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Guyana: Ressourcensegen führt zu weltweit höchstem BIP-Wachstum

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Lesedauer: 3 Minuten

Jahresbeginne haben es an sich, dass Bilanz für das Vorjahr gezogen wird: War mit lediglich 3,7% die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Lateinamerika und der Karibik schon 2022 bescheiden, so wird sie, so die CEPAL-Prognose, 2023 noch weiter sinken: auf 1,3%. Deshalb will man es kaum glauben, dass gleichzeitig, 2022, ein ökonomisch eher marginales Land diese Entwicklung vollkommen konterkarierte und das mit immerhin 52% BIP-Wachstum: Guyana! Venezuela folgte ihm im selben Jahr auf dem nächsten Platz in der Region, allerdings mit 40% Abstand. Guyanas Finanzminister Ashni Sing konstatierte 2022 sogar eine Steigerung von 62,3% für sein Land. Selbiges nimmt hierbei aber nicht nur in Lateinamerika und der Karibik den Spitzenplatz ein, es ist sogar weltweit führend. In der Regel zeugen derart hohe Steigerungen davon, dass die entsprechende Rate zuvor sehr niedrig gewesen sein muss. Aber Guyana hatte auch schon 2021 ein BIP-Wachstum von rund 20% zu verzeichnen und erwartet für 2023 eine ähnlich hohe Steigerung. Man liegt nie falsch, wenn man als Ursache für derartige Steigerungen die Ausbeutung neuer Rohstofflagerstätten, insbesondere von Erdöl und Erdgas, vermutet. Und in Guyana gehen sogar 90% des BIP-Wachstums genau darauf zurück. Seine Erdöl- und Erdgasfelder liegen offshore, wurden 2015 entdeckt, aber es wird dort erst seit 2019 systematisch gefördert. Insbesondere 2022 (wiederum im Vergleich zu 2021) war der guyanesische Ölexport um sage und schreibe 165% gestiegen, und für 2023 ist die Erschließung von 14 weiteren Erdöl- und Gas-Feldern ausgeschrieben worden. Es ist natürlich bekannt, dass sich ein solcher Ressourcensegen oft auch als Fluch, auch Holländische Krankheit genannt, entpuppt: entweder weil dann alternative Wirtschaftszweige, insbesondere die Produktion von Industriegütern, vernachlässigt werden und/oder weil der Öl- und Gas-Preis auf dem Weltmarkt sinkt. Doch ist in Guyana 2022 auch die nicht mit Erdöl-und Erdgas-Wirtschaft verbundene Industrie verhältnismäßig stark, um fast 8 %, gewachsen, und die Erdöl- wie auch Gaspreise hatten Mitte 2022 beide das auf dem Weltmarkt seit vielen Jahren höchste Niveau erreicht. Sie fallen erst seit 2023. Und was das Roh-Öl betrifft, gibt es angesichts der Russland-Sanktionen im Gefolge des Ukraine-Krieges zudem eine erhöhte Nachfrage, die die bisherige Preisreduktion von 2023 auffangen kann. Zumal westeuropäische Raffineriebetreiber das Öl aus Guyana anderen lateinamerikanischen Alternativen, etwa aus Venezuela, vorziehen. In der Folge verschifft Guayana nunmehr etwa 50% seines Roh-Öls nach Europa, gegenüber „nur“ 16% 2021. Nachdem Deutschland seine Importe aus Russland im August 2022 vollständig eingestellt hat, führt es nun auch seinerseits Roh-Öl nicht nur aus Norwegen, Kanada, Saudi-Arabien, Algerien oder Libyen ein, sondern zunehmend auch aus Guyana. Für 2023 vermuten Beobachter, dass in Lateinamerika Mexiko oder Venezuela als Lateinamerikas größte Rohölexporteure von Brasilien und Guyana abgelöst werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Guyana einen sehr schlechten Vertrag mit dem Öl-Konsortium aus Exxon Mobil, Hess Corporation und dem staatlichen Ölkonzern Chinas CNOOC geschlossen hat, demnach es nur knapp über 50% des Exportgewinns für sich beanspruchen darf. Üblicherweise sind das zwischen 65 und 80%. Präsident Mohamed Irfaan Ali von der linksgerichteten Peoples Progressive Party (PPP) hat angekündigt, die Öl-und Gas-Renten für Investitionen, aber eben auch für einen Trickle-Down-Effekt nutzen zu wollen, um so die in Guyana grassierende Armut zu mindern, die bislang noch die (nach Haiti) höchste in Lateinamerika/Karibik ist. Man will dabei dem Beispiel der arabischen Golf-Staaten folgen. So sind bereits substanzielle Erhöhungen von Altersrenten und Sozialhilfen in Gang gesetzt worden. Guyana, am Atlantik zwischen Venezuela und Suriname gelegen, ist mit rund 780.000 Einwohnern ein geringbesiedeltes Land und war noch bis 1966 britische Kolonie. Gerade angesichts der neu erschlossenen Öl- und Gas-Lagerstellen ist ein schon länger schwelender Konflikt zur strittigen Grenzziehung zwischen Guyana und Venezuela neu entbrannt. (Bildquelle: Quetzal-Redaktion, soleb)

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