umfrage zwischen 58 und 75 Prozent. 92 Prozent der Bevölkerung sprechen sich für die Demokratie aus, gleichzeitig finden jedoch 73 Prozent, dass die Regierung ihren Kurs ändern muss.
Am Dienstag wurden vier Offiziersrängen in Polizei und Militär die Gehälter rückwirkend erhöht, um die hierzulande beträchtliche Summe von durchschnittlich 500 Dollar monatlich. Die Regierung erklärte, diese Maßnahme sei ohnehin fällig gewesen und habe nichts mit den Vorkommnissen der vergangenen Tage zu tun, man habe sich selbstverständlich nicht unter Druck setzen lassen. Von Repressalien gegen die Angehörigen der Luftwaffe, die den Flughafen von Quito besetzt gehalten hatten, wurde bisher nichts bekannt.
Die einheitlich solidarische und schnelle internationale Reaktion am 30. September, die der Regierung Correa politischen Rückhalt nicht nur von Seiten der politisch befreundeten Regierungen gab, war entscheidend und mit ausschlaggebend dafür, dass es nicht zu Schlimmerem gekommen ist. Sie zeigt, dass Lateinamerikas Regierungen und die internationale Linke aus den Ereignissen von Honduras gelernt haben.
Linke Analyse statt linker Reflexe
Soweit die Fakten. Darüber hinaus gibt es viele mögliche Lesarten dessen, was am 30. September in Ecuador vorgefallen ist. Es ist auffällig, wie sehr einige international veröffentlichte Analysen sich von den Debatten im Land selbst unterscheiden. International wird meistens, streng nach antiimperialistischem Lehrbuch und aus einer rein geopolitischen Perspektive, die einen genaueren Blick auf die ecuadorianischen Verhältnisse gar nicht erst versucht, den USA und der CIA die Schuld für den Putschversuch gegeben, die Parallele zu Honduras hergestellt und die Regierung Correa als sozialistische Regierung dargestellt, die es bedingungslos zu verteidigen gelte. Auch wird beschrieben, dass die massive, spontane Mobilisierung der ecuadorianischen Bevölkerung an diesem Tag, die Standhaftigkeit von Correa und die internationale Solidarität den Putsch zum Scheitern gebracht hätten.
Auch wenn es stimmt, dass den USA ein Sturz der lateinamerikanischen (Mitte-) Linksregierungen durchaus gelegen käme, weil die neue Selbständigkeit der Region die US-Dominanz in dem Subkontinent in Frage gestellt hat, ist diese Interpretation doch viel zu simpel. Auch wenn es dringend notwendig war, am 30. September die Demokratie in Ecuador zu verteidigen und sich angesichts der Lage hinter Präsident Correa zu stellen, vergibt diese irgendwie reflexhafte Einordnung der Geschehnisse die wichtige Chance, als Linke – auch international – aus dem Vorgefallenen zu lernen. Derartige polarisierende Momente führen historisch meist dazu, dass die Reihen fest geschlossen und strategische Debatten um die politische Zukunft einer Gesellschaft zugunsten einer bedingungslosen Loyalität abgewürgt werden – mit dem Ergebnis, dass anstelle der Suche nach Hegemonie politisches Schwarz-Weiß-Denken tritt, und die Transformationsprozesse entschieden verarmen. Deshalb soll hier versucht werden, eine Analyse der ecuadorianischen Verhältnisse und der inneren Widersprüche des politischen Reformprozesses in den Vordergrund zu stellen und mit dem Putschversuch in Verbindung zu bringen.
Völlig andere Lesart der Linken in Ecuador
In Ecuador streiten verschiedene politische Strömungen gerade darum, wie die Ereignisse des 30. September in die Geschichte eingehen werden: Als Putschversuch oder aber als mediale Inszenierung der Regierung im eigenen Interesse. Während die Regierungsmedien die Version des Putschversuchs mit Video- und Tonaufnahmen untermauern, vertreten nicht nur einige private Medien und die politische Rechte, sondern nach wie vor auch erhebliche Teile der Linken die zweite These. Die Argumente sind oft etwas schematisch, zu einem klassischen Putschversuch hätte die klare Komplizität der Streitkräfte gehört, die politische Unterstützung aus den USA und ein Konsens innerhalb der herrschenden Klasse. Außerdem habe man Correa nicht einmal das Telefon abgenommen, und er habe im Militärhospital diverse Besucher empfangen, was nicht für eine ernsthafte Entführung spreche. Während die Rechte diese These aus politischem Interesse unterfüttert, tun es die entsprechenden Teile der Linken aus Ressentiment gegenüber dem Präsidenten und aus Enttäuschung darüber, dass ihr politisches Projekt zwar anfangs von Alianza País übernommen, inzwischen aber größtenteils enteignet wurde. Hinzu kommt, dass Ecuador wenig Erfahrung mit Militärdiktaturen hat, sondern eine im lateinamerikanischen Vergleich erstaunlich friedfertige Geschichte, und es manchen Akteuren offenbar schwer fällt sich vorzustellen, was ein Sieg der Putschisten am vergangenen Donnerstag für das Land und gerade für die Linke bedeutet hätte.
Am wahrscheinlichsten ist die These, dass es in Ecuador selbstverständlich politische Kräfte gibt, die an einem Staatsstreich interessiert sind und auch daran arbeiten – mit Unterstützung reaktionärer Kräfte aus dem Ausland. Dass aber der 30. September kein Tag war, an dem bereits ein fertiges Drehbuch für einen Putsch umgesetzt wurde, sondern tatsächlich spontane Proteste des öffentlichen Dienstes am Vormittag langsam übergingen in einen politisch motivierten Aufstand der Polizei unter dem selben Vorwand, der aber bereits mit Flugblättern angeheizt wurde, und schließlich, nachdem der Präsident in der Kaserne aufgetaucht war und sich quasi in der Gewalt der Aufständischen befand, die an seinem Sturz interessierten Kräfte alles getan haben, um das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Doch spricht der chaotische Verlauf der Dinge am Nachmittag und Abend und die schwankende Haltung der Streitkräfte eher gegen einen fertigen Plan.
Stärkung des Präsidenten – Schwächung der Regierung
Obwohl Präsident Correas Popularität sprunghaft gestiegen ist – was auch als Verurteilung des Putschversuchs gelesen werden kann -, geht die Regierung als Ganzes geschwächt aus den Ereignissen vom 30. September hervor. Der Tag hat deutlich gezeigt, wie stark sich alle Entscheidungsgewalt auf den Präsidenten konzentriert und wie handlungsunfähig Parlament, Kabinett, Partei und Staatsapparat ohne diese Führungsfigur sind. Das heißt, der 30. September diente als Bestätigung der These der rechtsextremen Opposition, dass man in Ecuador nur den Präsidenten zu beseitigen braucht, um den gesamten Transformationsprozess zu stoppen. Manche Kommentatoren sagen sogar, am 30. September war die Zeit nicht reif für einen Staatsstreich, aber nach diesem Tag seien die Bedingungen gegeben. Hinzu kommt, dass das Militär, welches am 30. September keineswegs eindeutig zur Regierung stand, sondern sich erst nach stundenlangem Zögern, morgendlicher Befehlsverweigerung in einigen Kasernen und Verhandlungen mit Verteidigungsminister Javier Ponce schließlich hinter Correa stellte, nun auch dessen persönliche Sicherheit und die des Parlaments verantwortet – eine Konstruktion ohne grosse Alternativen, die aber zumindest riskant erscheinen kann.
Im Gegensatz zu manchen internationalen Darstellungen erscheint im Land selbst auch die massive Mobilisierung der EcuadorianerInnen zugunsten der Demokratie in anderem Licht: Auf der Straße waren in Quito ca. 20.000 Leute, verteilt auf verschiedene Orte. Allerdings hatten viele staatliche Institutionen zugemacht und ihre Angestellten angewiesen, demonstrieren zu gehen. Andere wurden von den Munizipien in Bussen aus den ländlichen Gebieten in die Hauptstadt gebracht. Die meisten Demonstranten waren Angehörige der städtischen Mittelschicht, die sich am ehesten durch die Regierung repräsentiert fühlen. Diejenigen Organisationen jedoch, die aufgrund ihrer Mobilisierungsfähigkeit historisch bekannt sind, haben am 30. September nicht zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen, sondern verharrten eher in einer Art zweifelnder Starre.
Bürgerrevolution ohne Bürger?
Dieser Umstand ist mehr als Besorgnis erregend. Er zeigt, dass die Massenorganisationen der Linken sich nicht mehr als Teil des Transformationsprozesses fühlen, ja, dass sie nicht einmal geschlossen bereit sind, die Verfassung von 2008 als ihre historische Errungenschaft zu verteidigen. Er zeigt auch, wie tief die Gräben innerhalb der Rest-Linken in der Regierung und der außerparlamentarischen Linken mittlerweile sind. In diesem Sinne hat der 30. September der Regierung Correa die Rechnung für ihre politischen Fehler präsentiert. Die Bürgerrevolution hat sich immer mehr zu einem Reformprozess ohne Bürger verwandelt, in dem der Autoritarismus und der Personenkult regieren. Während die Regierung gegenüber Banken, wirtschaftlichen Oligopolen und Militärs bereits in der Vergangenheit trotz linker Rhetorik große Kompromissbereitschaft gezeigt hat und deren Besitzkonzentration und Privilegien unangetastet gelassen hat, hat sie sich von ihrer eigentlichen sozialen Basis, die in den 90er Jahren und bis 2006 mit ihren Mobilisierungen den Weg für den Wandel bereitet hatte, immer weiter entfernt, bis hin zur offenen politischen Verfolgung, wie im Fall der fadenscheinigen Terrorismusvorwürfe gegen indigene Anführer.
Die Transformation findet in Ecuador von oben statt und so, wie Rafael Correa es entscheidet. Er war in den letzten Monaten der wichtigste Gesetzgeber, der geradezu exzessiv von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht hat. Er hat die Geschicke der Justiz in einer Reihe von Fällen bestimmt. Viele kritische, autonome Köpfe, die die Bewegung Alianza País mit begründet haben, wurden mittlerweile aus ihren Ämtern entfernt zugunsten von Menschen, die in erster Linie loyale Gefolgsleute des Präsidenten sind. Die Armutsbekämpfungsperspektive der Regierung ist assistenzialistisch und nicht emanzipatorisch – womit nicht gesagt werden soll, dass die erhöhten Sozialleistungen nicht erhebliche positive Auswirkungen auf das Leben der Begünstigten haben. Doch bleibt die politische Kultur, die Alianza País befördert, vertikal und patriarchal, es existiert nicht einmal der Versuch, Hegemonie von unten im Dialog mit der organisierten, fortschrittlichen Gesellschaft aufzubauen. Es gibt keine plurale Debatte über die Ausrichtung des Transformationsprozesses, über die Inhalte des Sozialismus des 21. Jahrhunderts, darüber, wie der übernommene Staatsapparat reformiert werden sollte. Ja, es gibt nicht einmal große Bemühungen, der aufgeklärten Öffentlichkeit, die oft willkürlich erscheinenden Entscheidungen des Präsidenten zu vermitteln – ein Stil, der im Fall des Gesetzes zum öffentlichen Dienst, dessen präsidentschaftliches Veto – also die Änderungsvorschläge des Staatsoberhaupts – am 29. September vom Parlament durchgestimmt wurde, böse zurückgeschlagen hat.
Ecuador leidet in den letzten Jahren unter einem manifesten Defizit an Demokratie. Daher kommt der – politisch völlig verfehlte – Reflex vieler Linker, am 30. September zu fragen: «Welche Demokratie sollen wir denn verteidigen, wenn es
hier keine Demokratie mehr gibt?» Auch die Mahnungen von Außenminister Patiño zwei Tage nach dem Putschversuch, der Präsident müsse sich wieder mehr dem Dialog mit den linken Organisationen zuwenden, scheinen leider bisher nicht auf allzu großes Interesse gestoßen zu sein. Insofern ist die Tatsache, dass in den Umfragen die hohe Zustimmung zu Correa mit der Forderung nach einem Kurswechsel verschmilzt, genau wörtlich zu nehmen: Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass Rafael Correa seit Jahrzehnten der ecuadorianische Präsident ist, der am meisten politisches Potential für einen Wandel mitbringt und den fortschrittlichsten Diskurs hat. Sozialistisch ist seine Regierung dennoch nicht zu nennen – und es ist umso dringender, dass sie ihre Fehler erkennt und den Aufbau der neuen Gesellschaft gemeinsam mit den historisch legitimierten gesellschaftlichen Akteuren in Angriff nimmt. Dies würde auch politisch wesentlich radikalere Reformen gegen die traditionellen Machtgruppen im Land durchsetzbar machen.
In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auf den aktuellen Zustand der ecuadorianischen Linken einzugehen. War diese aufgrund der «Enteignung» des Transformationsprozesses durch eine autoritär agierende, aber gleichzeitig sehr populäre Regierung ohnehin schon geschwächt, so durchzieht sie jetzt eine unüberwindbar erscheinende und deprimierende Spaltung entlang der Frage: War es richtig, die Demokratie gegen die Rechte zu verteidigen, oder hätte man den Tag nutzen müssen, um den Tyrannen zu verjagen? Diese tiefe Polarisierung mag aus dem Ausland zwar grotesk erscheinen, sie ist aber tatsächlich ein tragisches Resultat des 30. September. War es noch Anfang dieses Jahres denkbar, dass Gewerkschafter, Studenten und Indigene die Regierung Correa durch gemeinsame Proteste an den Verhandlungstisch zwingen, so sind mittlerweile alle diese Kräfte jeweils von diesem Riss durchzogen, und an ein gemeinsames Handeln ist nicht zu denken. Derzeit finden sich eher zaghaft Gruppen von Gleichgesinnten zusammen, um die Lage zu erfassen. Und die Repression gegen diejenigen Linken, die am 30. September mit zum Sturz der Regierung aufgerufen haben, rollt gerade erst an.
In diesem Sinn ist in Ecuador nach dem 30. September politisch absolut alles möglich. Umso notwendiger ist es, dass InternationalistInnen wachsam bleiben und den Transformationsprozess weiter verteidigen. Im Sinne der kritischen Solidarität darf der Transformationsprozess Ecuadors aber nicht mit der Regierung von Rafael Correa gleichgesetzt werden. Gleichzeitig muss auch klar sein, dass eine Alternative zu ihm nicht in Sicht ist – jeder politische Wechsel wäre derzeit ein riesiger Rückschritt in die «lange neoliberale Nacht» oder in quasi-feudale Verhältnisse.
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Miriam Lang leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der Andenregion. Es wurde im Juni 2010 in Quito/Ecuador eröffnet und koordiniert die Arbeit in Ecuador, Bolivien, Venezuela und Kolumbien.
Der Beitrag erschien bereits in Standpunkte International 23/2010 der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Veröffentlichung des Artikels mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.
Bildquelle: Presidencia de la República del Ecuador
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Den Artikel von Miriam Lang finde ich hervorragend! Vor allem auch, daß sie herausstellt, wie gefährlich eine reine schwarz/weiß-Darstellung gerade auch für die Linke und die Arbeiterbewegung selbst ist!
Ich habe Quetzal und damit auch Standpunkte International erst durch einen Link von salsaplus.de auf diesen Artikel kennengelernt. Vielen Dank an alle drei!
Hermann v.Stosch
HvS273@yahoo.de