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Schmalz, Stefan: Brasilien in der Weltwirtschaft

Enrico Caldas Meyer | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten
Schmalz, Stefan: Brasilien in der Weltwirtschaft (329 Downloads )

Deutschsprachige wissenschaftliche (Wirtschafts-) Literatur über Brasilien zu finden, gestaltet sich als ein schwieriges Unterfangen und endet im Normalfall zumeist mit vielfältigen thematischen Beiträgen in (Fach-)Zeitschriften. Froh über das Gefundene tröstet man sich darüber hinweg, dass es leider wieder kein Buch gewesen ist. Umso mehr war ich auf die Publikation “Brasilien in der Weltwirtschaft – Die Regierung Lula und die neue Süd-Süd-Kooperation“ von Stefan Schmalz gespannt.

Stefan Schmalz: Brasilien in der Weltwirtschaft

Bereits das Lesen der Inhaltsangabe bereitet sehr viel Freude, denn mit den dort dargestellten Inhalten sind alle wichtigen Themenfelder der Außenwirtschaft und Außenpolitik Brasiliens seit 1945 präsent. Der Autor unterteilt das Buch in insgesamt fünf Kapitel. Das erste Kapitel stellt die entwicklungstheoretischen Modelle und die Rolle Brasiliens innerhalb dieser dar. Gefolgt von einer Erläuterung der verschiedenen Phasen der brasilianischen Außenwirtschaftspolitik im zweiten Kapitel. Anschließend widmet sich Stefan Schmalz, vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen, dem Aufstieg der Arbeiterpartei PT und der aktuellen Zusammensetzung des Kabinetts von Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Kapitel vier, welches nahezu den gleichen Titel wie die dem Buch zugrunde liegende Dissertation trägt, beinhaltet mit der Analyse der Rolle Brasilien innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO), als auch der Rolle in der zunehmenden Süd-Süd-Kooperation, den Kernteil dieser Arbeit. Die Süd-Süd Kooperation wird am Beispiel des regionalen Integrationsprojekts Mercosur und der Zusammenarbeit mit anderen wirtschaftlich aufstrebenden Regionalmächten wie Russland, Indien, China und Südafrika (zusammen mit Brasilien werden diese Länder auch als BRIC[S]-Staaten bezeichnet) ausführlich dargestellt. Den Abschluss bildet die Untersuchung, inwiefern Brasilien neben der Abhängigkeit infolge des Liberalisierungsprozesses des Welthandels, in eine neue Abhängigkeit durch die Finanzmärkte gerät.

Dem Buch liegt also ein Themenkomplex zugrunde, der keinen aktuelleren Bezug aufweisen kann. Dieses Thema ist auch deswegen so interessant, weil sich Brasilien im internationalen Machtgefüge deutlichen Respekt verschafft hat. Im Gegensatz zu Lulas Vorgänger Fernando Henrique Cardoso, welcher von 1995 bis 2002 Präsident Brasiliens war und der den seitens der USA geforderten neoliberalen Kurs getreu umsetzte, ist die seit 2003 amtierende Mitte-Links-Regierung innenpolitisch durch zahlreiche Sozialprogramme und außenpolitisch durch eine Abkehr von den USA, bei gleichzeitiger Fokussierung auf eine verstärkte regionale Integration, gekennzeichnet. Diese Aktivität ist vor allem der Verdienst von Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Brasiliens gestiegener Einfluss in der Außenhandelspolitik macht sich somit auf den folgenden drei Ebenen bemerkbar: regional, kontinental und global.

Regional wird dies in der Revitalisierung des Mercosur deutlich. Unter Lula sind neben Bolivien nun auch die anderen Staaten der Andengemeinschaft als assoziierte Mitglieder dem Gemeinsamen Markt des Südens beigetreten. Venezuela folgte als Vollmitglied 2006 (die formelle Aufnahme steht jedoch noch aus), so dass bis auf Surinam und Guyana alle Länder Südamerikas Teil des Mercosur sind. Begleitet wurde dieser Prozess von der Gründung der südamerikanischen Gemeinschaft der Nationen, aus der erst vor kurzem (23.05.2008) die Unasur (Union Südamerikanischer Staaten) hervorgegangen ist. Auf kontinentaler Ebene verschafft sich Brasilien durch den Mercosur die Verhandlungsmacht, um dem hegemonialen Bestreben der USA durch eine andere Option der regionalen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Das führte unter Lula nicht nur zur Taktik der schleichenden Verlangsamung des Verhandlungsprozesses über eine gesamtamerikanische Freihandelszone von Alaska bis Feuerland (FTAA), sondern 2005 mit der Unterstützung Venezuelas zum vorläufigen Scheitern des US-Vorhabens. Des Weiteren nutzt Brasilien den Mercosur auf der globalen Ebene – dem Welthandel -, um mit gemeinsamer Stimme Südamerikas auftreten zu können. Gleichzeitig besitzt das Land jedoch auch noch andere wirksame Alternativen. Ein prominentes Beispiel wäre die G20, ein Zusammenschluss von 20 Entwicklungs- und Schwellenländern unter Führung von Brasilien, Indien sowie China, welche 2003 im Vorfeld der Konferenz der Welthandelsorganisation in Cancún / Mexiko gegründet wurde, mit dem Hauptziel des Abbaus der Agrarsubventionen und der Verringerung von Importzöllen in den Industrieländern. Die Verhandlungsmacht dieser Gruppe führte aufgrund unzureichender Angebote der USA und der EU letztendlich zum vorläufigen Scheitern der Doha-Runde in Cancún. Das Scheitern war verbunden mit einer „Niederlage“ der Industrieländer und einem politischen Etappensieg für Brasilien sowie der Dritten Welt. Außerhalb der multilateralen Weltordnung kooperiert Brasilien zudem mit den schon genannten BRICS(S)-Staaten.

All diese genannten Aspekte der neu entstandenen Süd-Süd-Kooperation werden vom Autor Stefan Schmalz strukturiert und verständlich erläutert, sowie der Analyse unterzogen, inwieweit sich die brasilianische Außenhandelspolitik zwischen relativer Autonomie (Süd-Süd-Kooperation) oder einer erneuten Abhängigkeit (WTO-Verhandlungen) bewegt. Das Buch besticht dabei durch die empirische Untermauerung seiner Argumente. Einziger kleiner Wermutstropfen ist vielleicht, dass Schmalz zumeist die Statistiken anderer Autoren direkt benutzt bzw. zitiert, ohne diese z.B. direkt von der Zentralbank oder dem nationalen Institut für Geographie und Statistik (IBGE) zu verwenden. Eine Kritik, die man ihm jedoch nicht negativ auslegen kann, denn wer schon mal nach brasilianischen Statistiken gesucht hat, wird merken, dass diese in allen Medien, auf den offiziellen Internetseiten Brasiliens jedoch nur sehr schwer oder gar nicht zu finden sind. In Bezug auf die im Text verwiesenen Internetquellen hätte man sich gewünscht, dass diese durchgängig mit dem Datum des Abrufes und dem Hyperlink im Literaturverzeichnis zu finden wären, damit man als Leser auch die Möglichkeit des Nachlesens dieser Quellen hat.

Eine Stärke des Buches ist zudem, dass der Autor sich nicht nur auf den Außenhandel als solchen konzentriert, sondern mit dem fünften Kapitel explizit Bezug nimmt auf ein neues Abhängigkeitsmuster in Form der Abschöpfung und Übertragung von Finanzmitteln aus den Schwellenländern hin zu den Zentren. Beispiele dafür sind Zins- und Ratenzahlungen für aufgenommene Kredite oder die Rücküberweisung der aus Direkt- und Portfolioinvestitionen entstandenen Gewinne in die Zentren nimmt. Im Gegensatz zur transnationalen Verrechtlichung von Abhängigkeitsstrukturen innerhalb der WTO (siehe Kapitel vier), wird dieser finanzmarktvermittelte Ressourcentransfer in der Öffentlichkeit oftmals nicht in der Form wahrgenommen, welche ihm eigentlich gebührt – kurz gesagt wird diese Abhängigkeit meist unterschätzt. So gut Brasilien seine Machtstellung in der WTO auch ausbauen konnte, so gibt es in Bezug auf die Finanzmärkte kein probates und allseits bekanntes Heilmittel. Brasilien steht vielmehr einem Trade-off gegenüber. Auf der einen Seite sollen sowohl ausländische Investition zum Wachstum der Wirtschaft und zur Ermöglichung eines Technologietransfers angezogen werden, als auch der Zugang zu den internationalen Finanzmärkten dazu genutzt werden, billige internationale Kredite aufzunehmen. Auf der anderen Seite wird das Land damit (teilweise) seiner Souveränität beraubt und einer neuen Art der Abhängigkeit ausgesetzt. Da dieses Abhängigkeitsmuster wohl in seiner Bedeutung weiter zunehmen wird, hätte aus meiner Sicht dieser Teil gerne noch etwas mehr Seiten umfassen können, jedoch mag dieser Wunsch auch von den Interessen des Lesers abhängen.

Die Interessen der Leser sind in der Regel eng mit der Zielgruppe des Buches verbunden. Auch wenn die Arbeit augenscheinlich für das akademische Publikum geschrieben wurde, so ist offensichtlich, dass es das einzige Buch mit diesem Themenspektrum ist. Aus diesem Grund hätte der Autor vielleicht das erste Kapitel, im Vergleich zu seiner Dissertation, etwas überarbeiten sollen, um auch Lesern, welche nicht so stark mit den dargestellten Entwicklungstheorien vertraut sind, den Einstieg ins Thema zu erleichtern. Ein weiterer kleiner Verbesserungsvorschlag ist, die Endnoten nicht ans Ende des Buches, sondern zumindest ans Ende eines jeden Kapitels zu stellen, damit man nicht ständig so viel hin- und herblättern muss.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass das Buch nicht nur durch seine Informationsfülle beeindruckt, sondern auch durch seinen Schreibstil glänzen kann. Man würde sich wünschen, dass es noch mehr Bücher in diesem Format – welches schon fast den Charakter eines Überblicks- und Nachschlagewerkes hat – gibt. „Brasilien in der Weltwirtschaft“ kann man jedem Wirtschaftswissenschaftler mit Interesse an Brasilien empfehlen, aber auch für jeden Politologen besitzt es einen hohen Wert, denn die Kenntnis der (historischen) Außenwirtschaftsbeziehungen ist eine Notwendigkeit zur Deutung und Analyse der innenpolitischen Situation. Darüber hinaus ist das Buch durch seinen Fokus auf die Süd-Süd-Kooperation für alle interessant, welche sich intensiv mit der Entwicklung und dem Machtgefüge des Welthandels auseinandersetzen.

Stefan Schmalz
Brasilien in der Weltwirtschaft

Westfälisches Dampfboot
3896916718

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