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Zweig, Stefan: Brasilien. Ein Land der Zukunft

Daniela Vogl | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten

Stefan Zweig: Brasilien

„Im nächsten Jahr war der Krieg in Spanien, und man sagte sich: warte ab bis zu einer ruhigeren Zeit. 1938 fiel Österreich, und wieder harrte man auf einen ruhigeren Augenblick. Dann, 1939 war es die Tschechoslowakei und dann der Krieg in Polen und dann der Krieg aller gegen alle in unserem selbstmörderischen Europa. Immer leidenschaftlicher wurde mein Wunsch, mich aus einer Welt, die sich zerstört, für einige Zeit in eine zu retten, die friedlich und schöpferisch aufbaut;…“

Mit diesen Worten erklärt Stefan Zweig seine Motivation für seinen Brasilienaufenthalt und für seinen Wunsch, einen Bericht über dieses Land zu schreiben. Und anhand dieser Erklärung sollte man seinen Reise-, Erfahrungs-, und (Er)Lebensbericht aus Brasilien auch verstehen. Denn Brasilien ist für ihn nicht nur ein Land, von dessen natürlicher Schönheit, friedlicher Lebensweise und Toleranz und Offenheit seiner Menschen er sich beeindrucken läßt. Es ist für ihn vielmehr immer auch Fluchtpunkt, Utopie und Gegenentwurf zu Europa. Genau das ist die Stärke, aber auch das Problem dieser Monographie. Die Stärke, da es die Beschreibungen intensiv, gefühlvoll und beeindruckend werden läßt. Das Problem, da Stefan Zweig Brasilien nie nur um seiner selbst willen sieht, sondern immer der Vergleich mit Europa, das Messen an europäischen Maßstäben mitschwingt. Wenn er also die Faszination des friedlichen Miteinanders der Brasilianer aller Rassen eindrucksvoll beschreibt, so beklagt er auch die Intoleranz, den blinden Rassenwahn Europas, dessen Opfer er als jüdischer Österreicher selbst geworden ist. Auch seine Schilderung Brasiliens als Muster der Demokratie und des friedlichen Miteinander läßt das Land zur Utopie des verzweifelten Europäers werden. Und es ist eine sehr europäische Utopie: Brasilien als „junges“ Land, in dem die Fehler des „alten“ Europa vermieden werden können, das durch seine kurze, aber glückliche Entwicklung, den sich selbst vernichtenden Ländern Europas einen Ausweg weisen kann. Dieses brasilianische Ideal steht der Dekadenz Europas diametral entgegen. Doch ist es nicht auch von der brasilianischen Identität sehr weit entfernt? Ist dieses Land nicht nur für den Europäer jung und neu? Wieso werden die indigenen Völker Brasiliens weder bei der Beschreibung seiner Geschichte, noch bei der Schilderung der für Stefan Zweig so friedlichen und toleranten Gegenwart erwähnt? Wie läßt sich Sklaverei mit Toleranz und Friedfertigkeit vereinbaren?

Auch wenn er auf diese Fragen keine befriedigende Antwort gibt, so ist Stefan Zweigs Monographie doch in höchstem Maße lesenswert. Als ein Eindruck von Brasilien, der gewiß oft zwischen Fakt und Fiktion balanciert, aber dieses Land dennoch packend schildert, Sympathien und Interesse erweckt. Als intensives Leseerlebnis, das Gefühle miterleben läßt und provoziert, dabei Stefan Zweigs Begeisterung für Brasilien und Verzweiflung über Europa zu einem beeindruckenden ganzen vereint.

„Wer Brasilien wirklich zu erleben weiß, der hat Schönheit genug für ein halbes Leben gesehen.“

Mit diesen Worten schließt Stefan Zweigs Monographie.

Am 23.2.1942 setzt er seinem Leben in Petropolis selbst ein Ende.

Stefan Zweig: Brasilien. Ein Land der Zukunft, suhrkamp taschenbuch 1984

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