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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Der Tod des Simón Bolívar

Javier Santos | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten
Lateinamerika - Der Tod des Simón Bolívar (237 Downloads )

Porträt von Simon Bolivar. Bild: Public DomainIn Lateinamerika gibt es einen Namen, den jeder kennt. Einen Namen, welchen nur wenige nicht mit dem Zeitraum der Unabhängigkeitskriege in Südamerika in Verbindung bringen. Ein Name, der unumgänglich genannt werden muss, wenn man von der Geschichte Lateinamerikas sprechen möchte, oder immer dann, wenn der Traum von einer Art Einheit der Völker des Südens angedacht wird.

Heute begehen wir den 180. Todestag von Simón José Antonio de la Santísima Trinidad Bolívar y Palacios Ponte y Blanco. Noch heute wird unter den Bürgern der Nationen, die er befreite und mithalf zu befreien, an jenen Mann erinnert, der während der lateinamerikanischen Unabhängigkeitskriege wegen seiner Führungsqualitäten und politischen und militärischen Visionen die Aufmerksamkeit vieler in der ganzen Welt auf sich lenkte. Bolívar bleibt, auch 180 Jahre nachdem er seine letzten Worte aussprach, für Millionen von Lateinamerikanern präsent. Vor allem für Venezolaner, Kolumbianer, Panamesen, Ecuadorianer, Peruaner und Bolivianer, welche Straßen entlang gehen oder Schulen und Universitäten besuchen, die seinen Namen tragen und sich auf Plätzen zusammenfinden, die ihm gewidmet sind. Ebenso wie für die Menschen, die heute zu Zeugen einer ganzen politischen Bewegung werden, welche angibt, nach den Vorstellungen des Befreiers zu handeln.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Simón Bolívar heutzutage, an vielen Orten Lateinamerikas präsenter ist denn je, aber es wäre falsch zu denken, dass sein Name je in Vergessenheit geraten ist. Die Umstände, welche seinen Tod begleiteten, bestätigen den Niedergang seiner Reputation in den letzten Jahren des Kampfes gegen die spanische Vorherrschaft in Amerika und des späteren Kampfes für ein vereinigtes Lateinamerika. Der politische Kraftaufwand, der sich beim Versuch, sein Projekt voranzutreiben, ergab, spiegelte sich in Feindschaften und Misstrauen auf Seiten der lokalen Führungskräfte wieder, die ihn dazu brachten, im Ausland Asyl zu suchen.

Am 17. Dezember 1830 tat Bolivar in der Hacienda San Pedro Alejandrino in der kolumbianischen Stadt Santa Marta seinen letzten Atemzug. Wochen vor seinem Tod hatte er entschieden, sich aus der politischen Arena zurückzuziehen, um so größere Konflikte zwischen Föderalisten und Zentralisten zu vermeiden, zwei politischen Strömungen, welche versuchten, die Frage, wie Kolumbien zu regieren sei, zu beantworten. Kolumbien war zu dieser Zeit nicht der Staat, wie wir ihn heute kennen. Damals stellten das Gebiet des heutigen Panama, Kolumbien (seinerzeit Nueva Granada), Venezuela und Ecuador ein Land dar. Zu Beginn des Jahres 1830 konnte Bolívar erkennen, wie sein Traum auseinander zu brechen drohte. Venezuela und Ecuador hatten sich bereits von Nueva Granada getrennt und hinterließen damit ein Loch in der Gran Colombia. Fast ein Jahr nach seinem Tod, im November 1831, zerfiel das Projekt endgültig.

Seine letzten Briefe, Verkündigungen und Testamente, welche in der Hacienda San Pedro Alejandrino verfasst wurden, belegen, dass er bis zum letzten Moment bei klarem Verstand war. Ebenso sind diese Dokumente ein Zeichen des Pessimismus, der ihn am Ende seiner politischen Karriere überkam. Am 10. September 1830 schrieb er an General Juan José Flores, seinerzeit Präsident Ecuadors:

„Sie wissen, dass ich zwanzig Jahre regiert habe und nicht mehr als zu einigen wenigen, wahren Schlussfolgerungen gekommen bin: 1. Amerika ist für uns nicht regierbar. 2. Der, der einer Revolution dient, gibt sich dem Unsinn hin. 3. Das Einzige, was in Amerika getan werden kann, ist zu emigrieren. 4. Dieses Land wird narrensicher in die Hände der zügellosen Masse fallen, um danach von fast unbekannten, kleinen Tyrannen übernommen zu werden. 5. Ausgerottet durch Verbrechen und ausgestorben an der Wildheit werden sich nicht einmal die Europäer dazu herablassen, uns für sich zurückzuerobern. 6. Wenn es möglich wäre, dass ein Teil der Erde zurück zum primitiven Chaos gelänge, wären dies die letzten Momente in Amerika … Mein Rat als Freund an Sie: Wenn Sie sich irgendwann kurz vor dem Verlust Ihrer Position sehen, verlassen Sie sie mit Ehren von sich aus: Niemand stirbt an Land an Hunger.“ (Brief von Bolivar an den General Juan José Flores, vom 9. November 1830)

Das Exil am Fluss Magdalena

Im Juni 1830 erreichte Bolívar Cartagena de Indias an der karibischen Küste Kolumbiens. An diesem Punkt konnte niemand mit Sicherheit sagen, wohin ihn seine Reise, sein Exil führen würde. Jamaika, Europa, England waren einige der vermuteten Ziele.

Am 1. Dezember 1830 gelangte er nach dem Überqueren des Flusses Magdalena nach Santa Marta. Im Rollstuhl sitzend, wurde Bolívar von den Getreuen, die ihn begleiteten, vom Schiff getragen. Der französische Arzt Propére Révérend und der amerikanische Marine-Chirug George MacNight untersuchten ihn bei seiner Ankunft und stellten gemeinsam fest, dass der Befreier an einer Lungenkrankheit litt.

Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich von Tag zu Tag, aber sein Verstand blieb klar. General Rafael Urdaneta verharrte an seiner Seite und Bolívar verbrachte seine letzten Tage damit, Urdaneta bei der Suche nach Lösungen zu den fortbestehenden Differenzen zwischen den verschiedenen bolivarianischen Fraktionen zu unterstützen.

Bolívar starb als gläubiger Katholik. In den letzten Momenten seines Lebens beschloss er, seinen Glauben wieder anzunehmen, von dem er wegen der Politik und aufgrund seiner Erfahrungen Abstand genommen hatte. Auf seinem Totenbett hatte er sich für, wie es der Historiker John Lynch beschreibt, „einen großen Sprung ins Nichts oder für die letzte Reise eines Christen“ entscheiden müssen. (Lynch 2006:277). Bolívar, der von José María Esteves, dem Erzbischof Santa Martas geleitet wurde, entschied sich für Letzteres.

Seine sterblichen Überreste wurden zunächst in der Kathedrale von Santa Marta begraben, bis José Antonio Páez, der damalige Präsident Venezuelas, 12 Jahre später, die Überführung des Leichnam nach Caracas organisierte und auf diese Weise dem im Testament aufgeführten, letzten Willen des Befreiers erfüllt: „Es ist mein Wille, dass meine sterblichen Überreste nach meinem Tod, in Caracas, meiner Heimat, aufbewahrt werden“. Zudem war es aber auch ein politisches Manöver, welches den Anfang eines fast religiösen Kultes um die Figur des Simón Bolívar darstellen sollte.

Am 16. Dezember 1842 wurde sein Sarg zunächst im Hafen von La Guaira, 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt, in die Kirche in San Francisco und im Anschluss in die Kathedrale von Caracas gebracht. Allerdings endete die Odyssee hier nicht. Am 28. Oktober 1876 wurden die sterblichen Überreste erneut exhumiert und schließlich im neu konstruierten Panteón Nacional de Venezuela deponiert, wo sie bis heute ruhen.

Autoren, wie John Lynch, zögern nicht zu behaupten, dass die Verehrung der Figur Simón Bolívar über die „Wirklichkeit des Mannes“ hinausgeht (Lynch 2006:302) und dass nicht Bolívar, sondern Präsidenten und venezolanische Anführer wie Páez es waren, die sich selbst zu Erben des Werkes und des Andenkens an den „Befreier” machten. Nach Lynch hielt sich die Erinnerung an seine Erfolge und Heldentaten eigenständig am Leben: „Erst wegen purer Bewunderung. Danach aus Respekt. Und schließlich als reine Propaganda, die einer Reihe von Interessen dient.” (Lynch 2006:302)

Literatur
John Lynch. Simón Bolívar, A life. Yale University Press. 2006.
Norbert Rehrmann. Simón Bolívar. Die Lebensgeschichte des Mannes, der Lateinamerika befreite. Verlag Klaus Wagenbach. Berlin 2009.
Carta de Simón Bolívar a Juan José Flores
Testamento de Simón Bolívar

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Bildquelle: Public Domain

3 Kommentare

  1. jan z. volens sagt:

    Die Feststellung des Autors dieses Artikels: „In Lateinamerika gibt es einen Namen den jeder kennt!“ Ohne Zweifel, die „Gebildeten“ wissen ueber die Figur Simon Bolivar in der Geschichte – aber „jeder“ kaum: In Brasiliens ist die grosse Figur „Tirandentes“(ein Offizier) und Bolivar ist fuer die Brasilianer ein „latinoamericano“ – wie die Brasilianer, welche sich als „Brasileiros“ sehen, die Spanischsprachigen nennen! Im Cono Sur ist San Martin (ein Offizier) der Befreier, in Zentral America war es Morazan, und in Mexiko „el padre Hidalgo“ (der Priester von Dolores Hidalgo). Die wichtige Person im Lebem Simon Bolivars war seine kaempferische Geliebte, die Ecuadoriana MANUELITA SAENZ. Bolivar hatte auch etwas Abkunft von Afrikanern – eine seiner Ahninen in vorherigen Jahrhunderten. Bolivars Familie waren Multimillionaere und in seiner Jugend reiste er durch Europa mit seinem eigenen Tutor. Wie Napoleon war Bolivar ein furchtloser Krieger und wie Napoleon wurde er nie verletzt. Der Befreiungskrieg in Suedamerika war viel totaler als aehnliche Kriege zur dieser Zeit in Europa: Gefangene wurden fuesiliert.

  2. jan z. volens sagt:

    Berichtigung: Die Figur in Brasilien is TIRADENTES (nicht Tirandentes) = „der welcher die Zaehne ausreist“ – also ein „praktischer Zahnarzt“ (heute heisst so ein Spezialist in Englisch „Extractor“). Tiradentes war im Hauptberuf ein Offizier der portugiesischen Armee.

  3. Pingback: Muerte de Simón Bolívar « Bitácora de Occidente

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