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Venezuela zwischen Abwertung, Inflation und Ressourcen-Fluch

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten
Venezuela Inflation (239 Downloads )

Abwertung von Venezuelas Währung des Bolivar Fuerte - Foto: Banco Central de VenezuelaIn Venezuela gilt ab heute (11. Januar 2010) ein neuer Wechselkurs gegenüber dem US-Dollar. Die venezolanische Regierung hat in einem Doppelkurssystem den Wert der nationalen Währung Bolívar Fuerte je nach Produkt auf 2,60 BsF beziehungsweise 4,30 BsF pro 1 US$ abgewertet. Für beispielsweise Lebensmittel und Medikamente gelte demnach der niedrigere Kurs. Seit 2005 lag der fest an den Dollar gebundene Wechselkurs bei 2,15 BsF pro 1 US$. Die Entscheidung sorgte am Wochenende für einen starken Ansturm auf Importwaren, vor allem Technologieartikel, die nach der Abwertung sehr viel teurer werden. Als offiziellen Grund für die fiskalische Maßnahme nannte die Regierung die damit verbundene wirtschaftspolitische Stärkung der (industriellen) Exportsektoren und der nationalen Wirtschaft durch die Verteuerung von Waren aus dem Ausland. Außerdem steigen durch die Abwertung die öffentlichen Einnahmen (in nationaler Währung) aus den Ölimporten, die derzeit etwa 12,2 Prozent am Bruttoinlandprodukt (BIP) ausmachen.

Inoffiziell mag jedoch ein schwerwiegender Grund gewesen sein, dass in Venezuela die Inflation bedeutend höher war als im Währungsgebiet des US-Dollars. Durch den starren Wechselkurs kam es zu Verzerrungen im Verhältnis der beiden Währungen, so dass der Wechselkurs im Schwarzmarkthandel Ende 2009 bereits 6,50 BsF pro 1 US$ betrug. Gefördert wurde der hohe Kurs auf dem Schwarzmarkt zudem durch die Regelung, dass die Bürger zu Tourismuszwecken nur begrenzt Bolívar Fuerte gegen US-Dollar tauschen dürfen.

Als Konsequenz der Abwertung dürfte sich nun die Inflation weiter erhöhen. Ohnehin ist Inflation das größte Problem im Land. Zwar hat sich der Anstieg des Preisniveaus zwischen 2003 und 2006 von 31,1 Prozent auf 13,6 Prozent verringert. Mit dem Anstieg des Ölpreises und den damit verbundenen Öleinnahmen nahm jedoch die Inflation wieder zu und zwar auf 18,7 Prozent im Jahr 2007 und 30,4 Prozent im Jahr 2008. Für 2009 gehen Schätzungen sogar von 36,5 Prozent Inflation aus. Da zugleich das reale Wachstum des BIP im vergangenen Jahr mit geschätzten -2,2 Prozent negativ ausfiel, kämpft Venezuela – wie auch andere Ölexportländer – mit einem Phänomen, dass Wirtschaftswissenschaftler als Stagflation bezeichnen: Die Wirtschaft stagniert, während es zugleich eine hohe Inflationsrate gibt.

Der wirtschaftstheoretische Rahmen ist jedoch weitaus komplexer. So gilt es heute als weitgehend unbestritten, dass auf vorrangig Rohstoffe exportierenden Ländern der Resource Curse, der Ressourcen-Fluch, liegt. Trotz ihres enormen Reichtums an natürlichen Rohstoffen, vor allem nicht erneuerbaren Ressourcen wie Mineralien oder Öl, weisen diese Länder eine geringere Wachstumsrate auf als Länder mit weniger Rohstoffvorkommen. Als Ursache wird dafür häufig der Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit angesehen, der sich durch den Aufwertungsdruck auf die einheimische Währung infolge der Devisenerlöse ergibt (Dutch Disease). Andere Gründe für dieses „Paradox des Ressourcenreichtums“ liegen in der Volatilität der Einnahmen durch Preisschwankungen auf den globalen Märkten, Missmanagement und dem Rent-seeking-Verhalten der politischen Staatsklasse. Ein großes Problem besteht zudem darin, dass sich durch die relativ hohe Produktivität im Ressourcen abbauenden Sektor ein Enklaveneffekt ergibt. Die ökonomische Diversifizierung wird erheblich erschwert.

Venezuela ist gegenüber diesen Phänomenen keineswegs gefeit. Bezeichnenderweise wachsen neben dem Erdölsektor (+3,2% im Jahr 2008) hauptsächlich nach Innen gerichtete Branchen wie Telekommunikation (+18,0%), Baugewerbe/Zement (+4,2%/+5,5%), Transport (+4,0%) und die Elektrizitätserzeugung (+4,5%). Inwiefern die jetzt vorgenommene Abwertung dazu beitragen kann, den Ressourcen-Fluch zu durchbrechen und – wie angekündigt – die nationale Wirtschaft zu stärken, muss sich zeigen. Theoretisch könnte es zwei Schwierigkeiten geben, die dem Kurs entgegenstehen: die Inflation und (als Konsequenz) die nationale Nachfrage. Obwohl Daten zur Lohnentwicklung schwer zugänglich sind, weisen zugängliche Zahlen einen durchschnittlichen Nominallohnzuwachs von 19,3% (2005/2006) beziehungsweise von 20,7% (2006/2007) aus. Bei einer Inflation von 13,6% und 18,7% im gleichen Zeitraum bedeutet das real einen Kaufkraftzugewinn. Inzwischen liegt die Inflationsrate jedoch jenseits der 30 Prozent. Steigen die Nominallöhne nicht im gleichen Rhythmus, führt das unweigerlich zu einer Schwächung der Nachfrage. Die vor allem im internationalen Handel wirkende Abwertung des Bolívar Fuerte gegenüber dem US-Dollar (Verteuerung der Importe) zur Steigerung der einheimischen Industrieproduktion könnte dann schnell zu einer Nachfragelücke führen.

Nicht zuletzt bleibt die Frage offen, welche Exportsektoren eigentlich durch die Abwertung gefördert werden sollen. Derzeit stellen Venezuelas Ressourcen 75 Prozent aller Ausfuhrgüter dar. Industriell gefertigte Produkte spielen dagegen praktisch keine Rolle.

Bildquelle: Banco Central de Venezuela_

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