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UNO/Brasilien: Klare Mehrheit lateinamerikanischer Staaten für militärischen Rückzug Russlands aus der Ukraine – Brasilien als Vorreiter

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Lesedauer: 3 Minuten

Auf der Sitzung der UN-Generalversammlung am 23.02.2023 haben 141 Staaten den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegenüber der Ukraine verurteilt und den – sofortigen, vollständigen und bedingungslosen – Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine gefordert. In der Resolution sind Friedensverhandlungen und vollständiger russischer Truppenabzug gleichrangig bewertet und aneinander geknüpft. Dabei positionierten sich dieselben 15 lateinamerikanischen Staaten, mithin mehr als drei Viertel des Subkontinents, wie noch vor einem Jahr für die Ukraine, trotz scheinbarer „Ukraine-Müdigkeit“. Eine solche Kontinuität konnte nicht erwartet werden: Zwischenzeitlich war prognostiziert worden, die politischen Schwergewichte Lateinamerikas, in erster Linie Brasilien, würden sich diesmal der Stimme enthalten. Dem war nicht so. Brasilien konnte aber auch nicht anders, denn kluger Weise hatte die Ukraine gerade seinen Vorschlag in ihren UN-Resolutions-Entwurf integriert. Womöglich mochte sich Präsident Lula da Silva, der ja in seinen Gesprächen mit Kanzler Scholz eigene Waffen-Lieferungen an die Ukraine ausgeschlossen hatte, nicht auch den westlichen Bitten diplomatischen Inhalts entziehen. In der Folge fand, neben der prioritären Forderung westlicher Demokratien nach vollständigem Abzug der russischen Truppen, auch der von Brasilien – dringlicher als vom Westen vorgetragene – Aufruf nach „Einstellung der Feindseligkeiten“ Eingang in den Resolutionstext. Der Passus „Verhandlungen für einen vollständigen, gerechten und dauerhaften Frieden“ entspricht dann (in dieser Diktion, ohne Zeitrahmen) sowohl den Intentionen des Westens als auch denen Brasiliens. Ein perfekter Kompromiss also. Brasilien, das letztens ambivalent gegenüber dem ukrainischen Verteidigungskrieg aufgetreten war, dürfte diese Entscheidung nicht leicht gefallen sein, auch wenn sich Lula gerade dadurch von Amtsvorgänger Bolsonaro (und dessen Sympathie für Putin) legitimatorisch absetzen kann. Brasilien hatte die Wahl, entsprechend seiner Verankerung in den BRICS, weiterhin als unverbrüchlicher Verbündeter Russlands aufzutreten oder seine traditionelle Neutralität zu wahren oder aber sich – dann in einer Reihe mit den USA – als Gegner der russischen Aggression zu verorten. Es hat sich für letzteres entschieden, da in diesem Fall Enthaltung nicht für Neutralität gestanden hätte, weil es keine Neutralität gegenüber Bruch von Völkerrecht und Menschenrechtsverletzungen geben kann und Brasilien nicht als Opponent der UN-Charta gelten wollte. Das ist umso bemerkenswerter als linke Regierungen traditionell nicht den USA folgen, erst recht nicht in Lateinamerika. Da es die USA sind, die bei der Unterstützung der Ukraine eine Vorreiterrolle spielen, blieb Brasiliens Abstimmungsverhalten innerhalb der Linken, vor allem im eigenen Land, nicht unumstritten. Dabei trägt doch speziell dieses zur politischen Profilierung der lateinamerikanischen pink tide bei, weg von linksorthodoxem Autoritarismus hin zu linksgeführter Demokratie, auch in der Außen- und Weltpolitik. Aber noch in anderer Hinsicht zeitigt Brasiliens Entscheidung weitreichende internationale Konsequenzen: Mit ihr hat – an der gegenwärtig zentralsten weltpolitischen Herausforderung – das für Russland relevanteste Staaten-Bündnis mit dem globalen Süden, die BRICS, versagt (zumal sich China, Indien und Südafrika in der UN-Abstimmung enthielten). Anders als von ihm herbeigeredet, kann Russland spätestens jetzt keinen Rückhalt des globalen Südens mehr für sich verbuchen, sondern allenfalls den Afrikas. Brasilien, als möglicher Vermittler im Ukraine-Konflikt, verspricht eine Verhandlungsmacht, die über den Status als regionaler Ankermacht hinausreicht – indem es eine Zwischenposition zwischen Waffenlieferungen zur Wahrung ukrainischer Territorial-Integrität einerseits und der Forderung nach unverzüglichen Friedenverhandlungen ohne Wahrung dieses ukrainischen Interesses andererseits einnimmt. Während China vonseiten der Ukraine angesichts seiner (wiewohl unterkühlten) Unterstützung für Russland kaum als unabhängiger Mediator angesehen werden kann, wohl aber Brasilien, kann Brasilien, obwohl es (diplomatisch) die Ukraine unterstützt, von Russland auch nicht als Feind betrachtet werden. Schließlich ist Russland auf den globalen Süden verwiesen, in dem aber, nach Indien, Brasilien wichtigste Führungsmacht ist. (Bildquelle: Quetzal-Redaktion, soleb)

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