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Die Geschichte eines Mannes

Fernando López | | Artikel drucken
Lesedauer: 15 Minuten

An diesem Tag war es ihm unmöglich, den riesigen Berg unerledigter Briefe vor ihm auf dem Schreibtisch zu bewältigen. Er würde Hilfe brauchen, um damit fertigzuwerden. Sein Job bei der Zeitung langweilte ihn außerordentlich, und er hatte nicht die nötige Geduld.

Er hielt sich vor, nicht auf seinen Vater gehört zu haben, der immer gewollt hatte, daß er studierte. Ihn interessierten andere Dinge. Eigentlich war er ein Müßiggänger. Die Sekundärschule hatte er schon nach dem zweiten Jahr verlassen, versicherte aber gewöhnlich, daß er das vierte Jahr beendet und nur aus finanziellen Gründen das Abitur nicht habe machen können.

Er war deprimiert. In den letzten Wochen kam unglaublich viel Post. Seine Arbeit bestand darin, alle ankommenden Briefe zu lesen, das wichtigere Geschwätz herauszusuchen und zusammenzufassen. Das erforderte keine besonderen Fähigkeiten, aber er fand es unerträglich; er hatte restlos die Nase voll davon. Es gab Gelegenheiten, da er seine ganze Wut an den Briefen ausließ und sie auf den Boden warf; anschließend mußte er sie natürlich wieder zusammensuchen und ordnen. An diesem Tag war er nicht in Stimmung für so etwas.

Er achtete penibel auf sein Äußeres und auf seinen Ruf. Dennoch lebte seine Persönlichkeit in einem ständigen Kampf mit sich selbst: sie schwankte zwischen dunkel und hell, gut und böse. Er war in sich gekehrt, nachgiebig aus Bequemlichkeit, und seine Schüchternheit hatte er von seinem Vater, der gehemmt und von geringer Willenskraft gewesen war. Er verdiente sehr wenig, es reichte nur knapp zum Leben. Er mußte täglich ein paar Überstunden machen, um seine Gier nach Süßigkeiten zu befriedigen, ein krankhaftes Verlangen nach Bonbons und gewissen köstlichen Pralinen mit Zimtgeschmack, und um an den Wochenenden ein Bordell aufzusuchen, denn er hatte keine Frau.

Er war der Meinung, daß Frauen in einem Haus nur lästig waren und übermäßige Kosten verursachten. Einmal verliebte er sich, aber er verlor nicht seine konservative Bedachtsamkeit: er erwog ernsthaft die Möglichkeit, mit der Frau zusammenzuleben, jedoch schloß das Ergebnis seiner Analyse diese Möglichkeit aus, und so gab er seine Liebe wieder auf.

Von den Frauen, die mit ihm im Büro arbeiteten, gefiel ihm Claudia. Ihn faszinierten ihre großen schwarzen Augen, in deren Blick immer etwas Lauerndes zu liegen schien. Außerdem hatte sie eine phänomenale Figur. Er bewunderte, wie sie sich stets elegant und mit verschwenderischem Luxus kleidete. Claudia hatte ein Auto, das nicht mehr ganz neu war, sie gab viel Geld für Parfüms, Cremes, Make-up und andere Schönheitsartikel aus und wurde außerdem häufig in Nachtclubs gesehen. Er war sicher, daß sie ihre Arbeit nur aufgeben würde, wenn sie den Mann ihrer Träume gefunden hatte: einen Mann mit einem respektablen Bankkonto, einem superschicken Auto, einem Haus in einem der besseren Viertel und, nicht zu vergessen, dieser Mann mußte außerdem schön wie Adonis sein. Claudias Urteil über ihn befand sich im Verhältnis umgekehrter Proportionalität zu seinen Ansichten über Claudia: für sie war er einfach Luft. Maria war eine andere Kollegin. Er fand sie puritanisch und schätzte ein, daß sie eher ins Kloster gehen würde als sich mit einem Mann einzulassen; er war überzeugt, daß sie im Bett nichts taugte. Man sagte, sie habe ein nicht unbeträchtliches Sparkonto, aber die Vorstellung eines Lebens mit ihr fand er wenig verlockend. Ein ganz anderer Fall war Esther: sie zog ihn unwiderstehlich an. Sie war nicht so hübsch wie Claudia, aber ihm gefiel ihre Art, und er stellte sich vor, daß sie eine Meisterin des Liebesspiel sei.
Ohne Interesse an einer festen Beziehung lud er sie ein paar Mal zum Ausgehen ein, aber sie lehnte immer ab, nicht mal ins Kino wollte sie mit ihm gehen.

Er hatte auch seine Erfolge gehabt, zum Beispiel mit Matilde – der Putzfrau. Sie hatten ein paar Liebesnächte zusammen verbracht, aber er war nicht der einzige gewesen: Matilde hatte mit den meisten seiner Kollegen ein Verhältnis gehabt, obwohl sie verheiratet war. Ein anderer seiner Erfolge war Doña Placida gewesen, einer Frau von 58 Jahren, der er viel verdankte. Sie war eine stattliche Erscheinung und kerngesund. Sie war nicht nur elegant, sondern strahlte eine natürliche Vornehmheit aus, die ihn fesselte. Die Hitze der Doña Placida stand in keinem Verhältnis zu ihrem Alter. Ab und zu, als Dankeschön für seine Dienste, schenkte sie ihm Unterhosen und Socken und andere Dinge. Durch sie hatte er die Gelegenheit gehabt, einige teure Gaststätten und Stundenhotels kennenzulernen, wo sie sich an ihm ergötzte und wo er sich sehr wohl gefühlt hatte.

Er hatte ein zufriedenstellendes Verhältnis zu den anderen Kolleginnen, aber sie waren entweder unerreichbar oder interessierten ihn nicht.

Er war 28 Jahren alt und manchmal dachte er, daß es nicht 28 waren, sondern 50 oder 60 oder 70. Sein Leben fand er sehr monoton. Seine 28 Jahre erschienen ihm wie ein altes und abgenutztes Dokument. Er dachte, daß sein Leben besser wäre, wenn er ein Tier sei: er idealisierte die Tierwelt. Er dachte, wenn er ein Tier wäre, besäße er keine Urteilsfähigkeit und müsse daher nicht mit Beginn jedes neuen Tages leiden, nicht nachdenken und sich nicht fragen, ob sein Aufenthalt auf der Erde überhaupt Sinn habe. Wie schön wäre es, ein Tier zu sein! Ah, aber nicht irgendein Tier. Es würde ihm gefallen, eine Fliege oder eine Kakerlake zu sein, die den meisten Menschen einen unbegreiflichen Abscheu einzuflößen schienen.

Wenn er eine Maus sein könnte, welch angenehme Vorstellung! Ohne Zweifel würde er alles auf seinem Weg Liegende annagen. Er wäre auch zufrieden gewesen als Mikroorganismus im Eiter oder im After- oder Nasenschleim, oder als Strepto- oder Staphylokokke oder als einer jener Würmer, die sich nur in verwesendem Fleisch wohlfühlen.

Er hatte es unendlich satt. Er ertrug sein Leben in dieser verfluchten Stadt nicht mehr; einer Stadt, die ihm wie ein Monster mit siebentausend ungestalten und grotesken Köpfen erschien. Die Vereinigten Staaten waren sein Traumland: das Land der Dollars, das Land fantastischer Lebensformen und unvergleichlicher Möglichkeiten, das Land unbegrenzter Hoffnungen. Er bemühte sich, über die Neuigkeiten in Politik und Gesellschaft der USA auf dem laufenden zu sein. Mehr als jeder andere jammerte er, daß sein kleines Land nicht eine Kolonie der USA war und seine Landsleute keine amerikanischen Staatsbürger. Dummerweise hatte ihm die amerikanische Botschaft ein Einreisevisum verweigert, und er hatte nicht genügend Mut, illegal einzuwandern.

Durch die Lektüre der Briefe, die die Redaktion erreichten, erhielt er Kenntnis von zahllosen Klatschgeschichten über Leute aus der „high society“ seines Landes. An diesem Tag hatte er schon drei Anekdoten ausgesucht, die ihm ausgezeichnet gefielen. Die erste berichtete von einer schon etwas in die Jahre gekommenen Dame, die sich umbringen wollte, weil sie im Spiel ihr Kapital und ihre Juwelen verloren hatte, ebenso wie ihr Auto und ihr Haus, und die zu guter Letzt ihrem Spielgegner auch noch ihren Hintern hatte zur Verfügung stellen müssen. In der zweiten Geschichte fiel die Hauptrolle einer jungen Dame zu, die sich von ihrem Ehemann betrogen sah. Sie erwischte ihn mit einer ihrer besten Freundinnen mitten in sexueller Schwerstarbeit auf der Toilette des Kasinos, das sie besuchten, legte auf ihn an und wollte ihm den Kopf wegschießen. Die dritte Geschichte schließlich handelte von dem
Geschäftsführer einer Bankfiliale: um die Verschwendungssucht seiner Frau zu finanzieren und die Wünsche und Launen seiner Geliebten zu befriedigen – einem siebzehnjährigen Mädchen, das eine Figur wie die sagenhafte Marilyn Monroe besaß – nahm er häufig Geld aus den Tresoren der Bank, und als bereits mehrere Millionen fehlten, entschloß er sich zum Versicherungsbetrug, aber das Glück verließ ihn, und der Schwindel flog auf.

Er fühlte einen Schauer den Rücken hinablaufen, wenn er daran dachte, was Maria zu ihm gesagt hatte, als er das Büro betrat. Hin, den Stutzer, hatte sie mit der Bemerkung begrüßt, er sei ja wohl nun auch nicht mehr der Jüngste. Er konnte heute unmöglich die gesamte Korrespondenz bewältigen und die fällige Zusammenfassung schreiben. Er hatte vielmehr das Bedürfnis, auf die Briefe zu pinkeln und seinen Darm zu entleeren und dann aus dem Büro zu verschwinden, ohne irgendjemandem Rechenschaft abzulegen. Seit dem Aufstehen bedrängte ihn das Verlangen, sich gegen den täglichen Trott zu erheben und gegen alles zu rebellieren.

Als er an diesem Morgen vor den Spiegel trat, fand er nicht wie gewöhnlich beim Hineinschauen sein Konterfei vor. Er stellte fest, daß das Konterfei sich bereits rasiert hatte; auf der anderen Seite des Spiegels bemerkte er winzige Blutstropfen im Waschbecken – untrüglicher Beweis der Unfähigkeit seines Gegenübers. Er dachte, daß das Konterfei vielleicht einen wichtigen Termin hatte, und deshalb nicht erscheinen konnte. Er konnte den Gedanken nicht akzeptieren, daß sein anderes Ich es vielleicht satt hatte, ihn zu sehen. Der Anblick des Berges von Briefen und Papieren auf seinem Schreibtisch ließ ihn nachhaltiger erschaudern, als wenn er an einem Marathon hätte teilnehmen müssen – er war ein geachtetes Mitglied im Herrenclub der Sportgegner. In der letzten Nacht hatte er sowieso nicht gut geschlafen, ein schrecklicher Alptraum hatte ihn gequält. In seinem angstvollen Traum mußte er vor einer Meute wütender Hunde fliehen, die ihre spitzen Zähne in sein Fleisch schlagen wollten.

Er hegte einen tiefen Haß gegen sich selbst. Dies war ganz gewiß nicht sein Tag. Hin bedrängte eine schmerzhafte Unruhe. In seinem durch die Beklemmungen verstörten Vorstellungsvermögen schien es ihm, daß die Briefe und Papiere, die er vor sich hatte, Eisen seien, die sich um seinen dünnen Hals legten, und er spürte das brennende Verlangen auszuspucken; er wollte pausenlos spucken und spucken, bis sich ein kleiner See bildete, sehr weiß, sehr still, ein erhabener See, außerordentlich geeignet, damit häßliche Fliegen sich darauf niederließen und im Klebrigen und Weißen der Feuchtigkeit lärmten, damit sie ihre Extasen lebten und auf ihren dünnen und haarigen Beinen den herrlichen Moment ihrer Kopulation genossen.

Sein Haß bewirkte einen unerträglichen Schmerz in seinem Bauch, geradeso als ob er einen bösartigen Tumor in sich hätte, der sich über ihn lustig machte und ihm die ungeheure Bedeutungslosigkeit seiner Existenz vor Augen führte. Er wußte sehr gut, daß keine seiner Unternehmungen Erfolg gehabt und daß er nichts Bedeutendes geleistet hatte – er betrachtete sich selbst als lächerliches Subjekt, und in seinen Selbstgesprächen verspottete er sich. Er stellte sich vor, daß sein Gesicht dem eines wütenden Stiers gliche. Die nackten Wände des Büros boten ihm nicht die Möglichkeit, seiner Wut Luft zu machen, wie er es gern getan hätte.

Sei Haß war ein gemeiner Haß, und er brachte es mit sich, daß er sich wie ein abscheuliches Wesen fühlte. Er wünschte sich, ein Gott zu sein und Macht über die Zeit zu haben, damit er die Zukunft verschwinden lassen könne. Seit seiner Kindheit hatte er eine entsetzliche Angst vor der Zukunft gehabt, eine Angst, von der er sich nicht befreien konnte. Die Zukunft war ein Geheimnis, vor dem er zurückscheute. Er stellte sie sich vor wie ein Frauenskelett mit einer Sense. Ihn widerte der Duft des Parfüms an, mit dem er sein auf Raten gekauftes geblümtes Hemd übergössen hatte.

Er hörte eine näselnde Stimme, und ihr Echo hallte donnernd in seinem Gehirn wider. Das Echo ließ ihm keine Ruhe: „…du bist eine Maschine, die nur zum Berichteschreiben taugt, du wirst nie die Gratulationen der Damen der ‚high society‘ verdienen, deine Arbeit bei diesem Schmierblatt ist zu nichts nutze, man hat dir alle Hoffnungen auf Glück geraubt, du bist nur ein großes Stück Scheiße, Scheiße, Scheiße,…, du bist…“ Er spürte Ekel, Widerwillen gegen sein inneres Elend.

Er konnte es nicht mehr ertragen. Seiner Brust entrang sich ein gequältes „neeeeeiiiiin…“, das trocken aus allen Ecken des Büros widerhallte und seine Kollegen in Unruhe versetzte. Er setzte die Grimasse eines Wahnsinnigen auf, die ihm vorzüglich geeignet schien, die Gesichter seiner Kollegen entgleisen zu lassen; eine hochmütige und machiavellistische Grimasse.

Sein sehr lautes „neeeeeiiiiin…“ nahm kein Ende. Die Kollegen umringten ihn. Matilde, in einem sauberen Kittel, den unvermeidlichen Besen in der Hand, bemerkte mit einem albernen Lachen zu den anderen: „Es scheint, als ob bei unserem Freund eine Schraube locker ist“.

„Sieht ganz so aus“, bestätigte Esther. „Allmächtiger im Himmel und auf Erden, beschütze und rette ihn“, rief Maria. Doña Placida schloß ihm vorsichtig den Mund und fragte ihn: „Was ist los, Joquinillo? Beruhige dich doch.“ Er stieß sie grob von sich und fuhr mit seinem verzweifelten Schrei fort: „neeeeeiiiiin…“ Doña Placida und die anderen wichen zurück. Sie verlangte, daß man unverzüglich den Notarzt rufe, damit so schnell wie möglich eine Ambulanz käme und ihn mitnehme.

„Ja, das ist wohl das Beste, er hält die ganze Arbeit auf; er müßte eigentlich am besten wissen, wieviel wir zu tun haben“, stellte jemand fest und ging zum Schreibtisch, wo das Telefon stand.

„Ach! Ruf doch gleich das Irrenhaus an, der da (und sie zeigte auf ihn) hat doch sowieso den Verstand verloren“, bemerkte Claudia sarkastisch.

„Claudia, bitte, hab doch Mitleid mit dem Ärmsten. Er hat seine Seele verloren, weil er in Sünde gelebt hat“, bat Maria.

„Ich hab ja Mitleid mit dem armen Verrückten. Daß er nicht mehr bei Trost ist, liegt daran, daß er verrückt ist. Du hast es selbst gesagt, bloß mit anderen Worten. Das einzige, was ich tue, ist die Dinge beim Namen zu nennen, und wenn er verrückt ist, ist es für meine Begriffe das Vernünftigste, das Irrenhaus anzurufen. „

„Claudia hat recht, er ist verrückt geworden“, fügte einer hinzu.

„Ich hab’s euch doch schon gesagt, bei ihm ist eine Schraube locker“, sagte Matilde.

„Verrückt geworden“, wiederholte einer.

„Ja, er ist verrückt“, bekräftigten alle.

Sie waren sich einig, daß es das Vernünftigste war, ihn in eine Irrenanstalt einweisen zu lassen. Die Angst bedrückte sie, daß er einen jener berüchtigten Anfälle bekommen könnte, wie man sie bei Verrückten manchmal im Fernsehen beobachten konnte, und daß er in seiner Wut mit Fäusten oder Fußtritten oder mit Kopfstößen auf sie losgehen würde.

Er beobachtete die Anwesenden aus sehr kleinen Augen. Er war überzeugt, daß er ein ungewöhnliches Schauspiel bot. Er dachte, daß der Wahnsinn weniger gefährlich sei als die Realität. Er war sich bewußt, daß der Wahnsinn der einzige Ausweg vor seiner eigenen Hölle war. Er stellte sich vor, daß er als Verrückter wenigstens das nötige Selbstvertrauen für einen Versuch haben würde, das Unerreichbare zu erreichen. Ah! Er würde ein glücklicher Mensch sein: ein Menschen-Embryo, oder ein Embryo-Mensch, so wie das Wesen, das damals hartnäckig und ohne Bedenken versucht hatte, ans Licht zu gelangen und den Vorhang nach dem ersten Akt seiner Existenz zuzuziehen. Er nahm an, daß die Leute ihn nun einfach „den Verrückten“ nennen würden. Das zu wissen verschaffte ihm Genugtuung, denn er hatte seinen Namen immer verabscheut. Er würde sich seine eigene Welt erschaffen, kriechen, wohin er wollte, und überall einen kleinen Bach von Speichel zurücklassen. Er, der an Blähungen litt, hatte nun auch keinen Grund mehr, seine stinkenden Furze heimlich zu lassen. Er würde die Wirklichkeit verachten und würde sich ihr doch nicht stellen müssen, weil ihn ein gewaltiger Panzer gegen sie schützen würde. In seinem Leben als Verrückter würde er das Nichts lieben. Auch würde er in grober Weise Menschen verachten, die ihm wegen ihrer unfreundlichen Gesichter oder wegen ihres blöden Lächelns mißfielen. Ihn ergötzte der Gedanke, daß er alle Briefe verbrennen würde, derer er habhaft werden könnte. Er könnte gleich damit beginnen, doch er sagte sich: „Jetzt noch nicht, noch hat kein Arzt sein Urteil gesprochen, ich muß noch ein wenig warten. Wenn ich die Briefe und Papierberge verbrenne, werden sie mich bestimmt wegen Gewalttätigkeit und Beschädigung von Privateigentum festnehmen.“

Als sie ihn abholen kamen, wehrte er sich nicht. Seine Kollegen schauten ihn an wie ein exotisches Tier und gaben häßliche und sarkastische Kommentare ab, die ihn kaltließen; er dachte, daß sie früher oder später schon bemerken würden, wie elend die Lage war, in der sich ihr Leben abspielte, er war wenigstens schlau genug, sich für verrückt zu erklären. Er bedauerte, daß man nicht einmal ein Foto von ihm gemacht hatte, obwohl sein Fall nicht gerade gewöhnlich war. Es ärgerte ihn, daß er nicht in die Zeitung kommen würde, aber er sagte sich: „Es lohnt nicht, sich das Leben schwer zu machen, es geziemt sich nicht, das neue Leben so zu beginnen.“ Gleichzeitig hielt er es für zwingend notwendig, seinen Haß aus sich selbst aufzugeben. Es machte mehr Sinn, sich dafür zu lieben, daß er die Farce, die sein Leben bis dato gewesen war, endlich beendet hatte. Im Irrenhaus würde er von den großen und wichtigen Taten und Erfolgen seines Lebens erzählen. Er würde jeden, den er wollte, beschimpfen, ohne Bedenken, und er würde dabei wissen, daß niemand ihn dafür belangen konnte. Er würde darauf achten, nicht jeden Blödsinn zu machen, um zu vermeiden, daß er geschlagen oder mit Spritzen traktiert wurde. Sie steckten ihn in eine Zwangsjacke, während er sich an seinen Gedankengängen ergötzte, und führten ihn zum Ambulanzwagen, der ihn in sein künftiges Zuhause bringen würde. Als er in Begleitung von zwei Pflegern auf die Straße trat, liefen die Leute zusammen, um ihn aus der Nähe zu sehen. Die beiden Pfleger hoben ihn in den Ambulanzwagen. Das Auto setzte sich in Bewegung und entfernte sich schnell. Er dachte noch immer daran, daß er gewiß der klügste Verrückte aller Zeiten sein würde. In einem der kleinen Fenster des Ambulanzwagens sah er, daß sein Konterfei ihn bereits in einem der schmalen Gänge der Irrenanstalt erwartete ein breites Lächeln im Gesicht, weil er so spät zu dem Treffen erschien.

Übersetzung: Gabi Pisarz

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