Der Militär Chávez ist der Hoffnungsträger der sozialen Bewegung in Venezuela. Seine Rolle ist aber ambivalent. Einerseitzt stützt er die zunehmende Macht der Basisarbeit. Anderseits scheint Chávez ihr alleiniger Garant der Beteiligung und schwächt so die Selbstorganisation wieder. Klientelistische Strukturen, wachsende Korruption und das gescheiterte Verfassungsreferendum zeigen die Grenzen des jetzigen Transformationsprozesses auf.
Der mit dem Wahlsieg von Hugo Chávez 1998 angestoßene „bolivarianische Prozess“ gesellschaftlicher Transformation unterscheidet sich grundlegend von allen anderen (nicht nur lateinamerikanischen) historischen gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Er scheint allen linken Theorien und Ansätzen zu widersprechen. Er wurde nicht von einer Organisation oder Partei oder einem Bündnis eben solcher angeführt, es existierte zuvor weder eine starke linke Partei, noch eine mächtige Arbeiterorganisierung und nicht einmal eine entsprechende Zeitung. Der Prozess schöpft viel mehr aus einem großen Reservoir politisch, sozial und strukturell unterschiedlicher Gruppen und Organisationen, die unter dem Banner des „Bolivarianismus“ zusammenfließen.
Diese Bewegungen und Basisorganisationen stehen jedoch in einem komplexen Verhältnis von Unterstützung, Konflikt und Zusammenarbeit mit dem Staat und seinen Institutionen. Gleichzeitig hat sich der Charakter dieser Institutionen nicht grundlegend geändert. Zudem sind sie durchsetzt von Funktionären, die von den Ex-Regierungsparteien eingesetzt wurden oder diesen nahe stehen. Und unter vielen Politikern aus den traditionellen linken Parteien oder solchen, die auf den Chávez-Zug aufgesprungen sind, bleiben paternalistische und assistenzialistische Praktiken und personalisierte Politikmuster weit verbreitet.
Zum besseren Verständnis der venezolanischen Situation wird hier die jüngere Geschichte des Landes und der Bolivarianismus beschrieben, um schließlich auf das komplexe Wechselverhältnis zwischen sozialen Bewegungen, Staat und Präsident Chávez eingehen.
Die repressive Demokratie
Vom Sturz der Diktatur von Marcos Pérez Jímenez im Januar 1958 bis zur Machtübernahme von Hugo Chávez 1999 dominierten zwei Parteien – die sozialdemokratische Acción Democrática (AD) und die christlich-soziale Copei (Comité de organización política electoral independiente) – die staatliche Politik Venezuelas (García-Guadilla 2003: 231). Sie schlossen den ‚Pakt von Punto Fijo’ zur Herstellung von Regierbarkeit im Rahmen einer repräsentativen Demokratie. Daraus ging ein System informeller und institutionalisierter Absprachen mit dem Unternehmerverband, der Militärführung, dem von AD kontrollierten Gewerkschaftsdachverband und der Kirche hervor. Für die Kanalisierung von Forderungen jeder Art war das dichte Netz an korporativen und klientelistischen Strukturen zuständig. Protest auf der Straße wurde bis 1998 mit brutaler Repression begegnet.
Der Fall der Ölpreise ab Anfang der 1980er Jahre führte zu einer breiten Verarmung und Verelendung. Es entstand eine Vielzahl stark zersplitterter sozialer Mikrobewegungen. So war (und ist) auf Stadtteilebene ein wahrer Mikrokosmos an Organisationsformen zu finden, von Basiskomitees bis zu bewaffneten Gruppen, die sich jedoch selten über den Stadtteil hinaus koordinierten. Die fehlenden Möglichkeiten, Beschwerden und Forderungen zu kanalisieren, führten vor allem ab Anfang der 1990er Jahre dazu, dass selbst Mikroforderungen auf lokaler Ebene meist durch gewaltsame Proteste Nachdruck verliehen wurde.
Vom Caracazo zu Chávez Wahlsieg Anlässlich einer drastischen Preiserhöhung beim Personentransport kam es am 27. Februar 1989 zu spontanen Aufständen in Caracas. Hunderttausende Menschen zogen aus den Armenvierteln plündernd in die Innenstadt. Einen Tag später weitete sich die Revolte auf weitere Städte des Landes aus. In den folgenden Tagen schlugen Armee und Nationalgarde den Aufstand nieder. Dabei wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen und nicht-staatlichen Quellen bis zu 10.000 Menschen getötet (Bonilla-Molina/El Troudi 2006: 103).
Mit dem Aufstand scheint die Bevölkerung begonnen zu haben, sich über ihre eigene transformatorische Kraft bewusst zu werden. Daher gilt der Caracazo als Auslöser einer breiten Basisorganisierung und als erste historische Wegmarke des „bolivarianischen Prozesses“. Als zweites historisches Datum folgte der gescheiterte Putschversuch unter der Führung von Hugo Chávez am 4. Februar 1992. Doch Chávez wurde durch eine im Fernsehen übertragene Rede zum Hoffnungsträger und Symbol für den Wunsch nach Veränderung. Soziale Bewegungen, Proteste, auch gewaltsame, nahmen im Verlauf der 1990er Jahre weiter zu. Nach der Amnestie 1994 widmeten sich Chávez und die anderen Angehörigen seines Movimiento Bolivariano Revolucionario 200 (MBR-200), das die beiden Putschversuche organisiert hatte, dem Aufbau einer Massenorganisation. Ein breites Bündnis aus linken Parteien und Basisorganisationen unterstützte schließlich die Präsidentschaftskandidatur von Chávez, der sich am Dezember 1998 mit 56,2 Prozent der Stimmen durchsetzte (CNE 2006).
„Bolivarianismus“ als Strömung für den Wechsel
Am Anfang des „Bolivarianismus“ steht die Kritik an der einfachen Übertragung revolutionärer Erfahrungen aus anderen Ländern und am Autoritarismus der Kommunistischen Parteien sowie im Anknüpfen an die lokalen, nationalen und kontinentalen Erfahrungen emanzipatorischer Kämpfe. Zentral sind der Bezug auf die venezolanischen Nationalhelden Simón Bolívar, Simón Rodríguez und Ezequiel Zamora. Nachdem einige Elemente bereits in den 1960er Jahren von der Guerillabewegung Partido Revolucionario Venezolano – Fuerzas Armadas de Liberación Nacional (PRV-FALN) vertreten wurden und Eingang fanden in die sozialen Bewegungen und politischen Organisationen der folgenden Jahre, entwickelte Chávez‘ Organisation MBR-200 ausführlich dessen ideologische und programmatische Grundlagen.
Denis (2007) teilt die im „Bolivarianismus“ aufgenommenen Einflüsse in drei grobe Kategorien ein. Einerseits die „historischsozialen Strömungen“, zu denen er die Strömungen des kritischen Marxismus zählt, konkret den Guevarismus, die europäische Rätebewegung, die italienische Autonomiebewegung, die Befreiungstheologie, die nationalen Befreiungsbewegungen einschließlich der kubanischen und sandinistischen Revolution sowie die indigenen und schwarzen Widerstandsbewegungen. Als zweites wichtiges Element benennt Denis die kollektiven aufständischen Erfahrungen der jüngeren Geschichte: die studentischen Kämpfe von 1987, den Caracazo und die beiden „zivil-militärischen Rebellionen“ von 1992. Die dritte Kategorie bilden „prophetische“ Ereignisse, die eine Ahnung gesellschaftlicher Befreiung vorzeichneten. Darunter fasst Denis die Guerillabewegungen der 1960er und 1970er Jahre, die revolutionären Basisgewerkschaften der 1980er Jahre und ihre Versuche Arbeiterräte zu bilden; der nationale Studierendenkongress in Merida 1985; das Wiederentstehen von bäuerlichen Bewegungen und die Landbesetzungen in Yaracuy 1987; die direkte Demokratie der Stadtteilversammlung in Caracas 1991-1993.
Die Verfassung der Bolivarianischen Republik
Mit der Amtsübernahme im Februar 1999 leitete Chávez die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung in die Wege. Die Ausarbeitung einer neuen Verfassung spielte eine zentrale Rolle für die weitere Entwicklung eines gesellschaftlichen Projekts der sozialen und politischen Bewegungen und Organisationen. Durch den Vertrauensverlust der Parteien sahen soziale wie auch politische Akteure die sozialen Organisationen als „privilegiertes Subjekt und Raum“ (García-Guadilla 2003: 240), um eine neue Verfassung zu erarbeiten. NGOs und Basisorganisationen nahmen über Kommissionen und runde Tische direkt an der Arbeit der verfassungsgebenden Versammlung teil, diskutierten und reichten Vorschläge ein, von denen schließlich die Hälfte in die neue Verfassung aufgenommen wurde.
Das Fundament der neuen Bolivarianischen Verfassung ist die partizipative und protagonistische Demokratie. Der Staat wird als partizipativer Raum verstanden, in dem die Bevölkerung mittels diverser Instrumente das öffentliche Leben mitgestaltet und dessen Institutionen kontrolliert. Durch die staatliche Garantie sozialer Bürgerrechte soll diese Beteiligung auch materiell ermöglicht werden. Die Verfassung, so das Ziel, verwandelt auf diese Weise soziale in sozial-politische Akteure (García-Guadilla 2003: 233).
Die Organisation dieser Akteure in Rätestrukturen auf allen gesellschaftlichen Ebenen soll die Grundlage für den venezolanischen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ bilden. Diese Räte sollen zusammenarbeiten, auf höherer Ebene konföderieren, und so den „bürgerlichen“ durch einen “kommunalen Staat“ ablösen. Eine im Dezember 2007 zur Abstimmung gestellte Verfassungsreform sollte die „Räte der Volksmacht“ als Partizipationsinstrumente verankern und die Entscheidungen von „Bürger- und Bürgerinnenversammlung“ in ihren jeweiligen Territorien als bindend festgelegen, so lange sie nicht der Verfassung und den geltenden Gesetzen widersprechen. Die „Räte der Volksmacht“ sollten die „Gemeinden, Bezirke und Städte in Selbstverwaltung übernehmen“ (AN 2007). Das Referendum über die Reform ist am 2. Dezember 2007 mit knapper Mehrheit und bei nur 55 Prozent Wahlbeteiligung gescheitert. Einige der in ihr vorgesehenen Maßnahmen sollen nun auf gesetzlicher Ebene umgesetzt werden.
Ambivalentes Verhältnis von Bewegungen und Staat
Seit 1998 haben zahlreiche Aktivisten aus sozialen Bewegungen Regierungsämter übernommen, Während dies einige Bewegungen schwächte, wurden andere durch die Unterstützung der Institutionen bedeutend gestärkt. Die Indígenabewegung konnte durch geschicktes Agieren viele ihrer Forderungen in der Verfassung von 2000 durchsetzen und wurde dadurch gestärkt. Die Indígenas konnten mehr erreichen als in allen anderen lateinamerikanischen Staaten, obwohl in Venezuela nur etwa 2,1% der Bevölkerung indigenen Gruppen angehören (Van Cott 2002: 43).
Die Frauenbewegung konnte ebenfalls einen Großteil ihrer Vorschläge in die Verfassung einbringen, sie wurde aber als solche geschwächt, als auf Initiative von Chávez das Movimiento Bolivariano de Mujeres (MBM) gegründet wurde. Arbeiteten die unabhängigen Frauenorganisationen noch mit einem feministischen Ansatz, konzentriert sich das MBM vielmehr auf die konkrete Problemlösungen in Bezug auf Frauen, Kinder, Armut,Familie, Ausbildung etc., wobei der Genderaspekt in den Hintergrund rückte. (García-Guadilla, 245) Während die unabhängigen Frauenorganisationen auf Lobbyarbeit ausgerichtet waren und selten mehr als einige Hundert Frauen, im wesentlichen aus der Mittelschicht, mobilisierten konnten, organisierten sich im MBM vor allem Frauen aus den ärmsten Schichten. Das Nationale Fraueninstitut, die Frauenbank und die sich an alleinerziehende Mütter richtende Misión Madres del Barrio leisten für Hunderttausende Frauen finanzielle Unterstützung und berufliche und politische Schulung.
Die Bauernbewegung ist erst durch die neuen institutionellen Rahmenbedingungen enorm gewachsen. Dabei hat vor allem die Frente Nacional Campesino Ezequiel Zamora (FNCEZ) eine erfolgreiche Strategie entwickelt. Die FNCEZ versteht sich als marxistisch, unterstützt Chávez, fordert aber eine Vertiefung seiner Politiken. Sie arbeitet eng mit dem Landwirtschaftsministerium und dem Nationalen Landinstitut zusammen und hält diverse institutionelle Posten auf regionaler Ebene. Aber auch Landbesetzungen werden durch diese Organisation betrieben. Als 2005 das Landgut La Marqueseña enteignet und in einen staatlichen Modellbetrieb umgewandelt wurde, besetzte die FNCEZ einen Teil und forderte Land für Bauern aus der Region. Nachdem das lokal stationierte Militär zunächst versuchte, die Bauern einzuschüchtern, bekam die FNCEZ 500 Hektar, Maschinen und Finanzierung. Das Militär wurde zur Unterstützung eingeteilt.
Selbstorganisation unter Obhut des Caudillos
Soziale Bewegungen waren in Venezuela schwächer ausgeprägt als in vielen anderen Staaten Lateinamerikas. Das politische Projekt der Regierung Chávez ist jedoch auf die Unterstützung durch Basisbewegungen angewiesen. Gleichzeitig besteht eine starke Fixierung der Massen auf die Figur Chávez. Obwohl, oder vielleicht gerade weil sich Chávez in seinem Diskurs nicht über die anderen hebt, stets ,,el pueblo“ ins Zentrum stellt, wird er zum Caudillo. Sicher ist aber, dass die transformatorische Bewegung ohne Chávez ihre Kraft nicht in dem Umfang entwickelt hätte, wie es der Fall ist. Chávez schaffte es, die verarmten Massen in ein politisches transformatorisches Projekt zu integrieren, was der Linken nie gelungen war. Zugleich wirkt er als integratives Moment für die am Prozess beteiligten Organisationen und Bewegungen und ist der Garant für die ständige Beteiligung der sozialen Bewegungen an dem Prozess.
Ein bedeutendes Problem in der Aktivierung der Selbstorganisierung liegt in der jahrzehntelangen klientelistischen, assistenzialistischen und paternalistischen Struktur, die durch die Rentenökonomie entstand. Viele Venezolaner sahen sich lange Zeit nicht als Akteure einer Veränderung. Es herrscht eine Erwartungshaltung vor, die die Lösung individueller Probleme durch ,,Repäsentanten“ erhofft. In der assistenzialistischen Kultur liegt auch begründet, warum selbst die juristisch mögliche Partizipation nach wie nicht voll ausgeschöpft wird. Daher lancierten Chávez und diverse Aktivisten Mitte 2001 die ,,Bolivarianischen Zirkel“, eine Art Nachbarschaftsorganisationen für soziale und kulturelle Aufgaben auf lokaler Ebene. Sie waren an keine Partei und auch nicht an die Regierung angebunden, sondern eine Form der Selbstorganisierung. Die gegründeten Zirkel wurden schlicht der Nationalen Koordination gemeldet, die nicht weisungsbefugt war. Während 2003 noch etwa 2,5 Millionen Personen in den Zirkeln organisiert sein sollten, waren sie ab 2005 kaum noch existent.
Generell sind auch unter Chávez Selbstorganisierungsprozesse starken konjunkturellen Schwankungen unterworfen. Mit den Kommunalen Räten (Consejos Comunales), die seit 2005 aufgebaut werden und im April 2006 gesetzlich verankert wurden, wird ein weiteres Mal versucht einer breiten Organisation die Basis zu schaffen. Bisher bestehen im gesamten Land etwa 40.000 Consejos Comunales. Ganz wesentlich wird die weitere Entwicklung davon abhängen, inwieweit es der Basis gelingt, mit den Consejos Comunales die Gestaltung und Verwaltung auf lokaler Ebene zu übernehmen.
Eine neue Partei
Der gesellschaftliche Transformationsprozess in Venezuela vollzieht sich in einem wechselseitigen Verhältnis zwischen Chávez und den Basisbewegungen. Von einem wesentlichen Teil der Institutionen wird er jedoch nicht voll mitgetragen. Zwar finden auch Vorstellungen einer Demokratisierung der Besitz- und Produktionsverhältnisse, der Übernahme geschlossener Fabriken durch die Beschäftigten oder der Ruf der Bauernbewegungen nach Enteignung von Großgrundbesitz und Demokratisierung der Medien ihren Weg in staatliche Politik. Doch innerhalb der Regierung ist es vor allem Chávez selbst, der im Diskurs und in der Praxis für eine Radikalisierung der Bewegungen bei der Verwirklichung ihrer Forderungen und Politiken sorgt. In den Institutionen und unter den Repräsentanten der Parteien dominieren dagegen reformistische Vorstellungen gesellschaftlicher Transformation. So werden zahlreiche Leitlinien, angekündigte Regierungspolitiken und sogar verabschiedete Gesetze gar nicht oder nur zögerlich umgesetzt.
In weiten Teilen ist die alte politische Klasse nur durch eine neue politische Klasse mit starken Eigeninteressen ersetzt worden. Auch die linken Parteien treten kaum für die von der Verfassung vorgesehene weitere Übertragung der Macht an die Bevölkerung ein. In ihnen wiederholen sich zunehmend die gleichen Verhaltensweisen wie in den Parteien vor der Ära Chávez. Machtkämpfe, Postengeplänkel, Vetternwirtschaft und Disziplinarmassnahmen gegen interne Kritiker prägen vor allem die größte Regierungspartei Movimiento V. República (MVR), ein eigens für die Wahl 1998 geschaffenes Sammelbecken. Diesem Umstand sollte die Gründung der Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) Abhilfe schaffen. Bis auf die linkssozialistische PPT und die Kommunistische Partei Venezuelas PCV haben sich alle anderen die Regierung unterstützenden Parteien 2007 zu Gunsten der in Gründung befindlichen PSUV aufgelöst. Doch obwohl die Partei noch nicht gegründet ist und weder über Statut noch Programm verfügt, beginnen die dominanten Politiker und Interessengruppen bereits, sich ihre Machtpositionen zu sichern. Dies stößt auf Kritik und Unmut an der Basis. Es gelang jedoch tatsächlich sowohl im April 2008 ein 30-köpfiges Direktorium (15 Direktoren und 15 Vertreter) von der Basis wählen zu lassen, wie auch Anfang Juni parteiintern die Kandidaten für die Bürgermeister- und Gouverneurswahlen im November in Primärwahlen zu bestimmen. Trotz aller internen Probleme der PSUV, an deren Debatten und Aufbau sich 1,7 der 5,2 Millionen eingeschriebenen Mitglieder aktiv beteiligen, ist der Partei mit den beiden internen Wahlprozessen ein wichtiger Schritt gelungen. Bei der Wahl des Direktoriums wurde deutlich, dass aktuelle Inhaber von Regierungsämtern kaum für die 15-köpfige Leitung gewählt wurden. Die meisten Stimmen haben eindeutig dem linken Flügel des Bolivarianismus zuordenbare Personen oder ganz neue Gesichter erhalten. Mit den Primärwahlen zur Auswahl der Kandidaten, die ersten seit Regierungsübernahme Chávez, konnte die PSUV viel an Prestige und Enthusiasmus gewinnen. An ihnen nahmen nahezu drei Millionen Parteimitglieder teil.
Nach dem verlorenen Referendum
Bis 2007 gingen aus den zahlreichen politischen Krisen seit der Regierungsübernahme durch Chávez sowohl die Basisbewegungen als auch die Bürokratie gestärkt hervor. Gleichzeitig ist deutlich geworden, dass viele Institutionen den Transformationsprozess bremsen und behindern anstatt ihn zu fördern. So scheiterte das Referendum über eine umfangreiche Verfassungsreform am 2. Dezember 2007, weil drei der über sieben Millionen Wähler, die ein Jahr zuvor noch für Chávez stimmten, den Urnen fernblieben. Die Gründe dafür sind vielfältig, jedoch wird in Debatten an der Basis die Unzufriedenheit mit den Institutionen und der Korruption sowie die heimliche Ablehnung einer Vertiefung der sozialen Transformation von Seiten vieler politischer Repräsentanten hervorgehoben.
Auf Regierungsebene ist war stark Selbstkritik geübt worden, allerdings bisher weitgehend ohne personelle Konsequenzen, was starken Unmut und Unverständnis in der Basis hervorruft. Es scheint ein Punkt erreicht, an dem entweder die Basisbewegungen gestärkt werden, oder der radikale Transformationsprozess zumindest vorerst an eine Grenze gestoßen ist.
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Quellen:
Asamblea Nacional (AN) (2007): Reforma de la Constitución de la República Bolivariana de Venezuela.
Bonilla-Molina, Luis/El Troudi, Haiman (2004): Historia de la Revolución Bolivariana. Caracas: Ministerio de Comunicación e Información.
Consejo Nacional Electoral (CNE) (2006): Elecciones Presidenciales: Cuadro Comparativo 1958 – 2000. http://www.cne.gob.ve/web/documentos/estadisticas/e006.pdf (aufgerufen am 22.2.2007).
Denis, Roland (2007): La profecía de ALCASA. http://www.aporrea.org/actualidad/a32464.html, letzte Aktualisierung am 26.3.2007 (aufgerufen am 26.3.2007).
García-Guadilla, María Pilar (2003): Sociedad civil: institucionalización, fragmentación, autonomía. In: Ellner, Steve/Hellinger, Daniel (2003): La politica venezolana en la época de Chávez: clases, polarización y conflicto. Caracas: Nuvea Sociedad, S.230-251.
Van Cott, Donna Lee (2002): Movimientos indígenas y transformación constitucional en los Andes. Venezuela en perspectica comparativa. In: Revista Venezolana de Economía y Ciencias Sociales. Heft 3, S. 41-60.
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Original-Beitrag aus: WeltTrends vom Juli/August 2008 (Ausgabe Nr. 61, S. 55-63). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.