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Las Posadas sin Fronteras – Rituale an der Grenze zwischen Mexiko und den USA

Klara Weise | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Der Friendship Park bzw. Parque de la Amsitad, der sowohl zu einem Teil an der kalifornischen Pazifikküste, als auch zu einem Teil in Tijuana gelegen ist, gilt schon seit vielen Jahren als ein Ort der Hoffnung. Seit dem Ende des Krieges zwischen den USA und Mexiko dient dieser Park als Versammlungsort und Treffpunkt für Menschen von beiden Seiten der Grenze. Für diejenigen, denen es nicht möglich ist die Grenze zu überqueren, bietet der Park die Möglichkeit, Familienangehörigen und Freunden auf der anderen Seite des Grenzzauns gegenüberzustehen. Kennenlernen und Wiedersehen sind allerdings nicht die einzigen Anlässe, zu denen Menschen von beiden Seiten den Park aufsuchen. Neben dem binationalen Garten, der auf beiden Seiten gemeinschaftlich gepflegt wird, führt die sogenannte Border Church / iglesia fronteriza jeden Sonntag ein Fest durch, um die Gemeinschaft der beiden Nationen zu zelebrieren. Dabei kommen nicht nur die Gläubigen von beiden Seiten der Grenze zusammen, durch die live Übertragung des Gottesdienstes per Facebook wird buchstäblich die gesamte Welt eingeladen, daran teilzuhaben. Schließlich finden auch jährlich, seit nun fast 30 Jahren, im Dezember Menschen zu den Feierlichkeiten der Posada sin Fronteras (Gasthaus ohne Grenzen) an der Grenze zusammen. Die Durchführung dieser Aktivitäten wurde allerdings für die Menschen auf der US-amerikanischen Seite, besonders in den letzten 15 Jahren, durch den Ausbau der Grenzanlagen stark erschwert. Durch mehrere dichtere Grenzzäune wurde die Sicht auf die andere Seite der Grenze sehr eingeschränkt und Berührungen zwischen Personen auf beiden Seiten der Grenze somit verhindert.

Die deutsche Ethnologin Theresa Elze, veröffentlichte 2014 ihre Doktorarbeit Die gefeierte Linie. Rituale und Komplizenschaft an der US-mexikanischen Grenze, zu Gemeinschaften und Statusunterschieden an der Staatsgrenze und wie diese in Ritualen verhandelt werden. Im Rahmen ihrer Feldforschung im urbanen Grenzsektor zwischen San Diego und Tijuana nahm sie unter anderem zweimal an der Posada sin Fronteras teil und ermöglicht somit einen tieferen Einblick in den Ablauf der Feste der Jahre 2010 und 2012. Die Verschärfung der Grenzsicherung und die Auswirkungen auf die Veranstaltungen konnte sie in beiden Jahren beobachten.

Bei den Posadas sin Fronteras handelt es sich um eine abgewandelte Form der Posadas, beliebte mehrtägige Weihnachtsfeste, die in der Vorweihnachtszeit ab dem 16. Dezember in den Amerikas gefeiert werden. Während den traditionellen Feierlichkeiten wird die Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums inszeniert, die von der Herbergssuche Marias und Josefs auf ihrem Weg von Nazareth nach Betlehem erzählt. Neun Tage lang werden von Darstellern, die Maria und Josef verkörpern mehrere Haushalte aufgesucht, die dabei singend um eine Herberge bitten (Pedir Posada). Anschließend wird mit Musik, Getränken und Speisen gefeiert (González, 2019).
Die Posadas sin Fronteras stellen ebenfalls eine Inszenierung dieser Weihnachtsgeschichte dar und auch hier nimmt das Ritual der Pedir Posada eine zentrale Rolle ein. Allerdings steht vor allem das Motiv der Abweisung im Vordergrund. Der Handlungsort, geteilt durch die Grenze am Faro de las Playas auf der Seite Mexikos und im Friendship Park auf der Seite der USA und die zentralen Thematiken wie die Teilung durch die Grenze und Migration sind grundlegende Unterschiede zu den traditionellen Posadas. Dennoch begründet sich das Fest in der Geschichte des Lukasevangeliums und konzentriert sich dadurch auch auf die Interpretation der Geschichte, die von Abweisung und Gastfreundschaft erzählt (Elze, 2014). Die Teilnehmer feiern nicht nur gemeinsam ein Weihnachtsfest, sondern auch die Freundschaft zwischen zwei Nationen. Gemeinsam verarbeiten sie das Dilemma, durch die Grenze von ihren Familien und Freunden getrennt zu sein. Die Posadas sin Fronteras gelten als ein Ausdruck der Hoffnung, dass sich die Grenzsituation verbessern wird, mit dem Ziel eine „Kultur der Versöhnung und Solidarität zu fördern“ (Border Church 2019).

Mexiko_Bild_Quetzal-Redaktion_tzDie Unterschiede der zwei, von Elze besuchten Feste, lagen vor allem an den veränderten Gegebenheiten an der Grenze. Im Jahr 2010 wurde der zweite Grenzzaun gebaut, weshalb der zeitliche Rahmen für die Teilnehmer auf der US-amerikanischen Seite stark eingegrenzt wurde. Außerdem wurde die Teilnehmerzahl eingeschränkt, weshalb die Anwesenden in zwei Gruppen geteilt wurden, die jeweils 30 Minuten Zeit im Korridor zwischen den beiden Grenzzäunen verbringen konnten. Daher war es beiden Gruppen lediglich möglich, nur einen bestimmten Teil der Veranstaltung zu besuchen. Im Jahr 2012 waren die Baumaßnahmen beendet und alle Besucher konnten für die komplette Dauer der Posada sin Fronteras den Korridor zwischen den beiden Grenzzäunen betreten. Allerdings war nun die Grenze so umgebaut, dass man sich durch den dichten Zaun nicht mehr die Hände zur Begrüßung geben konnte und auch die Sicht erheblich eingeschränkt war (Elze: 2014).
Der Ablauf der Posada Sin Fronteras blieb in beiden Jahren dennoch ähnlich. Beide Male wurde während der Veranstaltung mehrmals gebetet und gesungen und sie war in einen ersten Teil der Ansprachen und einem anschließenden rituellen Part der Kollaboration eingeteilt. Mary Galván, eine der Organisatoren eröffnet beide Male die Posada sin Fronteras und begrüßt die Gemeinschaft. Der erste Teil der Veranstaltung besteht darin, dass die Organisatoren und Glaubensvertreter auf den beiden Seiten der Grenzen Reden halten, um die Präsenz der Grenze in der religiösen Landschaft zu verdeutlichen. Die Anwesenheit und der Einfluss der Border Patrol auf die Veranstaltung wird ebenfalls besprochen. Die Weihnachtsgeschichte von Maria und Josef wird in Verbindung mit der Situation der Migranten gebracht, die von ihren Familien getrennt wurden und im Rahmen des Festes wieder vereint werden. Die Reden verdeutlichen, dass man sich als Gemeinschaft für die Rechte der Migranten einsetzt und dass die Posada einen Ausdruck der Hoffnung darstellt, dass in Zukunft die Grenze verschwinden möge (ebd.).
Daran anschließend beschreibt Elze (2014) den nächsten Teil der Veranstaltung. Der rituelle Teil der Posada sin Fronteras besteht in beiden Jahren aus der Pedir Posada und den persönlichen Berichten von Migranten. Im Gegensatz zur Veranstaltung von 2010 bleibt 2012 genug Zeit für weitere Rituale. So führen die Teilnehmer im Anschluss an die Reden gemeinsam ein Trauerritual durch. Indem die Anwesenden mit bunten Farben die Namen (oder Bezeichnung wie mamá, amigo, hermana oder auch identificado) der Verstorbenen auf braune Tüten schreiben und diese gemeinsam laut vorlesen, geben sie jedem Verstorbenen, der beim Grenzübergang verunglückte, eine Stimme. Anschließend rufen alle zusammen dreimal hintereinander: ¡Presente!. Dem folgt nun der nächste wesentliche Teil der Posada sin Fronteras, die persönlichen und oft sehr emotionalen Berichte von Migranten auf beiden Seiten der Grenze. Dabei handelt es sich oft um Zeugnisse von Migrantinnen, in denen sie häufig ihre Rolle als Mutter innerhalb der Grenzsituation verhandeln. So erzählt zum Beispiel Irma Mora, dass sie aufgrund fehlenden Führerscheins deportiert wurde und nun getrennt von ihren Kindern leben muss. Vor allem die Trennung von ihrer autistischen Tochter mache ihr sehr zu schaffen. Für Irma stellen die Posadas sin Fronteras eine Beruhigung und einen Ausdruck der Hoffnung dar, bald wieder mit ihrer Tochter vereint zu sein. Viele Teilnehmer trauern, beten und weinen mit den Sprecherinnen und so endet dieser Teil in einem kollektiven Trauern der Festgemeinschaft (ebd.).
Daraufhin fordert Mary Galván die Anwesenden dazu auf, die Erzählungen der Migranten nach außen zu tragen und zu teilen. Im Jahr 2012 endet die Posada sin Fronteras mit der gemeinsamen Durchführung der Pedir Posada (um eine Herberge bitten). Getrennt durch die Grenze verkörpern die Teilnehmer auf der mexikanischen Seite die Abgewiesenen, Maria und Josef (hier die sogenannten indocumentadas/os), und die Abweisenden (documentadas/os) werden durch die Personen auf der US-amerikanischen Seite dargestellt. Zunächst singen beide Seiten ihren jeweiligen Part getrennt, danach singt die Gemeinschaft jedoch den Refrain zusammen. Der begrenzte Zugang auf US-amerikanischer Seite wird wieder darin deutlich, dass die Posada sin Fronteras hier zuerst endet. Die Besucher müssen den Korridor mit Ende der Veranstaltung direkt verlassen. Auf der Seite Mexikos werden im Gegensatz dazu noch Getränke und Speisen ausgeteilt und die Teilnehmer feiern noch bis in die späten Abendstunden, nun eher im traditionellen Sinne einer Posada (ebd.).

Auch in den letzten Jahren war der Zugang zum Grenzzaun von US-amerikanischer Seite nur beschränkt möglich. Seit 2020 ist der Friendship Park sogar komplett für die Öffentlichkeit geschlossen. Allerdings fand in diesem Jahr die Posada sin Fronteras aufgrund der Covid-19 Pandemie online statt. Auch im letzten Jahr blieb die in den USA gelegene Seite des Parks leer. Geplanter Veranstaltungsort war der Border Field State Park, der auf der US-Seite den Friendship Park umgibt. Aufgrund starker Regenfälle war auch dieser Park gesperrt und die Veranstaltung wurde auf der US-Seite auf den knapp drei Kilometer entfernten Tijuana River Valley Campground verlegt. Die Posada sin Fronteras 2021 fand deshalb in Form von zwei getrennten Veranstaltungen statt, die dennoch auf beiden Seiten parallel zueinander verliefen. Im Mai 2022 wurden Baumaßnahmen zur Sanierung und Ausbau der Grenzmauern im Gebiet des Friendship Parks genehmigt. Der Zoll- und Grenzschutzbehörde der USA (CBP) zu Folge seien diese Maßnahmen notwendig, um Leben und Sicherheit zu schützen (CBP, 2022). Dagegen protestierten die Interessensvertreter vor Ort, woraufhin die Behörde die Baumaßnahmen seit August pausiert, um den Dialog zwischen den Interessenvertretern des Parks und der CBP zu ermöglichen. Die Zoll- und Grenzschutzbehörde der USA hat bisher lediglich öffentlich bekanntgegeben, dass man den Park für die Öffentlichkeit mindestens zwei Tage pro Monat öffnen wolle, nachdem die Baumaßnahmen abgeschlossen sind (CBP, 2022). Friends of Friendship Park bewerten dies allerdings als alles andere als ausreichend für die verschiedenen Veranstaltungen und Aktivitäten der Grenzgemeinschaft. Auf einer von der Gemeinschaft organisierten Konferenz zur Besprechung der Zukunft des Parks zwischen CBP-Beamten und Interessenvertretern wurden verschiedene Anliegen und Vorschläge für die zukünftige Gestaltung des Parks geteilt. Besonders die Höhe der zukünftigen Mauer und die Zugangsmöglichkeiten zu dem Park waren Hauptanliegen der Unterstützer, da diese Faktoren einen wesentlichen Einfluss auf die Nutzung des Parks darstellen. Letztendlich widerspricht der Ausbau der Grenze der Symbolik des Parks von Einheit und Freundschaft zwischen den USA und Mexiko (Friends of Friendship Park, 2022).
Eine Einigung zwischen den Interessenvertretern und der CBP gab es bisher noch nicht, womit die Zukunft des Parks ungewiss bleibt und damit auch die Zukunft der Durchführung der binationalen Veranstaltungen und Rituale.

 

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Literatur:

Elze, Theresa (2015). Die gefeierte Linie. Rituale und Komplizenschaft an der US-mexikanischen Grenze. Bielefeld, Deutschland: transcript Verlag

González, Karen (2019). The God Who Sees: Immigrants, the Bible, and the Journey to Belong. Harrisonburg: Herald Press

La Posada Sin Fronteras /// Posada Without Borders – Startseite | Facebook

https://www.friendshippark.org/

https://www.cbp.gov/newsroom/national-media-release/cbp-announces-temporary-pause-border-barrier-construction-near

https://www.cbp.gov/document/environmental-assessments/san-diego-sector-remediation-plan-documents

https://www.youtube.com/watch?v=i6lcDNR3nLQ

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