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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Artikel

Neuber Harald (Hrsg.): Das neue Kuba
in Bildern der Nachrichtenagentur Prensa Latina 1959-1969

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Harald Neuber (Hrsg.): Das neue Kuba„Das neue Kuba …“ vereint in sich die Vorzüge eines sorgfältig editierten Bildbandes mit denen eines pointierten Rückblicks auf jene „unbekannten Jahre des Anfangs“, der in Gestalt des Essays von Michael Zeuske erfolgt. Diese doppelte Perspektive ermöglicht dem Leser und Betrachter, selbst einen authentischen Eindruck von der „heroischen Phase der Revolution“ (S. 50) zwischen dem militärisch-politischen Sieg der Revolutionäre um Fidel Castro im Januar 1959 und dem „Ende des radikalen Gesellschaftsexperiment“ um 1970 (S. 14) zu gewinnen. Im Vorwort verweist Harald Neuber, der Herausgeber des gelungenen Bandes, besonders auf dessen historischen Wert, der nicht allein im fotografisch-ästhetischen Schauwert und der dokumentarisch-politischen Aussagekraft der ausgewählten Bilder besteht. Auch als erstes Gemeinschaftsprojekt der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina mit einem deutschen Partner seit mehr als 20 Jahren verdient „Das neue Kuba“ hohe Anerkennung. Diese Pionierleistung wird besonders durch einen Vergleich mit ähnlich konzipierten Bänden unterstrichen. Hierfür bieten sich besonders der von Wolfgang Schreyer und Günter Schumacher 1963 verfasste Titel „Vampire, Tyrannen, Rebellen“ sowie der vom Aufbau Verlag 1999 herausgebrachte Band „Kuba – Eine Revolution in Bildern“ mit Fotos von Osvaldo und Roberto Salas an. Gemeinsam ist allen drei Publikationen die Eindringlichkeit und Vitalität der Bilder in Schwarz-Weiß. Dies ist sicherlich damit zu erklären, dass diese mehrheitlich von kubanischen Fotografen stammen und denselben dramatischen Zeitabschnitt dokumentieren. Unverkennbar sind der Enthusiasmus und die engagierte Teilhabe am revolutionären Umbruch, den die einfachen Kubaner, ob in der Masse – als el pueblo – oder ganz individuell ausstrahlen. Gleiches darf bei den Fotografen selbst vermutet werden, deren Rolle Roberto Salas aus eigener Erfahrung mit folgenden Worten umreißt: „Wir sind eben nicht unparteiisch und objektiv. … Mein Vater und ich machten unsere Fotos, weil wir das Land liebten und die positiven Dinge, die wir dort sahen, festhalten und wiedergeben wollten, nicht im politischen, sondern im menschlichen Sinne“ (Eine Revolution in Bildern, S. 26).

Die Unterschiede zwischen den drei genannten Titeln zeigen sich vor allem im jeweiligen Begleittext. Hier hebt sich der Essay von Michael Zeuske in zweifacher Hinsicht ab: Er hat gegenüber dem etwa 130 Seiten langen Text von 1963 zweifellos den Vorteil, die stürmischen Ereignisse der 1960er Jahre mit dem historischen Abstand von 40-50 Jahren kommentieren zu können. Zudem stammt er aus der Feder eines Historikers, der mit der Gesamtgeschichte Kubas bestens vertraut ist und der selbst – wenn auch in jungen Jahren – in jener Zeit auf der Karibikinsel lebte. Der Fokus des Essays bleibt konsequent auf den Zeitraum von 1959 bis 1969 fixiert, auch wenn kurze Verweise auf bestimmte Ereignisse davor oder danach nicht zu vermeiden sind. Demgegenüber atmet der Text von 1963 nicht nur den Geist jener Zeit, sondern nimmt auch einen längeren Zeitraum, die hundert Jahre kubanischer Geschichte bis dahin, auf mehr publizistische Weise, ins Visier. Die Einbeziehung dieser Perspektive hat zweifellos ihren Reiz. Allerdings müssten daran Interessierte der vor fast 50 Jahren erschienene Ausgabe erst einmal habhaft werden. Die Einleitung im Salas-Band von 1999 stellt das Leben von Vater (Osvaldo) und Sohn (Roberto) und das damit verbundene Thema der Presse(fotografie) in den Mittelpunkt. Zeittafel und die höchst informativen Bildkommentare von Roberto Salas ergänzen dies zwar auf gelungene Weise, vermögen aber nicht jenes dichte und kenntnisreiche „Zeitbild“ des Essays von Zeuske zu vermitteln. Neben dem Gegenstand selbst (1960er Jahre) liegt dessen Stärke vor allem in Darstellung und Interpretation dieser besonderen und zugleich integralen Phase der „langen“ kubanischen Revolution.

Dies sei anhand einiger Beispiele kurz illustriert: Hervorzuheben ist zunächst der gelungene, weil verständlich formulierte, Einstieg in die Problematik der „langen“ Revolution. Nach der begrifflichen Verortung zwischen Transición, Transformación und Reform folgt die historische Einordnung der Jahre von 1959 bis 1969 innerhalb eines Zyklus’ von Revolutionen, der in Kuba einerseits 1868 seinen Ausgangspunkt hat, andererseits aber erst hundert Jahre später – 1968 – „konstruiert“ wurde. Daran schließt sich ein gut strukturierter und anhand bestimmender Ereignisse exemplarisch dokumentierter Überblick über jene drei Grundprobleme an, die die Geschichte Kubas seit 1959 bestimmen. Bei der Lektüre wird jedoch rasch deutlich, wie eng das strukturell-ökonomische, das machtpolitische und das internationale Problemfeld miteinander zusammenhängen. Eine dritte Facette des Essays scheint mir besonders gelungen. Es ist die schwierig zu vermittelnde Verwobenheit (man könnte auch sagen: Dialektik) von Problemen, Fehlern und Scheitern einerseits und Bedeutung, Ausstrahlung und Wirkungskraft andererseits. Beides sind Momente der „langen“ kubanischen Revolution und damit sowohl historisch verwurzelt als auch prägend für den noch nicht durchschrittenen Horizont der jeweiligen Zukunft. Zugleich verkörpert Fidel Castro wie kaum ein Zweiter, welch zentrale, manchmal ausschlaggebende Rolle der Persönlichkeit in historischen Umbruchprozessen zukommt.

Gleich zu Beginn erklärt Zeuske die kubanische Revolution „zur Wasserscheide in der Entwicklung Amerikas und in gewissem Sinne des Westens“ (S. 11). Die Gründe dafür sind zum einen in ihren originären ethischen Werten (Egalitarismus, Anti-Imperialismus, populärer Links-Nationalismus und anarchistischer Unabhängigkeitswille), zum anderen im erklärten Willen, die „soziale Frage“ auf dieser Basis lösen zu wollen, zu suchen. Der besondere Status von Fidel Castro als „der alleinige Repräsentant sowohl der Revolution wie auch des Staates“ (S. 24) resultiert nicht zuletzt daraus, dass er diese Werte und Ziele selbst verkörpert. Zur Bilanz der heroisch-euphorischen Phase der Revolution gehört aber auch, dass ihre Ziele nicht wie vorgesehen realisiert werden konnten (S. 45). Diese Ambivalenz zeigt sich nicht zuletzt in der Agrarreform. Wohl setzte diese am „Kern aller strukturellen Probleme Kubas“, dem landwirtschaftlichen Sektor, (S. 15) an und verlieh damit der kubanischen Revolution den Status einer sozialen Umwälzung, eine wirkliche Reform der Bodenbewirtschaftung fand jedoch nicht statt (S. 41). Zeuske geht sogar soweit, dass er zwar der Revolutionsführung zubilligt, viele Experimente durchgeführt zu haben, es ungeachtet aller Deklarationen „aber nie eine wirklich sozialistische Ökonomie auf Kuba gegeben“ habe (S. 40).

Anspruch und Ergebnis klaffen auch dort weit auseinander, wo es um die internationale Ausstrahlung der kubanischen Revolution geht. Diese war anfangs enorm, was von Freund und Feind gleichermaßen anerkannt wurde: Kuba als „Heimat des Mythos Revolution“ (S. 29), Havanna als „Hauptstadt der Weltrevolution“ (S. 33), die kubanische Revolution als „Urmuster der sozialistischen Revolution an sich“ (S. 34) künden vom hohen Anspruch, mit dem sowohl die kubanischen Revolutionäre wie auch fast die gesamte Linke damals ihren Erwartungen Ausdruck verliehen. Bereits in der Raketenkrise im Oktober 1962 wurde jedoch deutlich, dass Fidel Castro und Ché Guevara die geostrategische Bedeutung ihrer Insel überschätzt hatten (S. 31). Aber auch in Hinblick auf den ökonomischen Voluntarismus im Inneren war Kuba „fast der Weltrevolution geopfert worden“ (S. 50). Schließlich musste das „kubanische Konzept der Weltrevolution … mit dem Tod von Ché Guevara 1967 abgebrochen werden“ (S. 39). Dennoch – so die abschließende Wertung Zeuskes – wurde „Kuba letztendlich zum ersten Sozialstaat Lateinamerikas“ (S.51).

Wenn man im Wissen um diese gemischte Bilanz der kubanischen Revolution den etwa 130 Seiten umfassenden Fototeil des Bandes anschaut, dann versteht man, warum die Kubaner trotz aller inneren Schwierigkeiten und der von außen unternommenen Versuche, auch dort auf der Karibikinsel das Rad der Geschichte zurückzudrehen, zu ihrer Revolution stehen. Der Grundstein für ihren Durchhaltewillen wurde in den „Jahren des Anfangs“ gelegt. Die Fotos aus den Jahren 1959 bis 1969 machen selbst dem skeptischsten Betrachter klar, dass für die „Gründergeneration“ des „neuen Kuba“ Revolución, Socialismo und Patria zusammen gehören und zur Herzenssache geworden sind. Jenseits alles Mythen und Rückschläge ist dies das bleibende Erbe jener bewegten und dramatischen Jahre, die durch die Fotos noch einmal lebendig werden.

Harald Neuber (Hrsg.)
Das neue Kuba in Bildern der Nachrichtenagentur Prensa Latina 1959-1969.
Mit einem Essay von Michael Zeuske.
Rotbuchverlag 2011, 192 Seiten.
ISBN 978-3-86789-129-5

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