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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Hörtner, Werner: Kolumbien verstehen – Geschichte und Gegenwart eines zerrissenen Landes.

Lesedauer: 4 Minuten

Fahrrad Mekka und Tränen

Werner Hoertner - Kolumbien verstehen - Geschichte und Gegenwart eines zerrissenen LandesAls ich das Buch das erste Mal in der Hand hielt, habe ich gedacht, dass man wieder über die mit Blut verfasste Geschichte Kolumbiens schreibt. Doch schon am Anfang merkte ich: das stimmt nicht ganz. Zunächst zeichnet der Autor in einer geordneten Struktur die kolumbianische Sozial-, Kultur- und politische Geschichte nach. Man liest über den Kolonialismus, die Sklaverei, die Unabhängigkeit des kolumbianisches Volkes, die schwierige politische Entwicklung als Nation sowie die schon lang andauernde Problematik zwischen der Regierung, den Guerillas und den Paramilitärs, die heute noch grausame Konsequenzen für das Land und die Bevölkerung hat.

Der Autor beschreibt sowohl die staatlichen als auch die außerstaatlichen Akteure des bewaffneten Konflikts, der das kolumbianische Volk zerreißt. Er untersucht die FARC (Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), die ELN (Nationale Befreiungsarmee), die EPL (Volksbefreiungsarmee). Hörtner alarmiert die Weltgesellschaft und macht auf die Lage der Indígenas (Genozide) und die katastrophale Menschenrechtssituation aufmerksam. Er erzählt auch vom Problem des Drogenhandels, der Drogenmafia, der Paramilitarisierung des Staats – und der Verbindungen der Regierung zu den USA. Man darf nicht vergessen, dass Kolumbien für die USA eine sehr wichtige geopolitische Rolle spielt. Das zeigt sich zum Beispiel am Plan Colombia, der als „Friedensprojekt“ von der Pastrana-Regierung mit Hilfe der USA begonnen wurde.

Angesichts dieser Situation schildert der Autor, welche Alternativen das kolumbianische Volk besitzt: entweder im Land bleiben und irgendwie Möglichkeiten zum Überleben finden oder emigrieren. Die Menschen aber, die ins Ausland gehen, stellen in der Mehrheit bei einem Besuch ihrer (früheren) Heimat fest, dass sich die Lage nicht geändert hat.

Doch Werner Hörtner beleuchtet nicht nur die Kämpfe und Schattenseiten, sondern auch die optimistischen Ausblicke, zum Beispiel die Friedensinitiativen der verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft: Frauenverbände, die in Zusammenarbeit mit den Bauern eine wichtige Rolle spielen, kulturelle Organisationen und Intellektuelle.

Am Ende analysiert der Autor die Regierungszeit von Álvaro Uribe Vélez als Präsident, der mit absoluter Mehrheit gewählt wurde. Er schildert, welche Vor- und Nachteile das kolumbianische Volk durch ihn hat, welches seine Richtlinien für die Politik, Wirtschaft (das Freihandelsabkommen mit den USA im März 2006 machte Kolumbien zum zweitgrößten Markt für US-Agrarprodukte in Lateinamerika – vgl. S. 284), für die Sicherheit und für die anderen Sektoren sind, die er mit „starker Hand“ regiert. Man liest auch über seine wahrscheinliche Verbindung zum Medellín-Kartell (S. 246) und sein Verhältnis zu den Paramilitärs. Diese letzten Punkte mögen kontrovers sein oder nicht: Ich überlege trotzdem, ob Uribe in diesem Teil als kleiner „Teufel“ beschrieben werden soll. Auch an Stelle, an der der Autor schrieb: „Als ein weiteres Problem kann auch die große Stärke von Präsident Uribe betrachtet werden: seine autoritäre, populistische, sehr auf sich als Individuum bezogene Form der Machtausübung… Es ist fraglich, ob das Lateinamerika des 21. Jahrhunderts die Zeit für einen neuen Frühling des patriarchalischen Caudillo ist“ (S. 301). Und weiter: „Uribes gesellschafspolitische Visionen gehen in Richtung autoritärer korporativer Staat mit stärker Einbindung gremialer Interessenvertretungen, ähnlich dem italienischen Faschismus Mussolinis und dem österreichisches Ständestaat der 1930-Jahre.“ An diesen Sätzen kann man merken, welches Bild der Autor von Uribe hat. Es ist seine persönliche Meinung, die respektiert werden kann. Aber ich meine, dass es einen großen Unterschied zwischen Mussolini und Uribe gibt. Obwohl Uribe nicht mein idealer Kandidat ist, sollte man kann seine Schlußfolgerungen nicht aus Annahmen ziehen.

Kolumbien ist bestimmt schwer zu verstehen… und es ist paradox: Man liest seine Geschichte und man befindet sich zwischen Krieg und Leben, zwischen dem tagtäglichen Kampf gegen die Tragödie, die das Land belastet, und dem Leben, das seinen Ausdruck in verschiedenen Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen – wie den Fahrrad-Karnevals am Wochenende, Poesiefestivals, Promotion des Tourismus, etc. – findet. Man kann aber in diesem Buch auch über verschiedene Aspekte der kolumbianischen Kultur lesen und erhält viele nützliche Daten und Tipps, die vielleicht dem Leser hilfreich sind, dieses Land zu verstehen.

Alles in allem läßt sich sagen, dass dieses Buch denen ein nützlicher Ratgeber sein kann, die etwas über Kolumbien erfahren möchten. Insbesondere über seine politisch-soziologische Geschichte und auch seine kulturelle Vielfalt gibt es eine Menge an Informationen. Bei seinen politischen Analysen, vor allem der Epoche Uribe bleibt der Autor aber manchmal zu einseitig. Trotzdem sollte das niemand abhalten, das Buch zu lesen.

Werner Hörtner
Kolumbien verstehen – Geschichte und Gegenwart eines zerrissenen Landes.

Rotpunktverlag
ISBN 10: 3-85869-326-x
ISBN 13: 978-3-85869-326-6

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