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Mujica, Bárbara: Meine Schwester FridaSeemann, Anette: Ich habe mich in eine Heilige verwandelt

Nora Pester | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

…mein Bauch war voll von Anarchisten…

Und jeder Einzelne von ihnen hatte in irgendeiner Ecke meiner Därme seine Bombe gelegt.“ Dieses Zitat stammt aus einem Brief von Frida Kahlo, den sie unter dem Eindruck einer Nierenentzündung und starken Leibschmerzen im Jahre 1939 verfaßte. Es beschreibt jedoch weit mehr als einen temporären physischen Zustand, ist Ausdruck des täglichen Kampfes mit ihrer Krankheit und ihrem zerrissenen Sein, berstend vor Schmerz und vor Stolz.

Im Heft Nr. 17 stellten wir an dieser Stelle das „Gemalte Tagebuch“ der Frida Kahlo vor, erschienen 1995 bei Kindler. Jetzt widmen sich zwei neue Bücher der berühmtesten Malerin Mexikos. „Ich habe mich in eine Heilige verwandelt“ von Annette Seemann erschien in der Reihe „Rebellische Frauen“ im List Verlag. Die Autorin nährt in ihrer Biographie keine neuen Spekulationen, sondern beleuchtet alle Facetten dieser ungewöhnlichen Frau. Ihr gelingt eine behutsame Annäherung an das Leben und die Bilder der Kahlo, deren Entstehungsgeschichte sie aus dem biographischen Kontext heraus skizziert. Seemann beschreibt den Aufstieg der Kahlo zur Kultfigur der Frauenbewegung, zur Revolutionärin und Heiligen, in die sie ihr Martyrium verwandelt. Auch der Leser sieht sich mit teilweise unerträglichen physischen und psychischen Qualen konfrontiert.

Nach überwundender Kinderlähmung verändert ein tragischer Verkehrsunfall das Leben der jungen Frida. Neben vielfachen Frakturen wird ihr Unterleib regelrecht von einer Eisenstange durchbohrt. Dieses traumatische Erlebnis und seine Folgen werden zur Quelle ihres künstlerischen Schaffens, in dessen Mittelpunkt ihr Frausein, ihr Körper, seine Anatomie und Verletzbarkeit rückt. Kahlo macht sich zum Objekt ihrer Therapie, zum Hauptthema ihrer Kunst. „Sie ist wie ein farbiges Band um eine Bombe!“, beschrieb einst Andre Breton die Malerin.

Barbara Mujica erzählt mit „Meine Schwester Frida“, erschienen bei Krüger, in Romanform das Leben der Kahlo aus der Sicht ihrer Schwester Cristina. Diese Perspektive erscheint ungewöhnlich, sogar gewöhnungsbedürftig. Sie vermittelt eine Intimität, der der Leser zunächst mißtraut. Auch der Umschlag, auf dem ein Szenenfoto aus dem Kinofilm Frida mit Selma Hayek in der Hauptrolle abgebildet ist, wirkt befremdlich. Er unterstreicht jedoch die sich im Roman vollziehende Auflösung der Grenze zwischen Realität und Fiktion. Kann eine Biographie überhaupt die Realität widerspiegeln? Erweckt sie in uns nicht nur die Illusion von Wahrheit? Wäre es nicht ehrlicher, alle Biographien in Romanform zu verfassen? Mujica wagt dieses Experiment und verwandelt sich in diesem Prozeß selbst in eine imaginäre Schwester. Cristina wird neu erschaffen, einzig zu dem Zweck, eine Augenzeugin der Kahlo zu sein. In einer ausführlichen Anmerkung betont die Autorin die Fiktionalität dieses Romans, dessen Rahmen Fakten aus dem Leben der Frida Kahlo und der mexikanischen Geschichte bilden. .Meine Schwester Frida habe ich in der Absicht geschrieben, Frida Kahlo in ihrem Wesen zu erfassen, nicht, ihr Leben zu dokumentieren.“ Es entsteht auf diese Weise auch ein Sittenbild Mexikos in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das von Antisemitismus, Katholizismus, Kommunismus und diversen anderen Antagonismen durchzogen ist.

Frida wird schon als Kind von ihrer Umwelt als exzentrisch, egoistisch und außergewöhnlich begabt wahrgenommen. Als Tochter eines Fotografen deutsch-ungarischer Abstammung und einer katholischen Mestizin steht sie von Anfang an dazwischen, ist die andere mit dem Blick für das Andere. Die Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft, mit den Erniedrigungen der Kindheit beeinflußt maßgeblich ihre Arbeiten und verleiht ihnen einen unverwechselbaren hybriden Charakter. „Doch die beiden Dinge, die sie wirklich von den anderen unterschied, daß sie Jüdin war und lahm, versuchte sie zu vertuschen. Sie versuchte die Welt davon zu überzeugen, daß sie mexikanischer war als die Heilige Jungfrau von Guadalupe und die körperliche Geschicklichkeit eines Alfredo Codona hatte.“, sagt Cristina.

Im Mittelpunkt des Romans stehen jedoch psychologische Mutmaßungen über die Grundfrage menschlicher Beziehungen: Warum tun wir denjenigen weh, die wir aufrichtig lieben? Das gilt sowohl für die Geschwisterbeziehung als auch für die Ehe mit Diego Riviera. Die schwesterliche Rivalität wird nicht nur um Anerkennung, sondern auch um denselben Mann ausgetragen. Alle Beziehungen der Kahlo kreisen um Vertrauen und Verlust. Fast scheint es, als provoziere sie Affären und Enttäuschungen, um die Quellen ihrer Inspiration – Liebe und Haß – nie versiegen zu lassen.

Mit beiden Büchern treffen auch zwei sehr unterschiedliche Autorinnen aufeinander. Barbara Mujica ist sowohl von der nord- als auch von der südamerikanischen Romankultur geprägt, während Annette Seemann, trotz ihres unterhaltsamen Erzählstils, der europäischen Dokumentation verpflichtet ist. Beiden gelingt das einfühlsame Portrait einer Legende, einer faszinierenden Künsterlin, einer selbstbewußten und doch verzweifelten Frau, gesehen durch die Augen zweier Frauen.

Bárbara Mujica
Meine Schwester Frida

Aus dem amer. Englisch von Elisabeth Müller
Krüger Verlag 2002

Annette Seemann
Ich habe mich in eine Heilige verwandelt

Frida Kahlo
List Verlag 2002

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