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Einmaliges Gedicht vom Meer

Manolo Cuadra* | | Artikel drucken
Lesedauer: 2 Minuten

Auf Coconut Island,
wenn sich die Sonne wiegt in den
Hängematten der Palmen,
nimmt Miss Christine Braughtigam,
Tochter einer inselbürtigen Negerin
und eines alten Piraten aus Holland,
ein Meeresbad in der Unendlichkeit
seiner Wasser.

 

Ihre zimtfarbene Haut,-
vielmals gegart in den Hochdruckkesseln
der Tropen
und auf den Rosten des Juli und August.

 

Ihr Körper, freudig und schlank wie der einer
Binse im Nebel,
glänzt wie ein Regenbogen im Silber
der Wellen,
im Email von Fischen und zwischen kleinen
Polypen.

 

Umschlossen vom Feuer ihres Badetrikots,
taucht Christine Braughtigam hinab in die
Wasser
wie eine Glut, die erlischt.

 

Von ihren kühlen Beobachtungsständen auf den
Wipfeln der Kokospalmen
rufen Tupfen von Inselvögeln
ihr SOS der Bestürzung,
weil eine treulose Welle
mit paradiesgrünem Wams und hellweißem
Schlund
forttragen könnte die Perle aus Zimt.

 

Auf der Insel, wo sich Kokospalmen gelassen
bewegen
und den Himmel mit frohen Gedanken
verzieren, sucht Christine weit draußen die Liebkosung
des Meeres.

 

Doch wer vermöchte den Drang ihres
schwarzen Blutes zu stillen!

 

O der blonden Schiffsjungen Jammer,
die die schwarze Mole
zwischen den Mädchenbeinen verlassen,
wie traurig ist es, wie traurig,
traurig für immer!

 

Jenseits des Wassers gleicht sie dem Geiger,
der ohne Geige und Bogen vor seinen
Zuhörern steht.
Salzige Tränen weinen die Felsen,
„Schade“, sagen die schlüpfrigen Fische,
und auf dem glatten Sand stranden die Algen.
Unvollkommen ist Miss Braughtigam ohne das
Wasser,
denn nur das Meer von Coconut Island ist ihr
Element.

 

In den Wassern wiegt sich Miss Braughtigam,
schläft bei der Palmen mütterlicher Musik.

 

Auf Coconut Island betritt,
wenn in den grünen Hängematten die Sonne
sich wiegt,
Miss Christine Braughtigam,
Tochter einer inselbürtigen Negerin
und eines alten Piraten aus Holland,
Ihre grünen atlantischen Auen, um ihre Herden
von Polypen und Fischen zu weiden.

 

Coconut Island,
wo ich die Öde meines Exils im Angesicht des
Atlantiks begreife,
während Bananen und Datteln verbrennen,
und ihre Sklavenlieder singen die Neger
gleichgültig
zwischen dem schwankenden Rohr
und dem dumpfen Rauschen des Wassers.

 

* Dichter der nikaraguanischen Avantgarde (1907-1957). Deutsch von Uwe Grüning aus: Moderne Lyrik aus Nikaragua

 

(c) by Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Philipp Reclam jun. Leipzig

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