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Artikel

Krausz, Luis S.: Verbannung

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Über das Leben deutsch-österreichischer Juden in Brasilien

Luis S. Krausz: Verbannung.

Luis S. Krausz: Verbannung. Hentrich & Hentrich Verlag Berlin 2013.

Es ist schon merkwürdig – beim Lesen dieses Buches kamen mir anfangs zwei andere, viel ältere Bücher in den Sinn. Es war allerdings weniger der Inhalt als viel mehr die Stimmung, an die ich mich erinnerte und die Assoziationen schuf. Der von der modernen Welt angewiderte Held, der irgendwie auch mit Verachtung auf seine Umgebung blickt, dürfte Rainer Maria Rilkes „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ entstammen. Den verarmten Adligen, der sich verzweifelt bemüht, den Schein einstiger Noblesse zu bewahren, kann ich keinem Buch mehr zuordnen, es könnte eines von den Brüdern Goncourt gewesen sein.

Der Held des Buches von Luis S. Krausz ist der Enkel europäischer Juden, die vor der „großen Katastrophe“ nach Brasilien kamen und sich in São Paulo ansiedelten. Seine Großeltern waren als recht wohlhabende Geschäftsleute nach Südamerika gekommen, das bewahrte sie vor dem Schicksal der meisten europäischen Juden, denen die Flucht vor dem Genozid gelungen war und die ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen mussten. Die Zeugnisse europäischer, vornehmlich deutsch-österreichischer Kultur wie Bücher, Musik, Möbel oder Haushaltsgegenstände, die seine vorfahren nach Brasilien bringen konnten, blieben auch für den Helden ein ständiger Bezugspunkt.

Die Eltern und Großeltern des Ich-Erzählers Krausz fühlten sich als Deutsche und versuchten, auch in der Neuen Welt als solche zu leben. Deutschland und die Deutschen bleiben der Fokus für die Familie, der allein gültige Maßstab. Das Bestreben dazuzugehören, nicht länger Außenseiter zu sein, das das Leben in Europa prägte, wird in Südamerika zur Beschwörung einer Idylle, die es nie gegeben hat – Deutschland, deutsches Leben werden verklärt, als hätte es die Nazis und den Genozid nie gegeben. Eine solche Idealisierung und Umdeutung des verlorenen Lebens ist für Emigranten offensichtlich nicht ungewöhnlich, ebenso wenig wie die Weitergabe dieses Denkens an die nachfolgenden Generationen. Krausz beschreibt, wie er sich als Kind und Jugendlicher bemühte, ebenfalls ein Deutscher zu sein und den imaginierten hohen Ansprüchen eines modernen deutschen/europäischen Lebens zu genügen. Deshalb wollte er vor allem akzentfrei deutsch sprechen und litt darunter, dass die deutschen Geschäftsleute in São Paulo reicher waren und die besseren deutschen Autos fuhren. Zeigte das doch, dass die Familie Krausz nicht dazugehörte, und das nicht nur, weil der eigene Wohlstand mehr und mehr schwand. Aber man fühlte sich auf jeden Fall anders, vielleicht sogar besser als die Brasilianer. Man war bemüht, sich „vor allem allzu Brasilianischen zu bewahren“ und „vom ungehobelten Volk“ zu unterscheiden.

Wenn Krausz das Leben seiner Großeltern in Europa beschreibt – unser Leben, wie er es nennt – dann ist man sich beim Lesen nicht ganz sicher, ob er nicht eigentlich dabei gewesen ist. Der Protagonist lebt nach wie vor mit diesen Orten, an denen er selbst nie gelebt hat. Er wird nach wie vor beherrscht von Erlebnissen und Erfahrungen, die eigentlich nicht seine sind. Und obwohl er aus eigenen Europaaufenthalten von der Brüchigkeit der „ererbten“ Erinnerungen weiß, vermag er es nicht, diese Vergangenheit loszulassen. Er bewahrt die Familienschätze im Keller einer geerbten Wohnung, die er sich eigentlich nicht mehr leisten kann.

Ich muss zugeben, dass mich Krausz‘ Stil am Anfang etwas nervte, weil er mir ziemlich manieriert erschien, weshalb mir wohl auch andere Bücher in den Sinn kamen. Aber dieser Eindruck verlor sich sehr schnell. Die Schilderung der Schicksale jüdischer Emigranten in Brasilien, der Schrecken und Absurditäten der Verbannung hat eine Dichte, die mich mehr und mehr fesselte, und festhielt.

Luis S. Krausz: Verbannung.
Hentrich & Hentrich Verlag Berlin 2013.
ISBN 978-3-942271-81-3

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