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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Lateinamerikanisten im Porträt (3)

Jonas Frankenreiter | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Lateinamerikanisten, das heißt Wissenschaftler, die sich, in der Regel von ihrem jeweiligen Fach aus, mit Lateinamerika beschäftigen, werden selten vorgestellt. Wenn man Glück hat, findet sich eine Kurzbiographie auf dem Buchcover. Doch das Leben mancher von ihnen ist – auch jenseits der Wissenschaft – ungewöhnlich, hochspannend, ja abenteuerlich. Quetzal bringt eine lose Folge solcher Biographien: von Lateinamerika-Spezialisten, die nicht mehr unter den Lebenden sind und zu denen Quetzal-Autoren einen persönlichen Bezug haben. Diesmal geht es um Alexander von Humboldt. Ein Porträt von Friedrich Katz wird folgen.

 

Als ich im Oktober letzten Jahres für mein Studium an die Humboldt-Universität nach Berlin kam, war mir ihr heutiger Namensgeber noch völlig unbekannt. Mit der ältesten der Berliner Universitäten assoziierte ich eher Hegel und Marx. Nach Hegel wurde der Platz vor dem Literaturwissenschaftlichen Institut benannt, wo ich zu studieren begann und Marxens elfte Feuerbacht These ist nach wie vor an prominenter Stelle, in der Eingangshalle des Universitäts-Hauptgebäudes angebracht. Es dauerte ein paar Monate, bis ich von regelmäßig stattfindenden Kosmos-Vorlesungen erfuhr, mir die Statuen Unter den Linden genauer anschaute und schließlich nicht mehr an den Brüdern Humboldt vorbei kam. Besonders Alexander war in aller Munde, denn es war sein zweihundertfünfzigstes Geburtsjahr und er wurde als Universalgelehrter, kluger Beobachter der Natur oder auch Vordenker der Ökologie gefeiert. Mein Interesse war geweckt.

Humboldts Jugend – Wissenschaftler und Humanist

Geboren wurde Alexander von Humboldt am 14. September 1769 in Tegel (oder Berlin) im Königreich Preußen. Er und sein älterer Bruder Wilhelm haben nie eine Schule besucht, sondern wurden zuhause unterrichtet. Ihre Hauslehrer, man könnte es hinsichtlich der späteren Entwicklung der Brüder schon erahnen, legten besonderen Wert auf die Fächer Geographie und Philosophie. Mit Humboldt_Denkmal_Bild_Quetzal-Redaktion_jfbemerkenswerter Neugier setzten sie sich auch mit Immanuel Kant und den Ideen der Aufklärung auseinander. Schon bald verkehrte Alexander in Lesegesellschaften und konfessionsübergreifende Salons, wo er auch mit den Naturwissenschaften in Kontakt kam. Während Wilhelm 1788 in Göttingen weiterstudierte, begann Alexander bei dem Mediziner Karl Ludwig Willdenow in Berlin ein privates Studium der Botanik. Er erfuhr von den Ergebnissen ostasiatischer Expeditionen, der Wichtigkeit von klimatischen und geographischen Unterschieden für die Pflanzenwelt und fasste schließlich selbst den Entschluss für zukünftige Forschungsreisen.

Erst folgte er seinem Bruder nach Göttingen, dann kam es zur Französischen Revolution und schließlich brach er begleitet von anderen Wissenschaftlern und zahlreichen Messinstrumenten zu eigenen Expeditionen auf. Mit dem Jakobiner Georg Forster, der schon mit James Cook die Welt umsegelt hatte, reiste Humboldt durch Europa und beendete schließlich, nun auch mit vertieften Kenntnissen der Chemie und Geologie seine Ausbildung.

Als königlicher Oberbergmeister arbeitete Humboldt ab 1792 in der Bergwerksverwaltung in Franken und verbesserte dort die Sicherheits- und Arbeitsbedingungen. Zwischendurch schaute er hin und wieder bei seinem Bruder und dessen Frau in Jena vorbei. Die Brüder hatten dort unter anderem Kontakt zu Goethe und Schiller, und Alexander unternahm eigene erzählerische Schreibversuche. Die Werke und die Bekanntschaft mit den beiden Dichtern wussten sie noch lange zu schätzen.

Im Gegensatz zu Wilhelm heiratete Alexander nie und zeugte keine Kinder. Zahlreichen Briefe an Freunde und Kollegen lassen jedoch homoerotische Neigungen zwischen den Zeilen vermuten. Allerdings ist 1794 nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht Homosexualität noch immer unter schwere Strafe gestellt, weshalb er, so kann man annehmen, diesbezüglich nicht auffallen wollte. 1796 starb Humboldts Mutter und Alexander entschied sich, aus dem Staatsdienst auszutreten, um seine lang geplante Reise in die Tropen Amerikas anzutreten. Mit dem geerbten Geld ließen sich diese Expeditionen nun finanzieren. Wieder begleitete er seinen Bruder 1798 nach Paris und zog dann weiter mit dem französischen Arzt und Botaniker Aimé Bonpland über Marseille nach Madrid. Im darauf folgenden Jahr reisten sie nach Amerika.

Humboldt der Lateinamerikanist – Ansichten der Natur und des Kosmos

Über die Sklaverei „in beiden Indien“ zeigt sich Humboldt empört, sie trete überall auf, wohin „europäische Kolonisten ihre sogenannte Aufklärung“ getragen haben. Aber auch schon auf den Kanaren notiert er Abhängigkeit und Ungerechtigkeit: „Die das Land bauen, sind meist nicht Eigentümer derselben; die Frucht ihrer Arbeit dem Adel, und das Lehnssystem, das solange ganz Europa unglücklich gemacht hat, läßt noch heute das Volk der Kanarien zu kleiner Blüte gelangen.“

Die liberalen Ideen der französischen Revolution trug er mit sich auf seinen Reisen und kritisierte besonders die Gewalttaten an indigenen Völkern durch die Europäer: „Die christliche Religion, die in ihren Anfängen die menschliche Freiheit so mächtig förderte, mußte der europäischen Habsucht als Vorwand dienen. Jedes Individuum, das gefangen wurde, ehe es getauft war, verfiel der Sklaverei.“

Von den Kanaren reisten die beiden Wissenschaftler weiter nach Cumaná in Venezuela. Wegen einer Seuche an Bord verweilten sie dort und fuhren schließlich flussabwärts den Orinoco entlang. Über einige Zwischenstationen landeten sie auf Kuba, in Bogotá (Kolumbien) und Quito (Ecuador). Bis dahin hatten sie zahlreiche Flüsse überquert, Berge und Vulkane bestiegen und ihre Erlebnisse schriftlich festgehalten. Am 23. Juni 1802 versuchten sie zusammen mit Carlos Móntufar den Chimborazo zu besteigen, der mit 6.310 Metern damals als höchster Berg der Welt galt. Als erreichte Höhe dokumentierte Humboldt 5.906 Meter bevor sie umkehrten. Über den Río Calvas kamen sie nach Peru, besichtigten Ruinen der Inkas und segelten letztlich von Ecuador nach Mexiko und erneut über Kuba nach Philadelphia in die Vereinigten Staaten. Humboldt unternahm dort weitere Reisen an der Ostküste und traf in Washington den amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson.Humboldt_Ansichten_der_Natur_Bild_CoverScan

Nach einer über fünf Jahre andauernden Reise betritt Alexander von Humboldt am 3. August 1804 in Bordeaux wieder europäischen Boden. Aufzeichnungen schickte er schon während seiner Reise regelmäßig nach Hause. In Paris, wohin er schließlich zurückkehrte wurde er somit erwartet und gefeiert. Hier traf er auch den jungen Simón Bolívar, der für Südamerika später so bedeutsam wurde. 1805, zurück in Berlin, wurde er Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, bezog ein kleines Gartenhaus und arbeitete weiter an seinem Reisebericht. Als „Ansichten der Natur“ stellte er die Naturbeobachtungen seiner Reise zusammen. Das Buch, das er als sein Lieblingswerk bezeichnete vereint Beschreibungen von Bergen, Vulkanen, Flüssen, aber auch von Brücken und Höhlen. Seine mit Bonpland geteilten Erlebnisse schildert er lebhaft: „Als wir […] von den Ufern des Rio Negro zurückkehrten, wagten wir es die letzte oder untere Hälfte des Raudals von Autures mit dem beladenen Canot zu passiren. Wir stiegen mehrmals auf den Klippen aus, welche als Dämme, Insel mit Insel verbinden. Bald stürzen die Wasser über diese Dämme weg, bald fallen sie mit dumpfem Getöse in das innere derselben. Daher sind oft ganze Strecken des Flussbetts trocken, weil der Strom sich durch unterirdische Canäle einen Weg bahnt. Hier nisten die goldgelben Kippenhühner (Pipra rupicola): einer der schönsten Vögel der Tropenwelt mit doppelter beweglicher Federkrone, streitbar wie der ostindische Haushahn.“

In Berlin erfuhr Humboldt die politischen Unruhen der Napoleonischen Kriege hautnah. Während der französischen Besetzung sah er sich als Mittler. Nach dem Frieden von Tilsit 1807 wurde er von der königlichen Familie, die aus ihrer zeitweiligen Residenz Memel zurückgekehrt war, beauftragt, für Verhandlungen mit nach Paris zu reisen. Dort blieb er und arbeitete weiter an seinen Schriftsammlungen, Karten und Zeichnungen. Seit dem Wiener Kongress war der Frieden in Europa wieder hergestellt, allerdings zum Preis des zurückkehrenden Konservatismus. Alexander von Humboldts finanzielle Lage verschlechterte sich zunehmend, sodass er wieder in Berlin beim König anheuerte und diesen fortan in kulturellen Fragen beriet. Als Mitglied der Akademie war er außerdem berechtigt, Vorlesungen an der Universität zu geben. Diese waren derartig erfolgreich, dass sie im größten Saal Berlins, der Singakademie, vor begeisterten Zuhörerinnen und Zuhörern stattfanden. Anscheinend konnte er gut und viel erzählen, denn sein Alterswerk Kosmos hat sich aus diesen Vorträgen ergeben. Mit der Zeit ließ er sich, von einzelnen Reisen abgesehen, nieder, wurde zur wissenschaftlichen Sensation der Stadt und pflegte die Beziehung zur Familie seines Bruders. Am 8. April 1835 starb Wilhelm.

In dem reaktionären Preußen kämpfte Alexander weiter für die Emanzipation der Juden und gegen die Sklaverei. Die Revolution von 1948 begrüßte er, unterhielt jedoch weiterhin gute Beziehungen zum König und setzte sich für Menschen ein, die seiner Meinung nach Schutz oder Hilfe bedurften. Vier der fünf Bände des Kosmos erschienen noch zu Lebzeiten und hatten großen Erfolg. Am 6. Mai 1859 starb Alexander von Humboldt im Alter von fast 90 Jahren. An dem Trauerzug durch die Stadt nahmen zahlreiche Universitätsangehörige, Wissenschaftler und ein großer Teil der Berliner Bevölkerung teil.

Humboldt als Vordenker – heutige Relevanz seiner Erkenntnisse

Man sagt, Humboldt habe in Amerika die Einheit der Natur begriffen. Im Gegensatz zu denjenigen Europäern, die den Kontinent wirtschaftlich nutzen und sich bereichern wollten, ging es Humboldt bei seiner Reise um den Erkenntnisgewinn. Er kam zu dem Schluss, dass letzten Endes alles mit allem zusammenhängt und die Natur als Ganzes betrachtet werden muss. Die Zuschreibung als Vordenker der Ökologie ist demnach berechtigt und spiegelt sich auch in seinem kritischen und differenzierten, nicht naiv optimistischen Fortschrittsbewusstsein wieder. Humboldt dachte die Geistes- und Naturwissenschaften zusammen, weshalb er weitsichtiger als die meisten seiner Zeitgenossen über den Tellerrand seiner Disziplinen blickte und auch gesellschaftliche Entwicklungen verfolgte und maßgeblich prägte.

Von 1799 bis 1804 bereiste Alexander von Humboldt Lateinamerika. Durch seine Forschung auf dem Kontinent prägte er zu keinem geringen Teil dessen Identität und Bild in Europa, aber auch innerhalb Amerikas. Als Lateinamerikanist ist er deshalb auch heute noch in den Ländern Süd- und Mittelamerikas bekannt und geschätzt.

 

Literatur:

Daum, Andreas W. Alexander von Humboldt. München: C.H. Beck, 2019.

Gebauer, Alfred. Alexander von Humboldt: Forschungsreisender, Geograph, Naturforscher. Berlin: Stapp Verlag, 1987.

Humboldt, Alexander. Ansichten der Natur. Berlin: Die Andere Bibliothek, 2019.

Schwarz, Ingo (Hrsg.): Alexander von Humboldt-Chronologie. In: edition humboldt digital. hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin 2017.

 

Humboldts „Ansichten der Natur“ wurden in diesem Jahr als Band 17 bei „Die Andere Bibliothek“ herausgegeben, ergänzt von sechs Farbtafeln, die nach Skizzen Humboldts entstanden sind. ISBN-13: 978-3847720256

 

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Bildquellen: [1]Quetzal-Redaktion_jf [2]CoverScan

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