Der Künstler erblickte 1952 in Offenbach am Main das Licht der Welt. Niemand konnte ahnen, dass aus dem Volksschüler, der nach dem Abitur 1972 das Studium der Rechtswissenschaft, der Soziologie und der Psychologie aufnahm und 1978 sein erstes und 1981 sein zweites juristisches Staatsexamen jeweils mit Prädikatsnote beendete und der lange als erfolgreicher Rechtsanwalt arbeitete, in einer Art zweitem Leben ein Maler und digitaler Künstler werden sollte, der zwischen zwei Welten pendelt. Ob es 1982 der Besuch der Documenta 7 war, wo er bei mehreren Diskussionsrunden auf den Künstler Joseph Beuys traf, wissen wir nicht. Was wir wissen ist, dass er 2013 seine Anwaltpraxis aufgab, um sich ganz künstlerischen Tätigkeiten widmen zu können. Nach einem längeren Aufenthalt im Jahr 2014 packte ihn ein Fieber namens „Mittelamerika“, wo er die Kunstszene kennenlernte und selber künstlerisch aktiv wurde. Zurück in Deutschland begann er 2014 ein Kunststudium an der Hochschule der bildendem Künste Essen (HBK) mit dem Schwerpunkt Malerei/Grafik, das er 2019 mit dem Examen als „Bachelor of Fine Arts“ abschloss. Seitdem pendelt der Künstler zwischen den Welten Lateinamerikas und Europa. Zuletzt war er 2021 während der Präsidentenwahlen in Nicaragua und hatte Kunstausstellungen in Costa Rica. Weil Innenräume wegen der Pandemie kurzfristig gesperrt wurden, wich er mit Genehmigung der zuständigen Stadtverwaltung auf den Hauptmarkt, den Zentralplatz und verschiedene Hotels als Ausstellungsflächen aus. Ich treffe Cho zu einem Gespräch in der ROTTEN ART FACTORY, ein riesiges Gebäude in Duisburg Meiderich, in dem mehrere Künstler auf 600 Quadratmetern ihre Werke erschaffen.
Cho, einer deiner Leitsätze ist „Was du tust, das tue richtig.“ Du hast in der Zeit von 1972 bis 78 sieben Studien angefangen, aber nur eines abgeschlossen. Wie passt das zusammen?
–Man kann etwas gut machen und trotzdem zum gegebenen Zeitpunkt abbrechen, weil sich die Ziele verschieben. Auch die Tauben kreisen mehrfach um einen Punkt, bevor sie sich niederlassen. Dann kennen Sie das Terrain und wissen, worauf sie sich einlassen.
Du hast in den 1980ern den Künstler Joseph Beuys persönlich kennengelernt. Wie kam es dazu und was war dein persönlicher Eindruck von Beuys?
–Joseph Beuys habe ich sogar schon bei der documenta 1972 kennengelernt. Zur documenta bin ich gefahren, weil dies ein künstlerisches und politisches Ereignis erster Güte war. Die Gesellschaft flirrte damals geradezu von Interesse an Kunst und Politik. Man witterte den Aufbruch an allen Ecken und ich wollte in der vordersten Front dabei sein. Beuys war jeden Tag bei der documenta anwesend und man konnte stets mit ihm diskutieren. Er war ein faszinierender Mensch, eine Mischung aus Altruismus und Egoismus. Vielleicht wäre Egozentrik das bessere Wort. Er war ein genialer Selbstdarsteller und Vermarkter, zugleich aber opferte er sich für seine Ideen und die Aufklärung des Publikums bis zur letzten Faser auf.
Konntest du persönlich mit Beuys sprechen, gab es einen Gedankenaustausch?
–Ich sprach mit ihm damals über meine Zuneigung zur Kunst und meine Pläne zur Berufswahl. Er sagte mir damals einen Satz, den ich nie von ihm erwartet hätte, mir aber bis heute gemerkt habe: „Farbkleckser haben wir schon genug, werd‘ mal ein ordentlicher Rechtsanwalt“. Er hatte eine ziemliche Abneigung gegen Leute, die Kunst als l’art pour l’art betrieben haben. Er wollte gesellschaftspolitische Bewegungen anstoßen und sah die Kunst als ein Vehikel dafür an. Besonders die direkte Demokratie und die Volksabstimmung lag ihm am Herzen. Über dieses Thema habe ich dann später meine juristische Doktorarbeit geschrieben. Ich habe in den 80er Jahren die Initiative Demokratie entwickeln (IDEE) mit gegründet, die heute „mehr Demokratie e.v.“ heißt.
Sind die Lebenswege und Denkweisen von Rechtsanwalt und Maler nicht extrem unterschiedlich, schließt sich das nicht aus?
–Die Tätigkeiten als Rechtsanwalt und als Maler sind gar nicht so unterschiedlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Der Maler malt Gefühle in das Auge des Betrachters, der Rechtsanwalt malt das Bild der Gerechtigkeit in das Herz der Richter. In beiden Fällen muss man sich in jemand anderes hineinversetzen können.
2013 durchlebtest du eine schwere Krise. Das war der Anfang vom Ende deines alten Lebens. Es zog dich zur Kunst und nach Lateinamerika. Was war passiert?
–Die zeitliche Begrenzung unseres Lebens trat durch den Tod eines mir sehr lieben Menschen in mein Bewusstsein. Ich merkte, dass ich nun -ohne Rücksicht auf Verluste- das tun muss, was meinem Leben Sinn gibt und meine innere Berufung ist.
Was bedeutet dir deine Kunst? Ist es existenziell, ist es Erfüllung oder ist es Teil neben vielen anderen Dingen die du tust?
–Die Kunst hatte meines Erachtens zwei Aufgaben: Freude am Leben und an der Welt zu verbreiten, die Menschen zum genaue Hinschauen zu ermuntern und Gedanken über die Zeit, in wir leben, anzustoßen. Ab 2014 habe ich mich zum Diener dieser Aufgabe gemacht. Vielleicht sollte ich besser sagen: zum Sklaven dieser selbst gesetzten Aufgabe, denn vieles daneben gibt es nicht mehr in meinem Leben. Immerhin tut mir diese Sklaverei auch gut, denn sie zwingt mich auch im fortgeschrittenen Alter, früh aufzustehen, meine To-Do-Liste abzuarbeiten und kreative Lösungen zu entwickeln, die das Gehirn fit halten. In diesem Sinne ist die Kunst für mich Beruf, Berufung und Hobby zugleich.
Du hast Kunst studiert. Kann man Malen überhaupt lernen, oder ist es eine Gabe?
–Lernen und Gabe sind kein Widerspruch. Stelle dir einen Geigenspieler vor. Er muss den Sinn für die Töne und die Verbindung zwischen den Händen und dem Gehirn als Gabe mitbringen. Aber zugleich muss er jeden Tag üben, um gut zu sein. Mit der Malerei ist es nicht anders. So lernt man an der Akademie und hinterher im praktischen Tun immer wieder aufs Neue, macht Erfahrungen, Fehlschläge, lernt daraus und verbessert sich. Bei Dichtern, wie bei dir Heinz, wird das nicht anders sein. An dem Tag, an dem wir aufhören zu lernen, beginnen wir zu sterben.
Du verwendest in deiner Kunst verschiedene Techniken. Unter anderem die der Hinterglasmalerei. Was ist das Besondere daran?
–Hinterglasmalerei galt lange als eine alte, etwas verstaubte Technik. Im digitalen Zeitalter bekommt sie eine neue Bedeutung, da die Menschen daran gewohnt sind, täglich Handybildschirme, Touchscreens und Public Viewing zu erleben. Das Bild hinter der glatten Oberfläche ist uns daher sehr vertraut. Die Hinterglasmalerei ist auch eine Form der ephemeren Kunst, also flüchtig und vorübergehend. Das Bild hängt noch mehr als das Leinwandbild vom einfallenden Licht und seinem Winkel ab. In jedem Licht und in jedem Betrachtungswinkel ist es ein anderes Bild, etwa wegen der Spiegelungen. So gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Darüber hinaus ermöglicht die Hinterglasmalerei besonders intensive Farben, da die Farbe völlig glatt auf dem Bildträger liegt.
Was bedeutet Lateinamerika für dich?
–Ein weiser alter Mann sagte mir mal, dass Lateinamerika immer noch geprägt ist durch die Zeit der Conquista vor 500 Jahren. Das ist absolut richtig, denn ein solches historisches Erdbeben wirkt mindestens 1000 Jahre oder mehr. Der Mut, der Aufbruch in eine unbekannte Ferne, das Erdulden widriger Umstände, das Laster, das Verbrechen, die Unstetigkeit, der Verrat, aber auch Begeisterung, Leidenschaft und Begehren… all das glüht von 1492 bis heute nach. Diese Bezüge sprengen die Erfahrung eines einzelnen Menschenlebens, aber sie sind real.
Kannst du mir drei Dinge nennen, die dich an Lateinamerika besonders faszinieren?
–Ich nenne da an erster Stelle die gewaltige Natur, schön und gefährlich, in fast allen Ländern Südamerikas noch nicht so vom Menschen gezähmt wie in Europa. Noch gibt es sie, die großen Urwälder, die gewaltigen Seen und Flüsse, Vögel, aber auch Schlangen, Würmer und Insekten, die dich umbringen können. Und Termiten, die Häuser, Möbel und alle Spuren der Menschen in nichts als Staub auflösen. Sogar die Erde selbst ist in Lateinamerika gewaltig und gewalttätig. Diese Dialektik habe ich etwa in meiner Geschichte über Erdbeben angesprochen. All das werde ich in der Ausstellung „An den Grenzen des Anthropozän“ ansprechen, die am 20. Mai in der Cubus Kunsthalle eröffnet wird und bis zum August dauert.
Als zweites nenne ich die starken Gefühle, zu denen die Menschen dort in der Lage sind. In Europa leben wir sehr geordnet, mental kontrolliert und lassen zu, dass das Leben ziemlich nüchtern und oft ohne Höhepunkte an uns vorüber zieht. Wie die Natur sind auch die starken Gefühle janusgesichtig, sie können wunderbar und zerstörerisch sein. Es gibt nichts, was nur gut oder nur schlecht ist. Wir müssen wieder lernen, im hegelschen Sinne dialektisch zu denken, Widersprüche auszuhalten.
Das dritte Doppelgesicht, dass mich in Lateinamerika fasziniert, ist das Verhältnis zum Tod. Es wird anders gestorben, schnell und mit intensivem Abschied. Es gibt auch nicht so viel Angst vor dem Tod wie bei uns, er ist sozusagen normal, immer dabei. Die negativen Seite davon sind nicht nur die Morde, sondern z.b. auch eine unglaubliche Fahrlässigkeit im Straßenverkehr. Die schöne Seite dieser Lebenshaltung ist, dass man jeden einzelnen Tag als Geschenk annimmt. Es ist beeindruckend, wenn in Lateinamerika neben dir jemand aufwacht, der Gott für den neuen Tag dankt. Dafür muss man nicht religiös sein. Es reicht einfach zu verstehen, dass wir als lebendes Wesen unglaubliche Chancen haben, die etwa Steinen und Bäumen fehlen.
Wie entwickelt sich bei dir der Prozess der Malerei? Ist es ein Gefühl, ein Gedanke, oder sind es die Ereignisse der Welt die dich in der Kunst steuern?
–Der Anstoß einem Kunstwerk kann aus vielen Bereichen kommen: ein gesehenes Bild, ein Erlebnis, eine Erkenntnis, ein Glücksgefühl, ein Gedanke. Darum haben meine Kunstwerke auf viele Themen und Formen. Ich mag mich nicht darauf festlegen, ein Thema und nur eine Technik zu benutzen. Andere mögen das als Nachteil empfinden, aber ich sehe es als Vorteil. In der Wirtschaft würde man sagen, dass ich mehrere Produktlinien habe und somit diversifiziert bin. Aber die Hinterglasmalerei ist schon der Punkt, mit dem ich mich am besten ausdrücken kann.
Vor kurzem las ich einen kleinen Artikel aus Costa-Rica von dir. Er erinnerte mich sehr an die Depechen von Hemingway. Nur viel emotionaler. Der Stierkampf in Costa Rica. Sofort kamen mir die Grausamkeiten der Stierkämpfe Spaniens in den Sinn. Aber da lag ich falsch, oder?
–Der Vergleich mit Hemingway gefällt mir nicht, da ich mich nie mit einer Größe der Literatur vergleichen würde. Mich interessiert mehr die Gemeinsamkeit von Literatur und Malerei: bei beiden Formen der Kunst muss man genau hinschauen. Und der Stierkampf in Costa Rica fasziniert mich in der Tat, welch sich hier Opfer und Täter umdrehen. Nicht der Stier, sondern der Mensch ist dort in Gefahr. Und die ganze Atmosphäre ist heiter, nicht blutrünstig.
Einige deiner Kunstausstellungen wurden in Deutschland durch Corona abgesagt. In Costa-Rica konntest du deine Werke aber präsentieren. Sind und waren die Auflagen in Lateinamerika nicht so streng wie hier?
–Ich habe im 2019 mein Studium abgeschlossen. 2020 wurden aber mehrere Ausstellungen abgesagt, an denen ich teilnehmen sollte. Also versuchte ich mein Glück in Lateinamerika, weil ich hörte, dass dort die Kunstausstellungen noch offen sind. Ich malte darum in Costa Rica sehr viel. Als ich mit deiner ganzen Serie fertig war, fiel dort aber auch der Corona Hammer, Ausstellungen in geschlossenen Räumen wurden verboten. Also bin ich auf den Lebensmittelmarkt und den zentralen Kirchplatz einer Provinzhauptstadt ausgewichen. Dort und in verschiedenen Hotelanlagen konnte ich meine Bilder im Freien präsentieren. Das gab wunderbare Gespräche, aber die Reichweite war natürlich geringer. So hat mich die Pandemie als Künstler übel erwischt. Aber es gibt ja Leute, denen es schlimmer geht, darum will ich nicht klagen!
Du bist zur Zeit in der Rotten Art Factory in Duisburg Meiderich. Sind demnächst Ausstellungen deiner Werke in Nordrhein Westfalen geplant?
–In der Cubus Kunsthalle in Duisburg (Gegenüber vom Lehmbruck Museum) wird am 20.Mai 2022 eine Ausstellung mit dem Titel „An den Grenzen des Anthropozän“ eröffnet, an der ich maßgeblich mitwirken darf. Mit mir wird man den Multi-Media-Künstler Stefan Becker-Schmitz und die Performancekünstlerin Scarlett Schauerte erleben dürfen… So Gott will, würde man in Südamerika hinzusetzen… Ich hoffe, es kommt uns nicht wieder eine Krise dazwischen…
Wenn du die Chance bekommen würdest, nochmal ganz von Vorne anfangen zu dürfen. Was würde Henning Obst anders machen wollen? Gäbe es überhaupt den Künstler Cho Arte?
–Ich würde alles genauso noch einmal machen. Leute die nachträglich an ihrem Leben herumjammern sind mir suspekt. Eine Ausnahme mache ich vielleicht im Liebesleben, da wäre etwas mehr Konstanz wahrscheinlich gut gewesen… aber man lebt das Leben ja immer vorwärts und versteht es nur rückwärts.
Wo fühlst du so etwas wie Heimat ? Was bedeutet dir Heimat? Ist die in Lateinamerika oder Deutschland?
–Heimat ist da, wo man vertraut ist. Dieses Gefühl kann sich unter den Weidenbäumen des Niederrheins genauso einstellen wie dann, wenn ich in Nicaragua einen Bauern nach dem nächsten Vulkan frage.
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Bildquellen: [1-5] Cho_Arte