Quetzal Vogel
News Icon
Quetzal

Politik und Kultur in Lateinamerika

Template: single_normal
Printausgaben

Vázquez Montalbán, Manuel: Quintett in Buenos Aires

Nora Pester | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Argentinien wird wieder die Mutterkuh sein …

Was weißt du von Buenos Aires? Tango, Verschwundene, Maradona. Die Erwartungen des Privatdetektivs Pepe Carvalho werden nicht enttäuscht, als er sich in die Metropole am Río de la Plata begibt. Er verläßt nur widerwillig sein geliebtes Barcelona, um im Auftrag seines Onkels seinen Cousin Raúl Tourón ausfindig zu machen. Zwanzig Jahre nach dessen Flucht vor der Militärdiktatur ins spanische Exil ist Raúl nach Buenos Aires zurückgekehrt, auf der Suche nach seiner Vergangenheit und nach seiner verschwundenen Tochter. Raúl, und auf seinen Fersen Carvalho, irren durch das Labyrinth aus Politik und Tango in der argentinischen Hauptstadt. Dabei wird offensichtlich, daß die Täter von einst auch heute beste Beziehungen zu den einflußreichen Kräften des Landes pflegen und in einem elitären Netzwerk unter offizieller Duldung noch immer eine Ordnungsmacht darstellen.

Während des Militärregimes erarbeitete eine Gruppe junger Wissenschaftler um Raúl Tourón eine Studie über den psychischen und physischen Widerstand bei Schmerz und Nötigung. Sie wußten alles über den Schmerz bei Ratten und verfaßten eine vollständige Sammlung von Fällen. Sie kannten alle Variablen, um den Verhören standzuhalten. Die Studie stand unter strengster Geheimhaltung und mußte, sobald sie auswendig gelernt worden war, vernichtet werden. Fast alle Mitglieder der Gruppe wurden verhaftet. Ihre Forschungsergebnisse gelangten in das „Labor für Tierverhaltensforschung – Stiftung für Neue Argentinität“, einer Tarnfirma für Ex-Militärs. Raúl versucht in dieses System einzudringen, um sein geistiges Eigentum zurückzufordern und seine Tochter zu finden. Er muß jedoch rasch erkennen, wie diffus die Grenze zwischen Täter und Opfer, Feind und Freund ist.

In seiner eigenwillig spröden, respektlosen und ironischen Art macht sich Carvalho in sechs Kapiteln auf die mehr oder weniger motivierte Suche nach Raúl und versinkt in eine mythisch-melancholische Welt, die ihn und den Leser immer wieder und unvermittelt mit brutalster argentinischer Realität konfrontiert. Beide geraten in ein sonderbar emotionale Beziehung zu Buenos Aires. Ein Wechselspiel aus intimer Nähe und atemberaubender Spannung, unterbrochen von wehmütigen Tango-Sequenzen, bis Seite 128 – hier könnte das Buch eigentlich enden. Dann übernimmt Carvalho mit einem argentinischen Partner neue Fälle. Er braucht Geld und zweifelt mittlerweile ernsthaft an seiner Rückkehr nach Spanien, was seine Nachforschungen nicht gerade beschleunigt und dem Buch eine stellenweise lähmende Länge verleiht.

Ein Sammelsurium skurriler und trauriger Figuren bildet von nun an ein erzählerisches Netz aus privaten Affären und politischen Intrigen. Da ist die engagierte und zugleich resignierte Literaturprofessorin Alma, die unwissend ihre verschwundene Tochter an der Universität unterrichtet. Der natürliche Sohn von Jorge Luis Borges taucht in der Öffentlichkeit auf und verunsichert die mühsam auf einem asexuellen Mythos konstruierte nationale Identität. Ein an Aids erkrankter Robinson Crusoe plädiert für eine neue Weltordnung und flüchtet aus seiner eigenen Vergangenheit als Militär in die Unschuld des Wahnsinns. Diesem können auch der Boxer Bum Bum Peretti und der androgyne Conférencier Silverstein nur schwer widerstehen. Und schließlich ist da noch Carvalho selbst, der „maskierte Gallego“ und Gourmet, der in schöner Regelmäßigkeit Kochrezepte zum besten gibt und leidenschaftlich gern Bücher im Kamin verbrennt. Alle erweisen sich als verunglückte Ideologen. Marxisten, masochistische Faschisten und Nietzscheaner gelangen schließlich zu Einsichten wie „Die Militanz machte uns leistungsfähig, arbeitsam, zynisch und das Scheitern pragmatisch“, oder „Wer mit zwanzig kein Revolutionär war, hatte kein Herz, und wer es mit vierzig noch ist, hat kein Hirn.“ In diesem Labyrinth kaputter Existenzen kommt der Protagonist gelegentlich der Wahrheit über Buenos Aires gefährlich nah. „Wir haben noch andere Rekorde: die höchste Rate an Selbstmorden, Scheidungen und im Konsum von Limonaden und Deodorants. Wir mögen es nicht, gut zu riechen, sondern nicht zu riechen.“

Buenos Aires treibt in Montalbáns Roman als Insel der Schiffbrüchigen im Meer der Weltgeschichte. Überall lauert Mißtrauen, Gewalt, Schuld. Die Stadt ist voller Verschwundener und so verschwindet sie allmählich auch selbst. „Ich halte es für ein Märchen, daß Buenos Aires einen Anfang hat. Ich finde es so ewig wie das Wasser und die Luft.“ Dieses Zitat aus Borges’ „Mythische Gründung von Buenos Aires“ ist dem Buch als Motto vorangestellt.

Montálban zeigt erschreckend nüchtern, wie auswechselbar Geschichte, Diktaturen, Politiken und Ideologien, Täter und Opfer sind und daß Buenos Aires und Wien die Psychose vereint. Nur die Melodien ihrer klagenden Seelen sind verschieden. Was weißt du von Buenos Aires? Tango, Verschwundene, Maradona.

Manuel Vázquez Montalbán
Quintett in Buenos Aires
Ein Pepe-Carvalho-Roman
Piper Verlag, München 2001

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert